In Zeiten, in denen die Studios für Spezialeffekte die wahren Inszenatoren im Science-Fiction-Genre sind und die Technik über die Inhalte triumphiert, erscheint ein Film wie „Gattaca“, der mit einem einzigen Trick – einem Raketenstart – auskommt, wie ein kleines Wunder. Die beeindruckende Parabel auf Gen-Manipulationen hat das Potential eines Kultfilms und steht schon jetzt durchaus ebenbürtig neben Meisterwerken des Genres von „Metropolis“ bis „Phase IV“. Irgendwann in naher Zukunft ist der Retortenmensch Wirklichkeit geworden und hat die Gesellschaft in zwei Klassen gespalten: Den im Labor Gezeugten gehört die Welt, während die noch durch natürliche Liebe Entstandenen keine Chance auf einen gesellschaftlichen und beruflichen Aufstieg haben. Sie gelten von Geburt an als „Invaliden“. Für den seit seiner Kindheit kränkelnden, kurzsichtigen Vincent fallen schon im Kindergarten die Türen der Gesellschaft zu, während die Karriere seines „perfekten“ jüngeren Bruders Anton vorprogrammiert ist. Doch Vincent hat einen Traum: Er möchte Raumfahrer werden, um auf einem bewohnbaren Planeten „frei“ leben zu können. Um dies zu erreichen, muß er den gigantischen Gattaca-Konzern austricksen, der seine Angestellten bis ins Kleinste kontrolliert. Als die Zeit reif ist, seinen Plan zu verwirklichen, verläßt er seine Familie und nimmt Kontakt zu einem „DNA-Makler“ auf, der genetisch benachteiligten Menschen eine falsche Identität verschafft. Um seinen aufwendigen Lebensstil weiter finanzieren zu können, ist der nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselte Jerome bereit, Vincent seine Identität zu verkaufen. Der Tausch funktioniert, und Vincent gelingt es, alle Tests zu bestehen. Schnell steigt er die Erfolgsleiter bei Gattaca empor, beginnt eine Liebesaffäre mit seiner Arbeitskollegin Irene und wird in die Astronauten-Riege aufgenommen. Als eine Woche vor dem Start der Rakete der Direktor des Weltraumprojekts ermordet wird, überprüfen Inspektor Hugo und sein Mitarbeiter Anton, der seinen Bruder Vincent zunächst nicht wiedererkennt, alle am Projekt Beteiligten. Als Anton die Augenwimper eines „Invaliden“ findet, steht Vincent kurz vor der Enttarnung. Aber nun triumphieren seine angeborenen Fähigkeiten, wieder aufbrechende Familienbande und ein Wissenschaftler, der selbst ein „untaugliches“ Kind hat, über die unmenschliche Gesellschaftsordnung. Als die Rakete ins All abhebt, um Titan, den 14. Mond des Saturn zu erforschen, gehört Vincent zur Besatzung.Im Gegensatz zu seinen Kollegen aus der Werbebranche hat der Neuseeländer Andrew Niccol sein Spielfilmdebüt nicht mit der Hektik von 60-Sekunden-Spots ausgestattet. Allenfalls an seinem Blick für schöne Bilder, die der polnische Kameramann Slawomir Idziak mit kunstvoll eingesetzter Licht- und Filtertechnik überhöht, ist der einstige Werbefilmer zu erkennen. „Design“ aber wird bei ihm nicht zum Selbstzweck, sondern zum genau kalkulierten Träger seiner Vorstellungen einer zukünftigen Welt, in der „Reinlichkeit gleich nach Gottesfürchtigkeit“ kommt, wobei die Gen-Ingenieure hier die Götter spielen. Niccol verläßt sich bei der (Film-) Architektur auf funktionale Formen, bei den Kostümen und Frisuren auf klassische Formen der 40er und 50er Jahre. Gepaart mit den Modernismen der heutigen Technik, ergibt das eine eher zeitlose als futuristische Atmosphäre, die stets eine Identifikation mit den Problemen und Menschen der Geschichte ermöglicht. Auch wenn die Erschaffung eines perfekten Menschen noch unvorstellbar ist, hat das gentechnische Zeitalter begonnen: Gen-Chips, die Massentests auf Schäden im Erbgut erlauben, und der genetische Fingerabdruck zur Aufklärung von Verbrechen gehören längst zum Alltag. Zwar berührt „Gattaca“ noch mit der Botschaft, daß mit Liebe gezeugte Kinder letztlich glücklicher werden, aber der Film macht auch deutlich, daß in den Labors schon Forscher sitzen, die keine Hemmungen hätten, nur schöne und intelligente Retorten-Menschen zu schaffen, während die „Untauglichen“ keinen Platz mehr haben. Sie sind schon äußerlich gebrandmarkt, verrichten in unförmigen, grünen Kleidern niedere Arbeiten, während die „Auserwählten“ in noblem Zwirn ihrer Tätigkeit nachgehen und in schicken Wohnungen leben. Über viel Gespür für Räume und Kameraeinstellungen vermittelt sich diese düstere Zukunftsvision, wobei Niccol auch auf Bild-Metaphern von „Metropolis“ über „1984“ bis zu Kafka zurückgreift. Im Zusammenspiel mit Michael Nymans minimalistischem Soundtrack gelingt ihm ein geradezu elegischer Science-Fiction-Thriller, der deshalb unter die Haut geht, weil eigentlich nur Vincents Traum vom Leben in der Galaxis utopische Ausmaße hat. Die Diskriminierung, die Ausgrenzung geistig oder körperlich Behinderter sowie das Mobbing gegen Personen, die nicht im Sinne des Systems funktionieren, sind dagegen schon Realität.Niccol setzt seinem innovativen Inszenierungsstil mit der außergewöhnlichen Besetzung noch das „Sahnehäubchen“ auf: Aus Ethan Hawke macht er einen ernsthaften Schauspieler, der mitleiden läßt, wenn er sich der Tortur einer Körperstreckung unterzieht, um Jeromes Größe zu erreichen, der aber auch den Gejagten glaubhaft darstellt. Vincent und Hausmeister Caesar, gespielt vom Altstar Ernest Borgnine, sind scheinbar die einzigen normalen Menschen in dieser bizarren Welt. Gerade ihre verordnete „Untauglichkeit“ spornt sie an, ihre natürlichen Begabungen auszunutzen: Vincent überlistet damit das System, und Caesar lebt in dem Bewußtsein, genauso viel zu wissen wie all die „Perfekten“ über ihm. Auch die Liebesgeschichte dient zu überraschenden Nuancen: Es gibt kein Happy-End, weil Irene (wunderbar einfühlsam: Uma Thurman) ihr Schicksal als „Taugliche“, aber nicht „Perfekte“ akzeptiert, das sie für den Raumflug untauglich macht. Durch Vincents Unbeirrbarkeit lernt sie, sich ihm nicht bedingungslos auszuliefern. Ein präzis agierender Alan Arkin, der souverän in „fremden Gewässern fischende“ Autor Gore Vidal und Jude Law als der „wahre“ Jerome führen das Ensemble der hervorragenden Nebendarsteller, von dem man sich genauso wenig trennen mag wie von den beeindruckenden Bildern dieses filmischen Kunstwerks.