Ich war neunzehn

Drama | DDR 1967 | 120 (gek. 115) Minuten

Regie: Konrad Wolf

Ein emigrierter Deutscher kehrt 1945 als Leutnant der Sowjetarmee in seine Heimat zurück und versucht, Antworten auf Fragen nach Vergangenheit und Gegenwart zu finden. Der nach Erinnerungen Konrad Wolfs facettenreich in Episoden gestaltete Antikriegsfilm beschreibt ohne Pathos und Larmoyanz die Schrecken des Krieges und macht die Schuld der Deutschen deutlich. Dabei bemüht er sich um ein Höchstmaß an Authentizität, verzichtet auf Idealisierungen und stellt Menschen mit ihren Eigenheiten und Schwächen dar. Trotz der parteilichen Emotionalität bleibt genügend Raum für eigene Assoziationen. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik filmfriend

Filmdaten

Produktionsland
DDR
Produktionsjahr
1967
Produktionsfirma
DEFA, Gruppe "Babelsberg 67"
Regie
Konrad Wolf
Buch
Konrad Wolf · Wolfgang Kohlhaase
Kamera
Werner Bergmann
Schnitt
Evelyn Carow
Darsteller
Jaecki Schwarz (Gregor) · Wassili Liwanow (Wadim) · Alexej Ejboshenko (Sascha) · Galina Polskich (Sowjetisches Mädchen) · Jenny Gröllmann (Deutsches Mädchen)
Länge
120 (gek. 115) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Konrad Wolf emigrierte mit seinen Eltern 1934 in die Sowjetunion. Damals war er neun Jahre alt. Im Januar 1943 trat er in die Rote Armee ein. Die beiden letzten Kriegsjahre gehörte er zur Politabteilung der 47. Armee, die sich den Weg vom Kaukasus bis nach Berlin erkämpfte. Diese Zeit hielt Wolf in einem Tagebuch fest, über das er später reflektierte: „Den unmittelbaren Anstoß dafür gab mir die ‘erste Feuertaufe’: Im Februar 1943 wurde unser Stab in Kabrdinka bei Nowosibirsk an der östlichen Schwarzmeerküste durch deutsche Stukas mit Bomben belegt. Es gab Tote, Verletzte. Für mich war es der erste Blick in die Fratze des Krieges und die erste Seite meines Tagebuches. (...) Am 16. April 1945 begann die Offensive der Sowjetarmee auf Berlin. Am 16. April bricht mein Tagebuch ab, wie es begonnen hatte - während eines schweren Luftangriffs auf eine Pontonbrücke über die Oder.“ Einige der letzten Eintragungen bildeten den Ausgangspunkt für „Ich war neunzehn“, vielleicht den persönlichsten Film Wolfs. Wie in anderen seiner Werke gestaltet er auch hier sein Lebensthema: das Verhältnis zu Deutschland, die Suche nach einer verlorenen, die Annäherung an eine fremde Heimat. Als der 19jährige Leutnant Konrad Wolf 1945 in das Land seiner Geburt zurückkehrte, trat es ihm wie ein monströses Gebilde entgegen, dem man sich eher schaudernd näherte. Die Sowjetunion dagegen hatte der deutsch-jüdischen Familie eine Zuflucht geboten; in Moskau erlebte Wolf seinen biologischen wie politischen Reifeprozeß. Bis zu seinem Tod 1982 verstand sich der Regisseur als Mittler zwischen den Völkern, Kulturen und Menschen. Der Film beginnt kurz vor dem 16. April 1945 an der Oder und endet am 3. Mai bei einem Bauerngehöft an einer Straße westlich Berlins; es ist die Zeit der letzten russischen Offensive. Hauptfigur ist Gregor Hecker, Wolfs Alter ego, Leutnant einer Aufklärungseinheit der Sowjetarmee. Von einem klapprigen Lautsprecherwagen aus, seit Monaten sein Zuhause, spricht er zu deutschen Soldaten, fordert sie zum Niederlegen der Waffen auf. Zu Beginn ist Gregors Blick auf „die“ Deutschen in vielem undifferenziert. Er bezweifelt, ob dieses Volk tatsächlich zu einer neuen, demokratischen Ordnung fähig ist. Gregor trifft in der episodischen Handlung auf eine Vielzahl von Figuren und Geisteshaltungen: eindrucksvoll etwa ein verzweifeltes, lethargisches Mädchen, dessen Angst und Pessimismus der junge Mann nicht aufzubrechen vermag, oder ein Landschaftsgestalter, der in der Nähe eines KZ lebte, seine Wissen darüber verdrängte und, umgeben von klassischer Literatur, in die innere Emigration geflüchtet war. Dabei montiert Wolf ganz unterschiedliche Gefühlsebenen: In einer Dokumentarfilmsequenz (aus „Todeslager Sachsenhausen“, 1946) zeigt er einen KZ-Henker, der detailliert wie ein Bürokrat Tötungsmechanismen beschreibt. Dann wieder inszeniert er die ausgelassene Feier zum 1. Mai mit Pelmeni, Wodka und einer Feuerwehrkapelle, zu dem die russischen Soldaten auch befreite deutsche Häftlinge einladen. Hecker begegnet Offizieren der Festung Spandau oder einem blindgeschossenen Soldaten, der den Satz auf den Lippen führt: „Wir haben viel gesehen“. Er trifft auf Standesdünkel, Borniertheit, Abgestumpftheit, Kälte, Unsicherheit. Im Prozeß des Zuhörens, Entdeckens und Erfahrens macht auch der Held eine Wandlung durch: Nicht Ehrenburgs zornige Sentenz „Tötet die Deutschen, wo Ihr sie trefft!“ wird fortan sein Handeln bestimmen, sondern die Erkenntnis, daß das äußerlich wie innerlich zerstörte Land nur mit seinen Bewohnern wieder aufgebaut werden kann. Hecker spürt, wie er plötzlich mit den Deutschen zu fühlen beginnt, sich für sie schämt, sich mit ihnen freut - der Abschied von der anderen, der russischen Heimat hat begonnen. Die letzte Sequenz hinterläßt freilich kein bruchlos optimistisches Bild: Ein versprengter Trupp von SS-Männern, der aus Berlin ausbrechen konnte, erschießt Gregors Freund, den jungen Russen Sascha. Gregor ruft den flüchtenden Schützen nach, daß er sie nie vergessen werden: „Ich werde hinter euch her sein, bis ihr verreckt seid (...) Bis ihr begriffen habt, daß es damit vorbei ist, ein für allemal vorbei.“ Er legt aus weiter Entfernung aus sie an, während ein gefangener deutscher Offizier abfällig kommentiert: „Deutsche schießen auf Deutsche.“ Mit solchen Szenen stellte Wolf die geschichtliche Wahrheit vom Kopf auf die Füße. „Ich war neunzehn“ war 1968 insofern auch ein mutiger Film, weil er dem glatten Geschichtsbild der SED widersprach. Offiziell war der Mai 1945 in der DDR längst auf den Begriff „Befreiung“ verengt worden; die Russen galten undifferenziert als „Freunde“; der Bürger der DDR konnte in seinem von oben gepflegten „antifaschistischen“ Bett die Mitschuld an Krieg und Tod vergessen. Wolf aber zeigt, daß nur die wenigsten sich 1945 auch „befreit“ fühlten: Die meisten waren angesichts der einmarschierenden Sieger von Angst, Haß, Verzweiflung, abgrundtiefen Pessimismus besessen, zugleich Träger und Leidtragender der Nazi-Ideologie. Die Kraft des Films geht von diesem rigorosen Wahrheitssinn aus - und von dem Bemühen um ein Höchstmaß an Authentizität. Dichte schwarz-weiße Bilder transportieren eine Stimmung, in der sich Trauer und Hoffnung immer wieder treffen. „Ich war Neunzehn“ gehört zu den herausragenden deutschen Antikriegsfilmen. Ohne jedes Pathos und ohne Larmoyanz macht Wolf die Schrecken des Krieges und die Schuld der Deutschen deutlich. Bei ihm werden, im Gegensatz zu anderen DEFA-Filmen, auch die Russen nicht zu Heroen stilisiert und bleiben Menschen mit Eigenheiten und Schwächen. Wolf überrumpelt den Zuschauer nie mit forcierter Emotionalität, sondern läßt zwischen den oft ehe aphoristischen Bildern genügend Platz für eigen Assoziationen. Stephan Hermlin schrieb 1983, unmittelbar nach Wolfs Tod, „Ich war neunzehn“ sei „unter allen Kriegsfilmen der am meisten beredte und der verschwiegenste“.

Kommentieren