Im Jahr 1881 unternimmt der Bayernkönig Ludwig II. mit dem Hofschauspieler Josef Kainz eine Reise in die Schweiz, während der der Mime Schillers "Wilhelm Tell" an Originalschauplätzen rezitieren soll. Ein auf den ersten Blick historisch angelegter Film. Seine weitgehend statischen Bilder verweisen aber auch auf die Unmöglichkeit der Gleichheit, und Ludwig II. wird als Medienmensch in modernem Sinne dargestellt. Besonders interessant: der Status der Natur, die zur Kulisse umfunktioniert wird. Intelligente Unterhaltung, die zu Überlegungen über Wahrhaftigkeit und die Macht der Medien anregt.
- Ab 16.
Ludwig 1881
Biopic | Schweiz/Deutschland 1993 | 90 Minuten
Regie: Donatello Dubini
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Filmdaten
- Originaltitel
- LUDWIG 1881
- Produktionsland
- Schweiz/Deutschland
- Produktionsjahr
- 1993
- Produktionsfirma
- Dubini/Tre Valli
- Regie
- Donatello Dubini · Fosco Dubini
- Buch
- Donatello Dubini · Fosco Dubini · Barbara Marx
- Kamera
- Matthias Kälin
- Musik
- Heiner Goebbels · Kronos Quartet
- Schnitt
- Donatello Dubini
- Darsteller
- Helmut Berger (Ludwig II.) · Max Tidof (Josef Kainz) · Dietmar Mössmer (2. Diener) · Michael Schiller (1. Diener) · Herbert Leiser (Hesselschwert)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Biopic
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
"Ludwig 1881" erzählt eine wahre Begebenheit aus dem Leben des Bayernkönigs Ludwig II, der im Jahr 1881 zusammen mit dem Bayerischen Hofschauspieler Josef Kainz inkognito eine Reise in die Schweiz unternahm. An Originalschauplätzen sollte der Schauspieler nur für den König Szenen aus Schillers "Wilhelm Tell" rezitieren. Um die Distanz zwischen beiden Männern einzuebnen, reisten sie auf Wunsch des Monarchen als vermeintliche Freunde unter den bei Viktor Hugo entlehnten Namen Marquis de Saverny und Monsieur Didier. Doch das Experiment einer idealen Symmetrie, einer Aufhebung der Standesunterschiede durch die Annahme einer literarischen Identität scheitert, und der Schauspieler muß erkennen, daß der König ihm immer eine Existenz im voraus war: "War ich Melchthal, war er Saverny, war ich Didier, war er der König", lautet sein Fazit am Ende der Fahrt.Daß es keine Gleichheit unter Ungleichen gibt, ist allerdings nur ein Aspekt der Filmerzählung, die das Experiment des Königs durch ihre eigene Inszenierung immer wieder auch ironisch unterläuft: jeder Reisetag beginnt nicht unähnlich wie Greenaways "Der Kontrakt des Zeichners" (fd 24 471) mit Musik und der Verlesung der königlichen Anweisungen aus dem Off. In meist unbewegten Einstellungen beobachtet man aus gebührender Entfernung die Vorbereitung und Durchführung der Rezititationen, und in der Verwandlung der Schweizer Natur in die Kulissen einer königlichen Inszenierung konterkariert sich das Anliegen des Monarchen selbst. Anstatt die theatralische Inszenierung durch die Originalschauplätze ins Leben zurückzuholen, wird sie in den Tableaux der Dubinis erst recht als Inszenierung festgeschrieben. Ihr Ludwig, so wird klar, empfindet nur in der (medialen) Verwandlung von Natur.Für komische Momente sorgt in seinem Widerspruch zu den Widrigkeiten der Naturkulissen vor allem das wilde Deklamieren des Schauspielers Kainz (sehr facettenreich Max Tidof), das den König im Film dennoch schwärmerisch berührt, während es uns Heutigen nur schaurig übertrieben scheint. Und mit einem Dienerpaar, das das Geschehen aus der sicheren Perspektive seiner Bindung an die Macht kommentiert, haben die Regisseure sogar einen running gag eingebaut, der den Schauspieler peu à peu demontiert. Hinter Josef Kainz wird zunehmend der ehrgeizige Seppl sichtbar, der um jeden Preis Karriere machen will. Vergleiche auch zu anderen Konstellationen dieser Art sind durchaus zu ziehen.Aus der Strenge seiner visuellen ebenso wie seiner musikalischen Komposition und aus dem funktionalen, unpathetischen Spiel seiner Darsteller gewinnt der Film zum historisch verbürgten Geschehen eine analytische Distanz, aus der heraus die Reisegeschichte in ihrer ganzen intellektuellen Komplexität erfaßbar wird: nicht nur als verordnete Begegnung zwischen einem Machthaber und seinem Künstler, sondern auch als das Aufeinandertreffen einer künstlerischen Idee (Ludwig) mit einem von irdischem Ehrgeiz angetriebenen Kunsthandwerk (Kainz). Dabei gilt die Sympathie der beiden Regisseure weniger dem karrierebedachten Schauspieler als dem König, in dessen empfindungsbeseEltern Verlangen nach Beherrschbarkeit der Natur in der Kunst sie einen Vorläufer ihrer eigenen Arbeit sehen. Immer wieder wird die Geschichte der Reise von solchen Szenen unterbrochen, die Ludwig als Gönner von Ingenieuren, Chemikern, Fotografen, kurz als Förderer neuer Technologien zeigen, die zehn Jahre nach seinem Tod ihre Vollendung im Film finden werden. Die Reisegeschichte als Mediengeschichte wird endgültig klar, wenn Ludwig aus dem gescheiterten Experiment ein anderes Fazit zieht als Kainz; daß er der Herrscher ist und bleibt, daran hatte er trotz seines Vorschlags der egalitären literarischen Existenz niemals gezweifelt, doch daß der Mensch wie die Natur so unzuverlässig sind, läßt ihn schließlich endgültig von den Reiseerfahrungen auf die Seite ihrer besseren Simulation in den Medien übergehen.Am Ende des Films will er sich nicht mehr selbst bewegen müssen, sondern "alles an einem Ort erleben", und er stattet die Grotte seines Schlosses Linderhof mit allen dafür zur Verfügung stehenden Techniken aus: mit einer Wellenmaschine, einer Windmaschine, einem Phonographen und einer Laterna Magica. Wie Ludwig auch die Fotografie in ihrem ganzen Spektrum zu nutzen wußte, nimmt die theoretischen Probleme des Mediums Film exemplarisch vorweg: einerseits hegte er den Plan, sich wie in einem fantastischen Film von Méliès in einem Pfauenwagen über einem See fliegend fotografieren zu lassen, während er andererseits, alle Dilemmata des dokumentarischen Bildes implizierend, von Kainz und sich ein Erinnerungsfoto machen ließ: der König sitzt, Kainz steht rechts neben ihm, seine Hand freundschaftlich auf Ludwigs Schulter gelegt. Kainz tat dies auf Aufforderung, später wurde sein ganzer linker Arm wegretouschiert. Die Fälschung erweist sich wieder einmal als wahrer als die Wahrheit."Die Natur gilt bei uns nichts, Herr Kainz, Verwandlung ist alles. Sie müssen die Natur verwandeln", klärt der Hofmarschall den Schauspieler auf, der nicht versteht, warum sein erster Vortrag dem König nicht gefallen hat. Jenes Begehren nach Verwandlung setzt der Film der Dubinis vor allem als Verwandlung der zweiten Natur in Szene. "Ludwig 1881" verdichtet die historische Reise in eine exemplarische Kulturgeschichte der Medien und unterwirft dabei vertraute Bilder selbst der Wandlung: das Bild des weltfremden Märchenkönigs Ludwig transformiert er in das Bild eines modernen Medien-Menschen, das Bild von Helmut Berger, der nach Visconti hier erneut den Ludwig spielt, wandelt er vom Partyschreck zum ernsthaften Schauspieler, das Bild der Schweiz schließlich befreit er von der Buntheit der Folklore, indem er die Schraube der Fiktionalisierungen in die Flachheit der Bühnenmalerei überdreht. "Ludwig 1881" ist trotz seiner historischen Geschichte ein ganz und gar zeitgenössischer Film, der über die Medien mehr zu sagen weiß als all jene Filme, die sich mit dem Vorführen von Monitoren und Kameras in der bloßen Anspielung erschöpfen - eine intelligente Unterhaltung über das Verhältnis von Macht und Kunst und die Verwandlung von Natur ins Bild.
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