Cross Over

Musikfilm | Deutschland/Schweiz 1996 | 100 Minuten

Regie: Thomas Tielsch

Dokumentarisches Roadmovie, das den erfolgreichen Versuch einer Verteidigung unternimmt: Rehabilitiertes Objekt ist die Volksmusik des deutschsprachigen Raums, wobei der Film beweist, daß es zumindest in Teilen Österreichs und der Schweiz noch Momente eines sozialen Gefüges gibt, in denen Musizieren und Tanzen zum Lebensrhythmus gehören. Die Musik, atmosphärisch dichte Bilder, Aussagen Einheimischer und ein zurückhaltender Kommentar verbinden sich zu einem faszinierenden Film-Gedicht. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
CROSS OVER
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Thomas Tielsch Filmprod./Dschoint Ventschr
Regie
Thomas Tielsch
Buch
Thomas Tielsch
Kamera
Niels Bolbrinker
Musik
f.s.k. · Attwenger
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm | Road Movie

Diskussion
Thomas Tielsch unternimmt in seinem dokumentarischen Road Movie den erfolgreichen Versuch einer Verteidigung. Rehabilitiertes Objekt ist dabei nichts anderes als die Volksmusik des deutschsprachigen Raums. Dies klingt paradox - assoziieren doch Jodelgesang, Blasorchester und Akkordeon noch immer allgegenwärtige Auswüchse einer ebenso populistischen wie penetranten Schunkel-Kultur. Tielschs Exkurs beweist, daß es, zumindest in Teilen Österreichs und der Schweiz, noch Momente eines sozialen Gefüges gibt, in denen das Musizieren und Tanzen ganz selbstverständlich zum Lebensrhythmus gehört. Es ging also darum, diesen gerade noch vorhandenen Rudimenten authentischer Kultur gegenüber den Klischees ihrer pervertierten Form zum Recht zu verhelfen. Dem "Wollt Ihr die totale Gemütlichkeit?!" der Volkstümelei à la "Musikantenstadl" setzt der Film Belege archaischer Volkskultur entgegen. Er beschränkt sich dabei nicht auf Musik, sondern liefert darüber hinaus atmosphärisch dichte Bilder aus den bereisten Regionen. Verbunden mit den Aussagen der vor Ort Wohnenden und einem zurückhaltenden Kommentar fügt sich "Cross Over" zum durchweg gelungenen Film-Gedicht. Die eingestreuten historischen Splitter reißen an, verzetteln sich nicht in Interpretationen. Auf 35mm gedreht, mit einer sorgfältig gemischten Dolby-Surround-Tonspur versehen, haftet "Cross Over" eine angenehme Gelassenheit an - wie ein fast beiläufiger Kommentar auf Nietzsches Spruch: "Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum."

Die Reise beschreibt eine Kreisbewegung durch die Schweizer und österreichischen Alpen, streift dabei Basel als Ausgangs- und Zielort. Hier sind viele hundert Frauen und Männer aus allen sozialen Schichten über Monate hinweg mit der Vorbereitung der Fastnachtsumzüge beschäftigt. "Cliquen" formieren sich zu Gruppen aus Pfeifern und Trommlern, die in einer einzigen Nacht ihre investierte Zeit und Energie entladen. In Süd-Kärnten, wo sich die Bevölkerung noch vor wenigen Jahrzehnten in einem slowenischen Dialekt verständigte, ist die sprachliche Identität zwar seit 1938 weitgehend zerstört worden, die "wendischen" Volkslieder aber haben überlebt. "Es sind die schönsten", wie die Bauern sagen. Mit ihrem aufwendigen Mummenschanz aus Fellen, Federn, Hörnern und den schwarzen Masken eher an Südsee-Insulaner erinnernd, stapfen die "Klausen" durch den kniehohen Schnee des Appenzeller Ian des, Männer, die, einer Ian gen Tradition folgend, am Silvestertag zu den entlegenen Berghöfen ziehen, um den dortigen Bewohnern mit wunderschönen A-Capella-Gesängen ein gutes neues Jahr zu wünschen. Ein Bauer in der Ost-Steiermark hat 23 Jahre Ian g an einer "Weltmaschine" gearbeitet, mit der er die Zyklen der Jahreszeiten, von Aussaat und Ernte, von Geburt und Tod darstellen wollte. Seine Witwe bringt den riesigen Apparat mit seinen unzähligen Rädern und Lampen vor den Augen des staunenden Zuschauers in Gang. Des weiteren erlebt man einen Ian dwirt, der in der Nähe von Linz einen Hof betreibt, um diesen überhaupt halten zu können, sich aber im Stahlwerk der Industriestadt verdingt. Täglich arbeitet er zwischen 12 und 15 Stunden und findet dennoch Zeit, mit der Dorfkapelle zu musizieren.

Die zahlreichen Stationen des Films sind durch Auftritte verschiedener Musikgruppen verbunden. Höhepunkt ist der Ausschnitt aus einem Konzert der Linzer Band "Attwenger" (vgl. "Attwenger-Film", fd 32 072) - die Aufnahmen der vehement aufspielenden Gruppe werden mit Sequenzen aus "Cross Over" verschnitten und erzeugen so einen idealen Music-Clip. Überhaupt sorgen die Szenen mit jenen Formationen, die sich des regionalen Erbes offensiv bemächtigen, für einen fast optimistisch stimmenden Gestus des Films; es gibt durchaus zeitgenössische Künstler mit einem ausgeprägten Sinn fürs Traditionelle. Gerade die Stücke von "Attwenger" in ihrer verblüffend harmonischen Synthese aus Punk und Blasmusik zeigen, welche Potenzen der sonst ausschließlich vorverurteilten Heimatmusik noch innewohnen.
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