Aus der Rückschau betrachtet, passt Paul Verhoevens kontroverses Drama „Elle“ ins Filmjahr 2017 wie die Faust aufs Auge. Der holländische Regisseur, der einst mit Filmen wie „Basic Instinct“ provozierte und um den es in den letzten Jahren stiller geworden war, feierte ein furioses Comeback mit einem Drama um eine Frau (Isabelle Huppert), die sich nach einer Vergewaltigung radikal weigert, sich als Opfer zu fühlen, und eine ebenso eigenwillige wie verstörende Bewältigungs- bzw. Rachestrategie verfolgt. Der Film, den unsere Kritikerin Alexandra Wach als „doppelbödiges Meisterwerk, mit dem man lange nicht fertig wird“ lobte, startete im Februar 2017 in den deutschen Kinos. Das war einige Monate, bevor der Skandal um Harvey Weinstein Hollywood erschütterte und lawinenartig die #MeToo-Bewegung in den sozialen Netzwerken in Bewegung brachte, die offenbarte, in welchem Ausmaß sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe (nicht nur) in der Filmbranche Usus sind.
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Mit dieser
Erkenntnis vor Augen, wirkt Verhoevens absurd-bittere Versuchsanordnung um
Gewalt, Begehren und Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern umso
brisanter – vielleicht mit ein Grund, warum so viele unserer Autoren den Film
nun am Ende des Jahres unter ihre „Top Ten“ der 2017 gestarteten Kinofilme zählten:
„Elle“ führt die Liste der FILMDIENST-Favoriten des letzten Kinojahres an,
gefolgt von Valeska Grisebachs „Western“– dem einzigen deutschen Lieblingsfilm
unserer Autoren –, Kenneth Lonergans Drama „Manchester by the Sea“und dem
„Goldener Bär“-Gewinner der letzten „Berlinale“, dem poetisch-surrealen
ungarischen Liebesfilm „Körper und Seele“ von Ildikó Enyedi.
In den deutschen Kinostarts des Jahres sind es einmal mehr vor allem die Sequels erfolgreicher Filmreihen, die ganz vorn in der Gunst der Zuschauer liegen: „Fack ju Göhte 3“, „Ich – Einfach unverbesserlich 3“, „FiftyShades of Grey 2“; auch der achte „Star Wars“-Kinofilm „Die letzten Jedi“ dürfte, nachdem er Mitte Dezember das zweiterfolgreichste Startwochenende aller Zeiten (nach dem Vorgängerfilm „Das Erwachen der Macht“) hingelegt hat, noch einen der vorderen Plätze erobern. In den Top Ten unserer Kritiker dagegen spielen Fortsetzungen normalerweise keine Rolle. Fürs Jahr 2017 haben sie aber eine Ausnahme gemacht: Denis Villeneuves Fortschreibung von Ridley Scotts „Blade Runner“, "Blade Runner 2049", hat es ebenfalls unter unsere zehn Favoriten geschafft. Der Film sei „selbst ein Replikant von einem Film, von dem man befürchtete, dass er sich über das Original hinwegsetzen könnte“, schrieb unsere Kritikerin Kathrin Häger in ihrer Rezension, „doch Villeneuve hat etwas komplett Neues geschaffen, ohne den Geist der Vorlage zu verraten.“ Offensichtlich steht sie mit dieser Begeisterung für das zutiefst melancholische Science-Fiction-Epos nicht alleine da.
Ungewöhnliche Zugriffe auf bekannte Genres hatten es unseren Kritikern 2017 auch an anderer Stelle besonders angetan. Wie im Fall der beiden französischen Filme unter unseren Top Ten:„Personal Shopper“ von Olivier Assayas dürfte der seltsamste Geisterfilm aller Zeiten sein; „Nocturama“von Bertrand Bonello greift das Thema „Terrorismus“ auf: als Porträt einer Jugend zwischen Aufbegehren und Melancholie, in das Referenzen an Filme wie John Carpenters „Assault – Anschlag bei Nacht“ und George A. Romeros „Zombie“ eingeflochten sind.
Während sich Damien Chazelles Musical „La La Land“ bei der „Oscar“-Verleihung 2017 nach einem kurzen Moment des Triumphs, der sich als peinliche Verwechslung entpuppte, Barry Jenkins' Coming-of-Age-Drama „Moonlight“ geschlagen geben musste, schaffte es der Film in der Gunst unserer Kritiker, sich vor „Moonlight“ zu platzieren und einen Platz in den „Top Ten“ zu bekommen. Womit er, ebenso wie Martin Scorseses Missions-Drama „Silence“ und der Neo-Western „Hell or High Water“ von David Mackenzie dazu beigetragen hat, dass US-Beiträge dieses Jahr die Hälfte unserer Favoriten stellen.
Hier die Liste unserer Top Ten, verlinkt auf die entsprechenden Seiten in unserem Lexikon des internationalen Films, auf denen sich unsere Kritiken und weitere Informationen zu den Filmen finden. Weiter unten publizieren wir die Top-Ten-Listen der einzelnen Autoren, die dieses Jahr mitgestimmt haben.
Die FILMDIENST TOP TEN 2017
Die Lieblingsfilm-Listen der einzelnen FILMDIENST-Autoren (in alphabetischer Reihenfolge):
Lucas Barwenczik
Scarred Hearts – Vernarbte Herzen
Esther Buss
Lobende Erwähnung:
Rainer Gansera:
Immernoch eine unbequeme Wahrheit
Irene Genhart:
Jörg Gerle:
Guardians of the Galaxy Vol. 2
Kathrin Häger:
Meineschöne innere Sonne– Isabelle und ihre Liebhaber
Wolfgang Hamdorf:
Eine fantastische Frau - UnaMujer fantástica
In Zeiten des abnehmenden Lichts
Scarred Hearts - Vernarbte Herzen
Die guten Feinde – Mein Vater, die Rote Kapelle und ich
Alexander Hertel:
Jens Hinrichsen:
Patrick Holzapfel:
Scarred Hearts - Vernarbte Herzen
Selbstkritikeines bürgerlichen Hundes
Thomas Klein:
Lobende Erwähnung in Sachen Serie: "Westworld"; "A Handmaid's Tale"
Felicitas Kleiner:
Sieben Minuten nach Mitternacht
Arne Koltermann
Fai Bei Sogni - Träum was Schönes
*Besondere Erwähnung als beste Serie: "The Night Of"
Doris Kuhn
Western
Ulrich Kriest:
Selbstkritikeines bürgerlichen Hundes
Lobende Erwähnungen:
* Für Kinofilme: "Blind & Hässlich", Helle Nächte", "Die feine Gesellschaft"
* Für Filme/Serien, die es nicht ins Kino oder nur auf Festivals oder ins
Fernsehen geschafft haben: Jan
Bonnys "Über Barbarossaplatz", Klaus Lemkes "Making Judith!", Adrian Figueroas "Anderswo", Marvin
Krens "4 Blocks"
* Für Filmbücher: Harun Farocki: "Zehn, zwanzig, dreißig, vierzig. Fragment einer Autobiografie". Schriften. Band 1. Köln: Verlag der Buchhandlung Walter König 2017.
* Für DVD: Josef von Sternberg: "The Saga of Anatahan".Eureka! 2017 Masters of Cinema #168 (Dual Format Edition)
Größte Enttäuschung des Jahres: "Dunkirk", "Der rote Schatten" (Graf)
Olaf Möller:
Lobende Erwähnungen:
Streetscapes-Zyklus: 2+2 = 22 [The Alphabet]. Streetscapes - Chapter I / Photography and beyond – Part 24 & Bickels [Socialism]. Streetscapes – Chapter II / Photography and beyond – Part 25 / Architecture as Autobiography / Samuel Bickels (1909–1975) & Streetscapes [Dialogue]. Streetscapes – Chapter III / Photography and beyond – Part 26 & Dieste [Uruguay]. Streetscapes – Chapter IV / Photography and beyond – Part 27 / Architecture as Autobiography / Eladio Dieste (1917–2000) (2017; Heinz Emigholz)
Marius
Nobach:
Eine fantastische Frau – Una Mujer fantástica
Michael Ranze:
Fai Bei Sogni – Träum was Schönes
Lobende Erwähnungen:
*„Aritmya“ von Boris Khlebnikow, Filmfest Karlovy Vary
*„Never Here“ von Camille Toman, Filmfest Oldenburg
*“Il colore nascosto delle cose” von Silvio Soldini, Filmfest Oldenburg
Holger Römers:
Tim Slagman:
Stefan Stiletto:
Sieben Minuten nach Mitternacht
Heidi Strobel:
Certain Women
Jackie
Suburra
The Salesman
Rüdiger Suchsland:
Valerian - Die Stadt der tausend Planeten
Die Taschendiebin
Song To Song
Siebzehn
Der lange Sommer der Theorie
Lobende Erwähnungen:
*Die drei schönsten DVD-Editionen: 1. "Die Taschendiebin" von Park Chan-wook, "Limited Collector's Edition" (2 BRs + Fotobuch + 3 DVDs); 2. "Battle Royale" von Kinji Fukasaku, Uncut-Steelbook, 3 DVDs (erst seit diesem Jahr von FSK freigegebener Klassiker); 3. "Terrence Malick Collection" (die letzten vier Filme des Meisters, deren Qualität von vielen erst noch zu entdecken ist)
* Das schönste Filmbuch: "Die Zeit des Bildes ist angebrochen! Französische Intellektuelle, Künstler und Filmkritiker über das Kino. Eine historische Anthologie 1906–1929" (Herausgegeben und kommentiert von Margrit Tröhler und Jörg Schweinitz). Mit Texten von René Clair, Jean Epstein, Louis Feuillade, Abel Gance, Louis Aragon, Blaise Cendrars, Jean Cocteau, Georgette Leblanc, Fernand Léger, Colette, Henri Bergson u. v. a. Eine Anthologie mit Texten, wie sie nur Franzosen schreiben können - und eine Anregung zum Auswandern! (756 Seiten, ISBN 978-3-89581-409-9)
* Die schönste Filmmusik: "Atomic Blonde" Original Motion Picture Soundtrack
Kirsten Taylor
Alexandra Wach: