Alle Jahre wieder füllen sich Kinoleinwände und Bildschirme mit leise rieselndem Schnee und blinkenden Christbäumen, mit Santas und fliegenden Rentierschlitten, Paaren unter Mistelzweigen und Menschen, die lernen, dass Liebe und Familie wichtiger sind als Geld und Arbeit. Weihnachten ist nicht nur ein Fest, sondern auch ein Filmgenre. Was aber sind es für Geschichten, die für viele an die Seite oder oft auch an die Stelle der biblischen Weihnachtsgeschichte getreten sind?
Geschenke, also das, an was viele zuerst denken, wenn es um Weihnachten geht, gibt es auch in der Bibel. Bescherung in Form von Gold, Myrrhe und Weihrauch gibt es für das Jesuskind von den drei Weisen aus dem Morgenland. Doch deren Festtag, der Dreikönigtag, kommt erst zwölf Tage nach Weihnachten. Bis dahin sind die ersten Weihnachtsgeschenke längst zurückgeschickt und umgetauscht. Diese unbarmherzige kapitalistische Aneignung, die einen Randaspekt der biblischen Erzählung in den Mittelpunkt rückt und die Weihnachtsgeschichte in ein Weihnachtsgeschäft verwandelt, wird alle Jahre wieder beklagt. Meist ist das Bedauern mit dem frommen Wunsch nach Rückbesinnung auf die eigentlichen Werte verbunden.
Das ergibt ein so unverbindlich schönes Narrativ, dass es die Filmindustrie immer gerne aufgegriffen hat. Chevy Chase treibt den Gigantismus in seiner Rolle als Clark Grisworld Jr. in „Schöne Bescherung“ (1989) auf die Spitze. Der Weihnachtsbaum ist derartig überdimensioniert, dass beim Aufstellen das halbe Haus zu Bruch geht. Und die mit Tausenden Glühbirnen bestückte Lichterkette zieht solche Unmengen von Strom, dass im Atomkraftwerk ein zweiter Reaktor zugeschaltet werden muss. Dass der Weihnachtskomödienklassiker aus Hollywood die Kommerzialisierung Weihnachtens, die er ad absurdum führt, zugleich selbst betreibt, muss nicht unbedingt ein Widerspruch sein. Auch wenn sich an Weihnachten scheinbar alles nur noch um Geschenke dreht, funktioniert das Geschäft damit nämlich nur deshalb so gut, weil die meisten mit diesem Fest eben doch mehr verbinden.
Ein wunderbarer Tausch
Wie kleine Prinzessinnen oder Prinzen werden Kinder an Weihnachten mittlerweile mit Präsenten überhäuft. Für viele von ihnen sind diese Geschenke zugleich aber an ein Wunder geknüpft. Sie wissen nicht, dass sie von ihren Eltern stammen, sondern glauben ans Christkind oder dass der Weihnachtsmann sie unter den Baum gelegt hat. Stellvertretend schlüpfen sie damit in die Rolle des biblischen „Königskinds“, vor dem sich Herodes fürchtete und dem die Waisen aus dem Morgenland ihre Gaben brachten. Der aber war bekanntlich ja kein weltlicher Herrscher, sondern der Sohn Gottes.
Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in einigen der Filme wider, die im Fernsehprogramm zu Weihnachtsklassikern avancierten, obwohl sie mit der eigentlichen Weihnachtsgeschichte auf den ersten Blick rein gar nichts zu tun haben. Die „Sissi“-Trilogie (1955–57) oder „Der kleine Lord“ (1980) entfalten ihre zeitlose Anziehungskraft nicht zuletzt aus dem Spannungsfeld von oberflächlichem aristokratischem Reiz und innigen Gefühlen. Ein Zwiespalt, der sich in der von der DEFA co-produzierten tschechischen Aschenputtel-Varianten „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ (1973) auf märchenhafte Weise löst. Ein dreifacher Zauber führt die seelengute Stieftochter ihrer Bestimmung als Braut des Prinzen zu. Der Schuh, der passt, versinnbildlicht am Ende die Harmonie zwischen innerem und äußerem Adel.
Christliche Botschaft spielt nur indirekt eine Rolle
Die frohe Botschaft des Neuen Testaments verkünden diese Werke allenfalls in einem fragmentarischen, uneigentlichen Sinne. Zu den beliebtesten Dauerbrennern im weihnachtlichen Fernsehprogramm gehört kein einziger Film, der die Geschehnisse um Jesu‘ Geburt nacherzählen würde. Dem in diesem Dezember startende Bibelfilm „Maria“ (bei Netflix), der die Perspektive der Mutter von Jesus einnimmt, dürfte es in Zukunft kaum besser ergehen.
Selbst wenn sie zur Weihnachtszeit spielen, setzen sich die beliebtesten Weihnachtsfilme mit der christlichen Religion lediglich indirekt auseinander. In Frank Capras „Ist das Leben nicht schön?“ (1946) tritt am Heiligabend ein Engel in Erscheinung und erweckt in dem gutherzigen, aber durch mehrere Schicksalsschläge verzweifelten George Bailey (James Stewart) den Lebensmut wieder, als dieser sich von einer Brücke stürzen will. Und in der Krimikomödie „Bad Santa“ (2003) überlebt der geläuterte Bösewicht, der seinen Job als Kaufhaus-Weihnachtsmann für Diebstähle missbraucht hat, einen Kugelhagel wie durch ein Wunder.
Meistens jedoch ereignet sich das Wunderbare auf einer symbolischen, zwischenmenschlichen Ebene. Ähnlich wie in „Ist das Leben nicht schön?“ oder „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ führt die Erzählung in Billy Wilders „Das Appartement“ (1960) aus der Tristesse ins Glück, indem sie zwei unglückliche Seelen schicksalhaft zueinander führt: die beiden Angestellten C. C. Baxter (Jack Lemmon) und Fran Kubelik (Shirley MacLaine), die wie Aschenbrödel von der bösen Stiefmutter von ihrem skrupellosen Chef ausgenutzt werden. In seiner aus heutiger Sicht altmodischen Erzählweise vereint der Schwarzweiß-Film ähnlich wie auch „Der kleine Lord“ oder „Sissi“ die Sehnsucht nach Harmonie und einer heilen Welt mit nostalgischen Gefühlen und Kindheitserinnerungen. Das Glück, das die Jahr für Jahr im (Vor-)Weihnachtsprogramm gezeigten Filmklassiker allen Widerständen zum Trotz verheißen, vermag an Weihnachten auch auf das der „Heiligen Familie“ in der Bibel zu verweisen.
Hochsaison für Versöhnung und Bekehrung
Familienzusammenhalt und Liebe, gerne auch, etwa in „Sissi“ oder der Ensemblekomödie „Tatsächlich... Liebe“ (2003), in ihrer romantischen Spielart, bilden die Grundlage für eine metaphorisch-christliche Dramaturgie des Versöhnens und Bekehrens. Willie T. Stokes (Billy Bob Thornton), der in „Bad Santa“ das Weihnachtsfest bloß als günstige Gelegenheit für ein Verbrechen begreift, und der „Grinch“ (2000), der es zu zerstören versucht, indem er die Geschenke stiehlt, erliegen am Ende doch seinem moralischen Zauber.
In der Roald-Dahl-Verfilmung „Charlie und die Schokoladenfabrik“ (2005) von Tim Burton ist das Verhältnis des Schokoladenfabrikanten Willy Wonka (Johnny Depp) zu seiner Familie derart gestört, dass er nicht einmal das Wort „Familie“ aussprechen kann. Der Familiensinn des kleinen Charlie berührt ihn aber so sehr, dass er sich schließlich mit seinem Vater aussöhnt. „Der kleine Lord“ Cedric Errol gewinnt die Zuneigung seines Aristokraten-Großvaters (Alec Guinness), der sich dadurch von einem griesgrämigen Misanthropen in einen liebenswerten, sogar fröhlichen Menschen verwandelt und den Streit mit Cedrics Mutter überwindet.
Weiße Magie
In der Schlussszene von „Kevin - Allein zu Haus“ (1990) beobachtet der Protagonist Kevin McCallister durch ein Fenster hindurch, wie sich sein einsamer Nachbar Marley im Garten mit seinem Sohn versöhnt und seine Enkeltochter in die Arme nimmt. Während Kevin aus dem Fenster blickt, fallen dicke Schneeflocken vom Himmel.
Schnee ist in Weihnachtsfilmen nicht nur allgegenwärtig, weil der Weihnachtsmann seine Werkstatt am Nordpol hat, wo alle Jahre wieder „Der Polarexpress“ (2004) hinfährt, sondern auch, weil der Wunsch nach weißen Weihnachten die Hoffnung auf Magie, Frieden und eine Überwindung der Zeit symbolisiert. Auch wenn „Charlie und die Schokoladenfabrik“ nicht explizit an Weihnachten spielt, kauft sich Charlie die Schokoladentafel, die das begehrte Ticket in die Schokoladenfabrik enthält, wohl nicht zufällig von einem Zehndollarschein, den er im Schnee findet.
Schnee kommt in der Bibel an mehreren Stellen vor. Im Alten Testament ist etwa vom ewigen Schnee auf „den felsigen Hängen“ des Libanon zu lesen (Jeremia 18,14). Im Neuen Testament wird Schnee ausschließlich metaphorisch verwendet. Allerdings nicht im Zusammenhang mit Christi Geburt, sondern vielmehr mit seiner Auferstehung. Der Engel, der den Stein vor dem Grab von Jesus wegwälzt und verkündet, dass Jesus auferstanden sei, trägt ein Gewand „weiß wie der Schnee“ (Matthäus 28, 3).
Dieses Motiv der Auferstehung findet sich indirekt auch in etlichen beliebten Weihnachtsfilmen wieder. Unverkennbar etwa in „Ist das Leben nicht schön?“ oder „Das Appartement“. In beiden Filmen wollen sich die Hauptfiguren – George Bailey bzw. Fran Kubelik – das Leben nehmen, ehe sie schließlich durch die Kraft eines Wunders beziehungsweise der Liebe ein neues Leben beginnen. Es ist aber noch viel grundlegender im modernen Weihnachtsfest selbst verankert, das auf rituell-spielerische Weise die Zerstörung des naiven kindlichen Glaubens an Wunder und Gott überwindet und dadurch Religion und Aufklärung, Magie und Zweifel miteinander versöhnt; und sei es nur für die Dauer der Weihnachtsfeiertage oder die Länge eines Spielfilms.
Versöhnung von Weltlichem und Wunderbarem
Jon Favreaus „Buddy – Der Weihnachtself“ (2003) zeichnet diese Resurrektionsbewegung auf klamaukige Weise nach. Buddy Hobbs (Will Ferrell) landet als Baby versehentlich am Nordpol und wird dort von Papa Elf (Bob Newhart) aufgezogen. Als er erwachsen wird, erfährt er, dass er gar kein Elf ist, sondern adoptiert wurde. Daraufhin verlässt er das Elfenreich, um fortan in der Menschenwelt zu leben. Erst am Ende des Films gelingt es ihm schließlich, beide Welten miteinander zu vereinen, indem er dem Weihnachtsmann, der mit seinem Schlitten in New York feststeckt, wieder auf die Sprünge hilft und damit Weihnachten rettet.
Das, was in Filmen wie „Buddy – Der Weihnachtself“, „Der Grinch“ und etlichen anderen wörtlich zu verstehen ist, nämlich, dass das Weihnachtsfest gerettet wird, weil alle Kinder ihre Geschenke bekommen und sie dadurch den Glauben an den Weihnachtsmann, das Christkind und Gott nicht verlieren, macht im übertragenen Sinne alle Filme aus, die zur weihnachtlichen Fernsehtradition gehören, ob sie nun von Weihnachten handeln oder nicht. Sie retten Weihnachten, indem sie mit ihrer filmischen Magie nichts weniger beschwören als die Rückverzauberung der Welt.