- | Iran 1996 | 75 Minuten

Regie: Mohsen Makhmalbaf

Märchenhaft aufgebauter Spielfilm, der ursprünglich als Dokumentation über Nomadenstämme im Südosten Irans konzipiert war. Teppiche mit erzählenden Motiven, sogenannte Gabbehs, spielen eine zentrale Rolle im Leben der Stämme, in ihnen spiegeln sich profane Dinge des Alltags ebenso wie transzendente Erfahrungen. Gabbeh heißt auch ein junges Mädchen, das in der Rahmenhandlung des Films seine eigene Geschichte einer unerfüllten Liebe erzählt. Mit großer Gelassenheit und dennoch hochartifiziell gelingt es dem Film, die eigene Filmsprache mit dem ästhetischen Selbstverständnis der Nomaden in Einklang zu bringen. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GABBEH
Produktionsland
Iran
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Sayaneh Dasti Film Teheran
Regie
Mohsen Makhmalbaf
Buch
Mohsen Makhmalbaf
Kamera
Mahmoud Kalari
Musik
Hossein Alizadeh
Schnitt
Mohsen Makhmalbaf
Darsteller
Shaghayegh Djodat (Gabbeh) · Hossein Alizadeh (Der Alte) · Abbas Sayahi (Onkel) · Roghieh Moharami
Länge
75 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Diskussion
Iran erscheint nach wie vor als kulturelle Terra incognita. In politisch-religiöser Hinsicht liegen die Klischees des fundamentalistischen Gottesstaates natürlich bereit, und einige Nachrichten aus dem weitgehend abgeschotteten Land bestätigen dann meist diese eurozentrischen Vorurteile. Hin und wieder gerät jedoch ein Spielfilm ins Blickfeld, der so gar nicht den Klischees entspricht, der vielmehr durch seine elementare Kraft ein Stück Utopie liefert: das einer universellen Poesie. Neben Abbas Kiarostami ist Mohsen Machmalbaf diese Sprache eigen. Mit „Gabbeh“ ist hierzulande nun erstmals einer der bisher 13 Spielfilme dieses populärsten iranischen Filmemachers überhaupt wahrnehmbar. Glücklicherweise, denn der Film mutet an wie eine geheimnisvolle Flaschenpost, gewährt Einblick in einen uns sonst verborgenen, zauberhaften Kosmos. Ein Märchen, gewiß, aber wie arm wäre das Kino ohne märchenhafte Momente!

Traumlandschaft: eine Hütte inmitten von Olivenbäumen, ein klarer Bach schlängelt sich vorüber, staut sich leicht. Zwei sehr alte Menschen, Mann und Frau, machen sich daran, einen ihrer Teppiche zu waschen. Keinen gewöhnlichen Teppich, sondern einen „Gabbeh“, von Nomaden in kräftigen Farben geknüpft, mit einem erzählenden Motiv versehen: ein Pferd mit zwei Reitern, Mann und Frau, vor einem von Dunkelblau in Weiß übergehenden Hintergrund, sich Richtung Bildrand entfernend. Eindeutig, das Paar ist auf der Flucht. Als das Bild ins klare Wasser eintaucht, beginnt eine wunderschöne Erzählerin, auch ihr Name ist Gabbeh, von der Legende des Teppichs zu berichten. Es ist ihre eigene Geschichte. Weil ihr Vater in die Heirat nicht einwilligt, immer wieder neue Gründe für einen weiteren Aufschub vorschützt, folgt Gabbehs Liebster in gebührendem Abstand dem Nomadenstamm, dies über Monate hinweg. Nur nachts kann er Kontakt mit ihr aufnehmen, von weither sendet er seine Rufe als die eines einsamen Wolfs ins Lager des Stammes. Außer ihrem Onkel, der selbst ein Außenseiter ist, versteht kein Mensch die Sehnsucht des Mädchens. Eines Morgens ermuntert er es sogar, endlich mit dem Geliebten zu fliehen. Als der Vater das Fehlen der Tochter bemerkt, bricht er auf, um die vermeintliche Schande zu sühnen. Niemand weiß, ob ihm dies wirklich gelingen wird. Möglich, daß die beiden Alten, die in der Rahmenhandlung zu sehen sind, niemand anderes als Gabbeh und ihr Geliebter sind. Mohsen Machmalbaf wollte ursprünglich eine Dokumentation über die Herstellung der Gabbeh-Teppiche drehen, reiste wochenlang mit einem Nomadenstamm im Südosten Irans durch Wälder, Wüsten und Gebirge. Erst während der Montage reifte der Entschluß, das Material zu einer fiktiven Geschichte zu erweitern; die nachgedrehten Szenen wurden in die schon vorhandenen Aufnahmen integriert. Man merkt diesen langen Entstehungsprozeß dem Film nicht mehr an, es vermittelt sich vielmehr ein äußerst harmonischer Eindruck. Dies liegt auch daran, daß den dokumentarisch konzipierten Aufnahmen bereits ein fast fantastischer Hauch anhaftet. Bereits die alltäglichen Verrichtungen der Nomaden scheinen nämlich von einem geradezu rituellen Gestus getragen. Diese Feierlichkeit korrespondiert mit der dramatisch wechselnden Landschaft und wird schließlich bei der Herstellung der Teppiche zur Synthese geführt. Sämtliche Handlungen hängen entweder mit der Vorbereitung des Knüpfens selbst zusammen – Aufzucht der Schafe, Schur, Färbung der Wolle – oder fließen inhaltlich in die Motive der Teppiche ein – das Nomadisieren, Liebe, Geburt, Tod. Die Gabbehs stellen deshalb in der Tat ein Medium dar, fungieren als Mittler zwischen den irdischen und transzendenten Ebenen des Daseins. Damit beschreibt der Regisseur ein künstlerisches Selbstverständnis, das seinem eigenen sehr nahekommt: Filme zu machen aus dem natürlichen Rhythmus des Empfindens heraus, als unmittelbarer Impuls auf die Nöte und Glücksmomente des Alltags. Daß Machmalbaf diesem Ideal sehr nahe gekommen ist, spürt man durch die Gelassenheit, die von seinem Film ausgeht. Er ist hochartifiziell und völlig unaufdringlich in einem, läßt vergessen, daß es sich um eine mit technischen Vehikeln entstandene Arbeit handelt. Selten wurde deutlicher, wie inhaltlich irrelevant all die teuren Extravaganzen sind, die einem ständig von den großen Studios aufgedrängt werden.
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