Ivan und Abraham

Drama | Frankreich 1993 | 105 Minuten

Regie: Yolande Zauberman

Zwei Jungen, ein Jude und ein polnischer Christ, verlassen Anfang der 30er Jahre die Enge ihres "schtetls" an der polnischen Ostgrenze, um den Vorurteilen, die ihre Freundschaft belasten, zu entfliehen. Sie können zwar zur Rückkehr bewegt werden, finden das Heimatdorf jedoch durch ein Pogrom verwüstet und verlassen vor. Ein ebenso spröder wie poesievoller Film, der in beeindruckenden Schwarz-Weiß-Bildern die untergegangene Welt des Ostjudentums beschwört und der Menschheitserinnerung verpflichtet ist. (O.m.d.U.; Fernsehtitel: "Ich Ivan, du Abraham") - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
MOI IVAN, TOI ABRAHAM
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Hachette Première/UGC Images/Les Films Balenciaga/La Sept Cinéma/Vitt/Europa Plus/Canal +/Sofica Sofinergi/Centre National de la Cinématographie/Procirep
Regie
Yolande Zauberman
Buch
Yolande Zauberman
Kamera
Jean-Marc Fabre
Musik
Ghedalia Tazartes
Schnitt
Yann Dedet
Darsteller
Roma Alexandrowitsch (Abraham) · Sascha Jakowlew (Ivan) · Wladimir Maschkow (Aaron) · Maria Lipkina (Rachel) · Rolan Bykow (Nachman)
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (Video)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Ein kleines Dorf an der polnischen Ostgrenze Anfang der 30er Jahre. Auf den ersten Blick scheint das Gemeinwesen intakt, Juden leben friedlich neben Polen, Sinti und Russen, der Handel und das Gewerbe blühen, jeder hat sein Auskommen. Doch es gährt unter der Oberfläche. Den Polen sind die Spekulationen des Großgrundbesitzers Nachman suspekt, die Juden wiederum achten sorgsam darauf, unter sich zu bleiben. Das muß auch der neunjährige Abraham schmerzhaft erfahren, dem eine Freundschaft mit dem 13jährigen "goi" Ivan, einem polnischen Christenjungen, untersagt wird. Zunächst fügt sich Ivan in sein Schicksal, bleibt auf Distanz und reagiert störrisch, doch irgendwann fassen die beiden Freunde den Entschluß, das "schtetl" zu verlassen, um ihre Zukunft in der großen weiten Welt zu suchen, die gewiß Platz für sie und ihre Freundschaft haben wird. Als ihr Verschwinden entdeckt wird, überredet Rachel, Abrahams ältere Schwester, den Kommunisten Aaron, der auf der Flucht vor der Polizei ist, die beiden Kinder zu suchen und verläßt ebenfalls das Dorf, über dem sich seit geraumer Zeit bedrohliche Schatten zusammenbrauen. In der Fremde reifen Abraham, der sich seine Schäfchenlocken abgeschnitten hat und als Sinti-Junge vagabundiert, und Ivan, der erste, scheue Erfahrungen in Sachen Liebe macht. Abraham ist erstmals frei von den Zwängen seiner Gemeinschaft, darf auf einem Pferd reiten und ein Fohlen in die Arme nehmen. Rachel und Aaron können die beiden Freunde schließlich zur Rückkehr bewegen, ein Entschluß, der für sie selbst mittlerweile außer Frage steht; sie wollen ihr Glück und ihre Zukunft in Frankreich suchen, Die Kinder kehren heim, finden jedoch keine Heimat mehr vor. Das Dorf ist verwüstet, der lang angestaute Haß, die latente Feindseligkeit hat sich in einem Pogrom entladen, die Juden sind tot oder vertrieben, die Gemeinschaft hat aufgehört zu existieren. Abraham sieht zwar, aber begreift nicht so recht, Ivan schließt den Freund in die Arme. Nie mehr wird es so sein wie früher, nie mehr so, wie es sein soll.

Mit "Ivan und Abraham" hat Yolande Zauberman in ihrem ersten Spielfilm eine ebenso liebevolle wie poetische Hommage an das Ostjudentum geschaffen, die sich bis ins Kleinste bemüht, eine untergegangene Welt und Kultur wieder auferstehen zu lassen. Das Leben im "schtetl" wirkt authentisch, ist akribisch rekonstruiert, die unterschwellig verlaufenden Konflikte schaffen eine Atmosphäre der latenten Bedrohung: jede Volksgruppe hat ihr Leben mit jeder anderen austariert, und doch belauert man sich, traut dem Frieden nicht mehr. Ein Leben am Abgrund, den man jeden Tag vor Augen hat, doch vor dem man täglich die Augen verschließt - schließlich muß das Leben ja weitergehen. Eine mutige Produktion, gefilmt in der Ukraine und in Belorußland, gespickt mit Stars des ehemaligen Sowjetkinos, die nicht nur in bezug auf eine verlorene Welt rückbesinnend wirken, sondern die sich zugleich in die (Film-)Geschichte dieser Welt einschreiben will. So wirken viele Szenen dieser gediegenen Schwarz-Weiß-Produktion wie Artefakte des jiddischen Kinos selbst, das in den 30er Jahren in Osteuropa und Amerika seine Höhepunkte feiern konnte und auch heute noch Belege für die Virtualität einer ausgelöschten Kultur liefert.

Ein spröder, sperriger Film mit zwei ausgezeichneten kindlichen Hauptdarstellern, der jiddisches Leben vor dem Holocaust zeigen will, der Anteilnahme provoziert, ohne sentimental zu sein, der der Menschheitserinnerung verpflichtet ist, der zeigen will, wie es war und zugleich dokumentiert, wie es nie mehr sein wird. Ob sich der Film an der Kinokasse durchsetzen wird, ist fraglich. Schon das Sprachgewirr aus jiddisch, polnisch, russisch und Sinti, in der vorliegenden Fassung unterstützt durch deutsche Untertitel, macht es dem Zuschauer schwer, verlangt seine ganze Aufmerksamkeit. So ist eine Geschichtslektion entstanden, deren karge Schönheit man zwar genießen kann, die eine vernichtete Kultur jedoch nicht bloß Revue passieren lassen will, sondern die aktive Erinnerungsarbeit verlangt und in beeindruckenden Schwarz-Weiß-Bildern eine Welt beschwört, deren Untergang zu den großen Verbrechen der Menschheitsgeschichte gehört.
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