Der 25-jährige deutschtürkische Regisseur Fatih Akin erinnert sich in seinem Spielfilmdebüt „Kurz und schmerzlos“ an seine eigene Jugendzeit in Hamburg-Altona, die er meist mit seinen beiden Freunden in einer Gang verbrachte. Um die überhöhte Figur seines Alter ego Gabriel hat er eine fiktive Geschichte konstruiert, die mit allen Zutaten des einschlägigen Genrekinos gewürzt ist.
Der Türke Gabriel möchte nach einem Gefängnisaufenthalt endlich erwachsen werden und steigt in das Taxi-Unternehmen seines Bruders ein. Doch seine beiden Freunde, der Grieche Costa und der Serbe Bobby, bringen ihn immer wieder in Schwierigkeiten. Costa lebt vom Autodiebstählen, und Bobby möchte bei der albanischen Mafia Karriere machen. Einerseits versucht Gabriel, seine Kumpel von ihrem (noch) kleinkriminellen Tun abzubringen, andererseits sind die freundschaftlichen Bande aber so stark, dass er sich nicht von ihnen lösen kann; zumal Costa gerade Trost braucht, da sich Gabriels Schwester Ceyda von ihm getrennt hat.
Der erste Coup geht schief
Den ersten „Rückfall“ erleidet Gabriel, als er sich von Costa und Bobby in eine Schlägerei mit Ceydas neuem deutschen Freund hineinziehen lässt. Dann verliebt er sich ausgerechnet in Bobbys Freundin Alice, die von den Mafia-Eskapaden ihres Gefährten nicht gerade erbaut ist.
Die Situation eskaliert, als Bobby bei seinem ersten großen Coup von einem Waffenhändler hereingelegt und von seinem (Mafia-)Paten Muhamer erschossen wird. Costa, der als Fahrer an der Aktion beteiligt war, will Bobby rächen, ist Muhamers Skrupellosigkeit aber nicht gewachsen. Gabriel kann Bobby nicht mehr retten, erschießt dafür aber den Gangster. Um der Rache zu entkommen, flieht Gabriel in die Türkei, wo er ein Strandcafé mit Bootsverleih aufmachen will. Möglicherweise wird er eines Tages zurückkehren.
Die Exposition ist klassisch (US-amerikanisch). Kurz und präzise werden die drei Hauptfiguren und ihre charakterlichen Merkmale eingeführt. Costa wird von einem Passanten beim Diebstahl überrascht, streckt diesen mit einem Kopfstoß nieder - um sich dann mitfühlend nach seinem Befinden zu erkundigen. Bobby wird von seinem Onkel, dem er großspurig von seinen Mafia-Plänen erzählt hat, auf die Straße befördert. Und auf Gabriel wartet seine ganze Sippe vor dem Gefängnistor, um ihn abzuholen - ein liebenswerter Macho mit Familiensinn.
Schon bald aber wechseln die in relativ helles Licht getauchten Anfangssequenzen ihre „Farbe“. Dunkelheit bemächtigt sich der Szenerie, schummrige Kneipen, menschenleere Straßen und düstere Hinterhöfe werden zu bevorzugten Handlungsorten. Dabei taucht der Film ins Milieu ein, ohne je pittoreske Blickwinkel einzunehmen. Man spürt, dass die Protagonisten hier zu Hause sind, verschmilzt förmlich mit ihnen und ihrem Viertel. Schnitt und Inszenierung gelingt ein Timing, das genau auf die Unruhe der Personen abgestimmt ist. Mal folgt die (Hand-)Kamera nervös dem fahrigen Costa, mal umkreist sie elegant den sich gerne als Lebemann sehenden Bobby, um dann wieder ruhig den geradlinigen Gabriel zu beobachten. Auch wenn man merkt, dass ein kleiner Funke genügt, um gefährlichen Jähzorn bei ihm freizusetzen, kann er sich doch auch zärtlich seinen Gefühlen hingeben.
Ein vielversprechender Anfang
Seine behutsame (und wohltuend dezent gefilmte) Annäherung an Alice lässt ahnen, dass der zum „Macho“ erzogene Gabriel durchaus lernfähig ist. Zudem strahlt Mehmet Kurtulus eine Präsenz aus, wie man sie selten im deutschen Film sieht. Aleksandar Jovanovic, der als Bobby ständig von seinem Vorbild Al Pacino schwärmt, scheint dagegen die Actors-Studio-Methoden des Hollywood-Stars verinnerlicht zu haben und übertreibt die Manirismen bisweilen, während Adam Bousdoukas mit seinem flapsigen Spiel eine überraschend echte und natürliche Note ins Spiel bringt. Sensibel und verletzlich agiert auch Regula Grauwiller als Goldschmiedin Alice, obwohl man nicht so recht versteht, warum sie sich mit einem „Windei“ wie Bobby eingelassen hat.
Glücklicherweise liefert das Drehbuch wenigstens keine glättenden Erklärungsversuche, sondern lässt solche Ungereimtheiten stehen und konzentriert sich auf die stimmungsvolle Umsetzung der Geschichte um Freundschaft, Liebe und tiefe Gefühle. Fatih Akin lässt die Personen keinen Satz zu viel sagen, verlässt sich dafür aber auf ihre Blicke und Gesten. Wenn dann die Gewalt ausbricht, kurz und schmerzvoll, strahlen diese Szenen eine außergewöhnliche Professionalität aus. Akin hat beim Gangsterfilm sehr genau hingeschaut und dabei einen eigenen, vielversprechenden Zugang gefunden.