Eine junge Frau gerät in einem Pariser Vorort in einen gigantischen Nachtclub und läßt sich von der hypnotischen Mischung aus Techno-Musik, Licht und Stimmung anstecken. Dabei lernt sie einen wortkargen Algerier kennen, der seine Drogensucht durch illegale Boxkämpfe finanziert. Die naiv-kindliche Liebe, mit der sie ihm begegnet, erweist sich als Initialzündung. Ein ebenso suggestiver wie hellsichtiger Film, der sich traditionellen Erzählmustern verweigert. Er beleuchtet mit ungeschminkten Bildern viele Facetten der Clubszene und artikuliert inmitten aller Tristesse und Weltflucht eine schwer begründbare Zuversicht.
- Ab 16.
Clubbed to Death
- | Frankreich 1996 | 90 Minuten
Regie: Yolande Zauberman
Kommentieren
Filmdaten
- Originaltitel
- CLUBBED TO DEATH
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 1996
- Produktionsfirma
- Madar
- Regie
- Yolande Zauberman
- Buch
- Yolande Zauberman · Noémie Lvovsky
- Kamera
- Denis Lenoir
- Musik
- Philippe Cohen-Solal
- Schnitt
- François Gédigier
- Darsteller
- Élodie Bouchez (Lola) · Béatrice Dalle (Saida) · Roschdy Zem (Emir) · Richard Courcet (Ismaël) · Gérald Thomassin (Paul)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Zwei junge Frauen laufen nachts durch Paris, zählen kichernd und halb im Scherz die Namen ihrer Liebhaber auf. Eine endlose Liste. Im Bus schläft eine von ihnen ein, wacht erst an der Endstation wieder auf. Allein, irgendwo in der trostlosen Peripherie der Banlieue. In der Ferne ein blauer Lichtschein, rhythmisches Dröhnen, ein Techno-Tempel inmitten einer kathedralartigen Ruine. Neugierig läßt sie sich treiben, taucht ein in die wogende Masse, verliert sich im hypnotischen Nebel aus Licht und Musik, über dem eine dunkle Liebesgöttin namens Saida von Ekstase singt. Als der Morgen graut, hat Lola ihre Unschuld verloren; flieht verwirrt und übernächtigt zurück in ihre bürgerliche Welt. Und kehrt doch am Abend wieder, um Emir zu sehen, einen wortkargen Algerier, der seine Drogensucht durch illegale Boxkämpfe finanziert."Sich zu Tode tanzen", "zu Tode prügeln", heißt Yolande Zaubermans zweiter Film, der nicht gegensätzlicher hätte ausfallen können. Eben noch in "Ivan und Abraham" (fd 32 621) um poetische Authentizität der jiddischen Schtetl-Welt bemüht, stürzt sie nun in die vibrierenden, aufgeputschten Nacht- und Randzonen der Gegenwart. Ohne zu zögern wirft sie die traditionelle Erzähldramaturgie über Bord und ordnet den Fluß ihrer Bilder ganz dem wilden, hektischen Pulsschlag der gesampelten Musik unter. Rauh und grobkörnig kommen ihre Aufnahmen daher, von einer unruhigen Handkamera wie mitten aus dem Geschehen geklaut, fahrige Ausschnitte einer Wirklichkeit, in der Vorstellungen von Einheit oder einem Zentrum allenfalls noch in der Metapher vom Teufelskreis nachklingen, der Emir, seinen Bruder Ismaël und die Tänzerin Saida gefangen hält. Zusammen hausen sie in der Nähe des Nachtclubs in einer besseren Baracke, eine Notgemeinschaft, die aufeinander angewiesen ist und doch keinen glücklich macht. Saida bettelt um Emirs Liebe, der sich nur für den nächsten "Schuß" interessiert, während sein Bruder gegen Emirs erklärten Willen einen weiteren Kampf vereinbart, um ihre Schulden bezahlen zu können. Mit einem kindlich-naiven Lächeln stolpert Lola in diese Szenerie, unfähig, mehr als ihre eigenen Gefühle zu begreifen, und bringt gerade dadurch das Gefüge der Abhängigkeiten durcheinander. Gleißend hell blendet das Licht, wenn Emir sich aus der Dunkelheit der Katakombe über einen dichtgedrängten Marktplatz schleicht, um sich auf Entzug zu begeben; wie angeschlagen taumelt die Kamera in der Boxarena, wenn die Fäuste blutige Spuren an den Kämpfern hinterlassen. Doch wenn Lola später Emirs geschundenes Gesicht in ihren Händen hält, huscht ungeachtet der Schmerzen ein Anflug von Zuversicht darüber hinweg, und selbst Saida scheint ihre "Nachfolgerin" zu akzeptieren.Von Hoffnung und einer schwer begründbaren Zuversicht erzählt Yolande Zaubermans außergewöhnlicher Film schon lange zuvor durch die Stimmung, die er vermittelt. Bei aller Tristesse der verödeten Trabantensiedlungen, dem ungeschminkten Blick auf Elend, Isolation und Einsamkeit, durchpulst ein warmer, vitaler Ton das fragmentarische Mosaik, dessen nacherzählbare Geschichte die Regisseurin treffend mit einem Opernlibretto verglichen hat. Dessen Herzstück bildet die um Soul und melodiöse Gesangsstücke ergänzte Techno-Musik, die es zusammen mit der bravourösen Leistung der Darsteller erst möglich macht, daß die rhapsodische Struktur nicht in ihre Bestandteile zerfällt. Obwohl bis auf die Eingangssequenz kaum gesprochen wird und sich manche Handlungssequenz nur aus dem Gesamtgefüge verstehen läßt, erschließt sich der Film wie ein Opernball dem Blick eines Uneingeweihten, der aus der Fülle der Eindrücke erst nach und nach erkenn- und verknüpfbare Muster gewinnt. Vor allem das warme, offene Lächeln der Nachwuchsschauspielerin Elodie Bouchez geleitet dabei wie ein Fixstern durch das Gewirr der tanzenden, taumelnden Körper, die nachts in dem Musikbunker jene Erfüllung suchen, die ihnen tagsüber von den Verhältnissen verwehrt wird.Auch wenn die sperrige Filmsprache es dem Zuschauer kaum erlaubt, aus der Position des distanzierten Betrachters herauszukommen, vermittelt ihm die radikale Unvermitteltheit tiefere Einblicke in Magie und Faszination der Clubszene, als dies jede noch so sorgfältige Reportage oder Dokumentation vermöchte. Der religiöse Charakter stundenlanger Raves wird ebenso spürbar wie ein zugrundeliegender existentieller Mangel, der mit Musik, Drogen oder archaischen Männerritualen gefüllt wird. Lolas schwarzes Kleid, das sie den ganzen Film über wie eine zweite Haut trägt, ist um den Bauchnabel herum kreisrund ausgeschnitten: Eine Öffnung, die mal als Loch in der Seele gedeutet, mal als neckischer Modegag verstanden wird. Während die Männer in ihren knisternden Lederklamotten zugeknöpft und bis auf Schmerz und Gewalt unnahbar wirken, erscheint die junge Frau, die mit ihrer entwaffnenden Selbstverständlichkeit lange eingefahrenen Verhärtungen trotzt, transparent und in ihrer ganzen Fragilität sogar stärker als jede Sucht. Bei aller ausweglosen Größe und Maßlosigkeit der Figuren, die diesen Kosmos bevölkern, bleibt zugleich stets auch ein Gefühl der Sympathie und Anteilnahme spürbar, das außerdem von der Kraft und den Visionen ihrer Schöpferin erzählt, die ihr ungeheuer souveränes Experiment auf die Quintessenz, daß es schwer sei, als Mensch zu leben, verdichtet hat. Ein Kommentar, der auf weitere sperrige Arbeiten hoffen läßt.
Kommentar verfassen