In "Mein Krieg" (fd 28 771) zeigte Thomas Kufus den Rußland-Feldzug aus der Sicht deutscher Landser, nun läßt er Zeitzeugen aus der ehemaligen Sowjetunion zu Wort kommen. Als Sujet wählte er die Blockade Leningrads, das 1941 von 153 deutschen Divisionen umzingelt wurde. Hitler wollte am Geburtsort der russischen Revolution - dem "Zentrum jüdisch-bolschewistischer Intelligenz" - seine perverse Idee testen vom "Lebensraum schaffen durch Entvölkerung des europäischen Teils der UdSSR": Leningrad sollte dem Erdboden gleichgemacht werden. So beschloß das "Oberkommando der Wehrmacht", eine eventuelle Kapitulation nicht anzunehmen. Aber die Stadt wehrte sich und trotzte 900 Tage den Angriffen, bis sie im Januar 1944 von der "Roten Armee" von der Blockade befreit wurde. Während der Blockade sind etwa eine Million Menschen durch den Artilleriebeschuß, vorwiegend aber durch Hunger und Kälte ums Leben gekommen.Daß man hierzulande nicht gerne über dieses schreckliche Kriegsverbrechen gesprochen, geschweige denn nachgedacht hat, liegt angesichts kaum stattgefundener Vergangenheitsbewältigung auf der Hand. Leningrad wurde abgehakt als ganz "normale" Schlacht des Rußland-Feldzuges. Aber auch die Gegenseite tat sich schwer mit der Aufarbeitung: die Parteiführung in Moskau ignorierte nach dem Krieg die Leiden der Bevölkerung und "verkaufte" die Befreiung ausschließlich als militärische Leistung. Sie setzte die Bevölkerung nach dem Kriege gar im Rahmen der stalinistischen Säuberungsaktionen weiterem Terror aus. So ist diese großzügig angelegte Stadt mit ihren Prachtboulevards und weitläufigen Plätzen eigentlich nie zur Ruhe gekommen, konnte ihre ursprüngliche Schönheit nie mehr entfalten. Noch heute sieht man die Spuren des Krieges. Diese Authentizität spiegelt sich auch in den mit viel Gespür für Atmosphäre komponierten Bildern wieder, die Kufus ohne inhaltlichen Zusammenhang gegen erst jetzt wieder entdeckte Archiv-Aufnahmen setzt. So bleibt es dem Zuschauer überlassen, Zusammenhänge herzustellen, sich einerseits in die Topografie der Stadt einzusehen, sich andererseits die historische Situation, die ein wohltuend spärlicher Kommentar erläutert, zu vergegenwärtigen. Nach einem kurzen Schock zu Beginn - deutsche Kriegsverbrecher werden öffentlich gehängt - und einigen wenigen Aufnahmen von der militärischen Verteidigung der Stadt konzentriert sich der Film ganz auf das "alltägliche" Leben in der belagerten Stadt. Dazu befragt Kufus auch Zeitzeugen, die die Blockade überlebt haben. Sie ergänzen das, was die Bilder nicht zeigen: den Kampf um die tägliche 125-Gramm-Brot-Ration, die Angst vor zweifelsohne stattgefundenem Kannibalismus, aber auch die Hoffnung auf Rettung, der man durch die Fortführung kultureller Veranstaltungen Ausdruck gab. Trotz aller erlebten Schrecken spricht aus den Menschen nicht Haß, sondern eher ein fast ungläubiges Erstaunen über die "Bestie" Mensch. Und immer wieder mischt sich in die Aussagen auch jenes Quentchen Humor, der damals das Leid besser ertragen und heute den Erinnerungen den Schrecken nimmt. Vielleicht ist der Film ein wenig zu distanziert montiert, spricht er zu wenig die Emotionen an, um aufzurütteln; vielleicht kommt er, vom Thema her, 40 Jahre zu spät und ist ein wenig zu lang geraten - denn irgendwie stellt sich am Ende nicht jene Betroffenheit ein, die einen motivieren könnte, nicht gleich zur Tagesordnung überzugehen. Denn "Blockaden" sind keine auf Weltkriege festgelegte Erscheinungen.