Auch das Medium Film ist zusehends vom Hang zur Polarisierung betroffen, der die Gesellschaft immer mehr prägt. Ein Symposium in Köln rang unter dem Oberbegriff „Eskalation“ mit Beispielen für die oft hochemotionalen Auseinandersetzungen um Sprachgebrauch, Repräsentation und den Kampf um Aufmerksamkeit. Dabei wurde zumeist sehr ernsthaft um realistische Antworten auf realistische Fragen gerungen.
Sie habe noch nie erlebt, dass das Wort „Eskalation“ so positiv besetzt sei wie hier, wunderte sich eine Teilnehmerin des Symposiums „Eskalation“, das sich im Filmhaus Köln dem Thema „Diskussionskultur im Medienwandel“ widmete. In der Tat weckt die Überschrift, die das Filmbüro NW für die Veranstaltung gewählt hatte, zunächst eher unangenehme Assoziationen: an überhitzte Twitter-Schlammschlachten, ideologische Grabenkämpfe, die vom Netz in den realen Raum überzuspringen drohen, niedergebrüllte Reden, Cancel Culture und so weiter.
Die Veranstaltung verfolgten natürlich keineswegs das Ansinnen, derartige Phänomene zu verteidigen. Worum es stattdessen ging, zumindest in den ergiebigen Diskussionen, war die Suche nach realistischen Antworten auf realistische Fragen. Schließlich steht nicht zu erwarten, dass sich die zunehmende Polarisierung und Politisierung der Öffentlichkeit mittelfristig einfach wieder in Wohlgefallen auflöst. Die Eskalation ist längst Alltag. Es geht darum, sie zu gestalten und lebbar zu machen.
Safe oder Safer Space
Eine Diskussion über Diskussionskultur ist dabei ein hochgradig selbstreflexives Unterfangen. Schon die kommunikative Rahmung der Veranstaltung gab Hinweise darauf, in welche Richtung sich die Gespräche bewegen würden. So war ein Awareness-Team bei allen Diskussionen im Saal. Ein Mitarbeiter dieses Teams zog am Ende des Tages ein kurzes Fazit und merkte an, dass der Begriff „Safe Space“, der mehrmals fiel, problematisch sei, da Sicherheit für alle nicht gewährleistet werden könne. Schließlich ließen sich nie alle potenziellen Gefahren für alle Personengruppen antizipiert oder gar vorab beheben. Stattdessen sollte lieber von „Safer Space“ gesprochen werden.
Unabhängig davon, was man von einer solchen sprachethischen Feinmechanik hält – das Medium Sprache, das auf intuitiven Alltagsgebrauch angewiesen ist, könnte für derartige hypermoralische Ansprüchen tendenziell ungeeignet sein –, offenbart sich in solchen Momenten ein strukturelles Problem, das die Tagung im Kölner Filmhaus mit vielen ihrer Art teilt: Awareness-Teams werden meist dort gebucht, wo sie am wenigsten benötigt werden.
Tendenziell differenziert sich eine kulturbürgerliche Spezialkommunikation dabei auf immer höheren Achtsamkeitsniveaus aus, während draußen vor der Tür der Wilde Westen regiert. Aber soll man deshalb auf Awareness-Teams verzichten? Die Sprache ist schließlich eines der zentralen Diskursschlachtfelder dieser Tage. Als Experten für Metakommunikation werden Awareness-Teams zweifellos auch weiterhin gefragt sein. Nur sollte man vielleicht nicht allzu viel Hoffnung darauf verwenden, mit ihnen der Eskalation zu entkommen.
Ein vielfältiges Programm
Bevor sich dieser Tagungsbericht seinerseits in Metakommunikation verliert: Worum ging es auf dem Symposium? Zunächst einmal um eine Bestandsaufnahme. Den Anfang machten zwei beschwingte Keynotes. Die Filmkritikerin Jenni Zylka wies auf die Rolle des Humors in medialen Eskalationen hin, der Medienwissenschaftler Marcus Bösch lieferte das brandaktuelle Anschauungsmaterial rund um das Phänomen „Hawk Tuah“. Im Anschluss übernahmen die „Content Creators“. Das erste Panel war unter der Überschrift „Watch Trending Videos“ mit zwei Social-Media-Redakteurinnen von Deutschlandfunk Nova, einem Mitarbeiter der Plattform volksverpetzer.de sowie Esra und Patrick Phul, den Filmemachern hinter der Serie „Hype“, besetzt.
Später ging es dann um „Politische Gefühle. Emotionalität in Debatten und Diskursen“. Kurz zusammengefasst: Emotionen haben die Eigenschaft, „hochzukochen“ und also zu eskalieren, gleichzeitig sind sie menschlich und sollten zugelassen werden. Außerdem wurden jeweils eine wissenschaftliche und eine juristische Perspektive auf den Themenkomplex „Zensur und Meinungsfreiheit“ angeboten. Anschließend machte sich das Berliner „Büro für vielfältiges Erzählen“ Gedanken über „Neue Narrative für neue Zeiten“, bevor alle, die noch Energie hatten, in ein abschließendes Film-Screening entlassen wurde.
Gezeigt wurde „And the King Said, What a Fantastic Machine“ (2023) von Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck, ein
Found-Footage-Film, der hauptsächlich aus hintereinander montierten
Internetclips besteht. Eine passende Wahl, weil damit der Bogen zu den Content Creators
geschlagen wurde; damit wurde aber auch nachdrücklich auf die mediale
Verschiebung verwiesen, die die Veranstaltung gleichzeitig thematisierte und
abbildete.
Denn obwohl das Symposium vom Filmbüro NW organisiert wurde und in einem waschechten Kinosaal stattfand, war an diesem Tag vom Kino nicht allzu oft die Rede. Eine Ausnahme bildete das Emotionen-Panel. Die Schwierigkeiten mit einem zunehmend erreg- und aufregbareren Publikum, von denen Mitarbeiter nichtkommerzieller Kinos berichteten, dürften sich allerdings kaum von denen anderer Kulturinstitutionen unterscheiden.
Fast wie Fremdkörper wirken hingegen die Ausschnitte aus dem Film „Am Ende der Milchstraße“, die der Dokumentarist Leopold Grün mitgebracht hatte: sorgfältige, entschleunigte Beobachtungen aus einem Mecklenburger Dorf. Zweifellos genügen diese Clips nicht den Anforderungen an erfolgreiche audiovisuelle Kommunikation in Zeiten von TikTok, wo die Aufmerksamkeit des Publikums von der ersten Sekunde an gefesselt werden muss, da ansonsten einfach weitergeswipt wird. Allerdings handeln auch nur wenige TikTok-Clips von der Alltagstristesse und ökonomischen Perspektivlosigkeit in nordostdeutschen Dörfern. Die Frage, ob – und wenn ja: wo – derartige Themen und Bilder in der sich formierenden neuen medialen Realität noch vorkommen könnten, wurde nicht gestellt.
Wenn Worten Taten folgen
Am interessantesten war das Symposium stets dann, wenn es konkret wurde. Zum Beispiel mit Blick auf den Umgang mit Hasskommentaren. Lieber komplett ignorieren oder zumindest selektiv lesen und beantworten? Oder gleich juristisch belangen, sobald Grenzen überschritten sind? Ja, immer anzeigen, meint der Mitarbeiter von volksverpetzer.de, aber nicht bei der örtlichen Polizeidienststelle, sondern bei der Meldestelle „Hessen gegen Hetze“. Auch die juristische Einordnung durch den Rechtsanwalt Jörg Frederik Ferreau war erfreulich direkt und an einschlägigen Paragrafen orientiert: Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1, Satz 1 garantiert die Meinungsfreiheit; Absatz 2 setzt Grenzen, zum Beispiel hinsichtlich „Formalbeleidigung“ und „Schmähkritik“. Vieles bleibt erlaubt, selbst die Propagierung einer grundsätzlich anders organisierten staatlichen Ordnung.
Nicht erlaubt ist hingegen, konkret auf den Umsturz der bestehenden Ordnung hinzuarbeiten. Anders ausgedrückt: Die Probleme fangen an, sobald den Worten Taten folgen. Was sie oftmals tun. Nicht der Versuchung zu erliegen, im Umkehrschluss auch gleich die Worte zu regulieren, dürfte eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit sein.
Sehr anregend waren auch die Berichte von Esra und Patrick Phul über die Kämpfe, die sie im WDR und anderswo ausfechten mussten, um ihre inzwischen von der Kritik gefeierte Serie „Hype“ durchzuboxen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Online-Video-Szene seien zwei komplett unterschiedliche Welten, stellten sie klar. Wobei die WDR-Welt eine sehr weiße ist. Andererseits aber hat nur der WDR das Geld, das man braucht, wenn man längere, logistisch aufwändigere Formate produzieren will.
Außerdem tut es vielleicht ja beiden Seiten gut, der oft von sozial marginalisierten, sehr jungen Menschen dominierten Viral-Video-Szene und dem mehrmals so benannten „Dinosaurier“ WDR, wenn sozusagen Bubble-übergreifende Projekte angestoßen werden. Die Produktion von „Hype“ taugt zumindest zur Erfolgsgeschichte.
Alles fällt in die „Empathie-Lücke“
Das allein ist schon viel wert, erfuhr man im Laufe des Symposiums. Weniger ergiebig war es zumeist, wenn sich die Gespräche von den Mühen der Ebene weg- und zu abstrakteren Idealen hinstrebten. Die Habermas’sche Utopie einer Verständigung vermittels kommunikativen Handelns auf der Basis geteilter Geltungsansprüche mag zwar nicht mehr allzu viele Verfechter haben; aber verglichen mit dem Vorschlag des „Büros für vielfältiges Erzählen“, mithilfe neuer, inklusiverer Erzählungen die „Empathie-Lücke“ zu schließen, wirkt sie doch einigermaßen handfest. Der Auftritt des „Büros“ ähnelte eher einer Predigt denn einem Debattenbeitrag; interessanterweise war dies auch der einzige Programmpunkt, der keine Fragen aus dem Zuschauerraum vorsah.
Kaum zu übersehen war jedenfalls der Widerspruch zwischen der einführenden Behauptung, es gebe in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen nicht die eine Wahrheit; und der anschließend im Tonfall absoluter Selbstgewissheit vorgetragenen Problembestimmung, dass es stets und ausschließlich der erwachsene, weiße, heterosexuelle, wohlhabende etcetera Mann sei, dem unsere Gesellschaft Aufmerksamkeit schenkt. Alles andere fällt unter „Empathie-Lücke“.
Eine solche Rhetorik, die auf dem Symposium insgesamt aber eher die Ausnahme war, kapselt sich komplett vom gesellschaftlichen Außen ab, indem sie die eigene Empörung (O-Ton: „Haltung“) zum Maßstab nicht nur allen Handelns, sondern gleich aller Welterkenntnis macht. So gerät dabei zum Beispiel komplett aus dem Blick, was es heißt, wenn nicht nur der WDR (hoffentlich) diverser wird; sondern auch, wie vor wenigen Wochen zu beobachten war, die Wählerschaft von Donald Trump.