Schwarze Sonne (1998)

Dokumentarfilm | Deutschland 1998 | 90 Minuten

Regie: Rüdiger Sünner

Ein kompakter, sachlicher Dokumentarfilm, der die mythologischen Hintergründe des Nationalsozialismus untersucht und die Thesen einiger wesentlicher Vertreter des nordischen Rassenkults analysiert. Die Recherche erstreckt sich sowohl auf die okkulten Quellen der Nazis, auf die "Rassenforschungen" der SS, als auch auf die Architektur des Dritten Reiches mit "Lichtburgen" und anderen Orten übersteigerter Ahnengläubigkeit. Zudem schlägt der Film einen Bogen in die Gegenwart, fragt nach Gründen für das aktuelle Interesse an Esoterik, Mystik und Magie. Die Überfülle des Materials drängt zu einer Vertiefung in weiteren Filmen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Elis Müller Filmproduktion
Regie
Rüdiger Sünner
Buch
Rüdiger Sünner
Kamera
Michael Bertl
Musik
Manolis Vlitakis · Ian Melrose
Schnitt
Rüdiger Sünner
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion

Was wissen wir von nordischen Mythen, germanischen Kultstätten oder dem Ursprung der Runen? Im allgemeinen nicht sehr viel – was wohl vor allem damit zu tun hat, daß diese Themen nach dem Ende der Naziherrschaft mehr oder weniger tabuisiert wurden. Der deutsche Faschismus hatte zu viel Schindluder damit getrieben, nicht zuletzt seinen Rassenwahn aus okkulten Deutungen überlieferter Legenden und Symbole hergeleitet. Rüdiger Sünner leistet nun gewissermaßen Pionierarbeit: Er beschreibt den Mißbrauch von Überlieferungen nordeuropäischer Naturreligionen durch Schriftsteller und selbsternannte Wissenschaftler des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die mit ihren Interpretationen den geistigen Weg ins Dritte Reich ebneten.

Eine subjektiven Recherche

„Mythologische Hintergründe des Nationalsozialismus“ heißt der Untertitel seines Films – eine schwierige Annäherung an ein weites, wenig erforschtes Feld.Vielleicht aus diesem Grunde entschied sich Sünner für die Dramaturgie einer persönlichen, subjektiven Recherche. Im Kommentar, der von Anfang an in der Ich-Form gehalten ist, skizziert er seinen Weg zum Thema und stellt Fragen, die sich für ihn aus den gewonnenen Erkenntnissen ergeben. Ein Kunstgriff, der, abseits didaktischer Belehrung, immer wieder zu einem Dialog mit dem Zuschauer führt – und sich zugleich als Sicherheitsventil für den möglichen Vorwurf erweist, nicht jedes Detail berücksichtigt, nicht jeden Namen genannt zu haben.

Einen wesentlichen Teil des Films nimmt die kritische Analyse der Gedankenwelten von Mystikern und Okkultisten wie Adolph Lanz und Rudolf von Sebottendorff ein. Deren willkürliche Deutung und flache Interpretation nordischer Mythen mündeten direkt in die Verbrechen des Dritten Reiches. Jene „völkischen Fantasien“, nach denen die germanische Rasse eine Herrenrasse sei, deren „Geist vor Überfremdung geschützt“ werden müsse, gewannen ja nicht erst mit der Machtergreifung der Faschisten an Boden, sondern hatten schon Jahrzehnte vorher, weit über Geheimbünde hinaus, starke Verbreitung gefunden. Eine Schriftenreihe wie Lanz’ „Ostara“ etwa sehnte die „völkische Wiedergeburt (...) gegen eine Welt von Dekadenz und Unreinheit“ herbei und beeinflußte den jungen Hitler stark. Aus einem Seitenzweig der Sebottendorffschen „Thule-Gesellschaft“, der in der Zeitschrift „Runen“ die Juden als wurzelloses Volk charakterisierte, das aus Neid die germanische Kultur unterwandern wollte, ging schließlich die NSdAP hervor.

Wie aus mystischen Empfindungen Politik wird

Wie stark, so fragt der Film, waren solche Quellen daran beteiligt, daß Hitler die Massen erreichen konnte? Sünner betont, daß der Zuspruch für die Nazis nicht nur auf der Arbeitsbeschaffung durch den Autobahnbau basierte, sondern auch darauf, daß sie „große mythische Bilder benutzten und dabei archaische Schichten des Unterbewußtseins“ ansprachen. Als Beleg dient ihm unter anderem die „Lichtburg“ während des Nürnberger Reichsparteitags 1934: ein monströser, durch Hunderte Scheinwerfer „gebauter“ Lichtkegel gegen die imaginären Gefahren der Dunkelheit. Auch Fackelzüge, Feuerwerke, selbst die Bücherverbrennungen hatten mit solchen mystischen Empfindungen zu tun, und über Motive eines Feuerwerks legt Sünner das Zitat von Ernst Bloch, nach dem die Nazis nicht an die Macht gekommen wären, „wenn die Aufklärer und Humanisten stärkere Bilder gehabt hätten“.

Aus den Lichtburgen sollten später Granitburgen werden – Sünner erinnert an die Entwürfe Albert Speers für die künftige Reichshauptstadt „Germania“ mit ihren sakralen Kultbauten zur Verklärung der nordischen Rasse. Und er umreißt, wie sich vor allem die SS mit mythologischen und esoterischen Fragen befaßte, mit Runen, Totenkopf und der Suche nach dem Heiligen Gral; wie sie Expeditionen nach Schweden, Tibet oder in die Pyrenäen ausrüstete, um nachzuweisen, daß nur die Arier zur geistigen Führung der Welt berufen seien.

Kompakt verabreichtes Wissen

Jedes dieser Themen – die okkulten Quellen der Nazis, die Architektur des Dritten Reiches, die Rassen- „Forschungen“ der SS, nicht zuletzt auch die Historie der SS-Kult- und Schulungsstätte Wewelsburg – gäbe Stoff für einen eigenständigen Film. „Schwarze Sonne“ verabreicht das Wissen kompakt: eine Einführungsvorlesung gewissermaßen, die zur detaillierteren Beschäftigung anregt. Und dies um so mehr, als Mystizismus und Okkultismus durchaus kein Schnee von gestern sind. Die rhetorischen Fragen, die Sünner nach einem Interview mit jungen Besuchern einer vermeintlich altgermanischen Kultstätte im Kommentar stellt, betonen den Mißbrauch mythischer und religiöser Überlieferungen bis heute: Warum sucht man hier, an Felssteinen des Teutoburger Waldes, den nebulösen Rausch, anstatt „mit wachem Bewußtsein die archaische Bilderwelt der Vergangenheit zu erkunden“? Warum brechen andere junge Leute nachts in die Wewelsburg ein, den Ort schrecklicher SS-Menschenversuche an Kriegsgefangenen, um „Schwarze Messen“ zu zelebrieren? Hat übersteigerter Ahnenkult noch immer mit der Flucht vor sozialen Spannungen in die Traumwelten der Vergangenheit zu tun? Ist das „reine Licht des Nordens“ wieder ein Schutzschild gegen die Gebrechen einer „dekadenten und materialistischen“ Zeit? Wie groß ist die Gefahr des Umschlagens in Fanatismus und Gewalt? Kann sich Geschichte wiederholen?

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