Vor ein paar Tagen erschien auf filmdienst.de ein Artikel von Henk Drees mit dem Titel „Auschwitz erzählen“. Darin ging es um Überlegungen zur Darstellbarkeit des Holocaust am Beispiel von „The Zone of Interest“ und dem Essay „Das Verschwinden von Auschwitz“ von Patrick Holzapfel, das früher im Jahr ebenfalls auf filmdienst.de erschienen ist. Patrick Holzapfel hat dazu auf seinem Blog „Jugend ohne Film“ eine Erwiderung veröffentlicht.
Filme über den Holocaust sind stets von öffentlichen Debatten begleitet, insbesondere wenn sie sich in fiktiver Form und melodramatischer Gestaltung dem Schicksal der von den Nazis ermordeten Opfern annehmen. Unter dem Stichwort der „Erinnerungskultur“ geht es dabei oft um Grenzen und Möglichkeiten einer bildhaften Darstellung oder Vergegenwärtigung der Massenmorde. Auch das Auschwitz-Drama „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer wurde intensiv diskutiert, unter anderem auch auf filmdienst.de mit dem Essay „Das Verschwinden von Auschwitz“ von Patrick Holzapfel und einer Filmkritik von Lukas Foerster. Vor ein paar Tage erschien im Rückblick ein weiterer Text von Henk Drees, der unter dem Titel „Auschwitz erzählen“ für Versuche warb, das Grauen des Holocaust auch in fiktiven Geschichten zu erzählen.
Seine Überlegungen, die sich in der Auseinandersetzung mit Holzapfels Essay entfalten, haben Holzapfel auf seinem Blog Jugend ohne Film zu einer Erwiderung veranlasst, die hier wiedergegeben wird.
Ich habe wirklich nichts einzuwenden gegen die Publikation eines Textes, der „The Zone of Interest“ verteidigt. Da sich der Autor aber allzu sehr an meinen Argumenten abarbeitet (die ich gar nicht als so mehrheitsfähig wahrgenommen habe, dass sie für irgendeine Tendenz in der Kritik stünden), muss ich mich hier kurz erklären.
Der Filmdienst hat unter dem Titel „Auschwitz erzählen“ eine Replik des Cutters Henk Drees auf meinen vor einigen Monaten dort veröffentlichten Essay „Das Verschwinden von Auschwitz“ über den Film „The Zone of Interest“ von Jonathan Glazer veröffentlicht. Der Autor nimmt manche meiner Argumente und verkürzt sie stark beziehungsweise versteht sie in seinem eigenen Kontext. Mit manchen hat er sicher auch recht beziehungsweise beleuchtet er blinde Flecken meines Denkens oder Schreibens. Insgesamt finde ich aber, dass er die eigentlichen Aspekte meines Textes ignoriert, um anhand von falschen oder aus dem Kontext gerissenen Zitaten eigene Argumente aufzubauen.
Zu einigen Punkten möchte ich Stellung beziehen. Ich habe in den letzten Monaten auch immer mal wieder an „The Zone of Interest“ gedacht und mich gefragt, ob mein Zugang nicht ein bisschen streng, zu widerborstig war. Ich glaube, dass mein Text sich zu gleichen Teilen aus einem analytischen Herantasten und einem persönlichen Empfinden nach einem Besuch in Mauthausen speist und dass es auf dieser schmalen Linie schwierig ist, die Balance zu halten.
Ich halte „The Zone of Interest“ nach wie vor für nicht besonders gut, aber ich bürde ihm in dem Essay viel Gewicht auf. Ich habe sicherlich auch verpasst, einige gute fiktionale Gegenbeispiele zu nennen, die es für mich gibt. Ich glaube auch, dass es in der Filmkritik eine generelle Ehrfurcht vor halbwegs intelligenten Zugängen zu wichtigen Themen gibt, gerade wenn sie durch sogenannte Aktualität aufgeladen werden, und es mag sein, dass ich unbewusst auch dagegen argumentiert habe im Text.
Aber es gibt einiges in „Auschwitz erzählen“, das ich so nicht stehenlassen kann. Geradezu unerhört ist, dass der Autor als eine meiner Hauptthesen das „wirkliche Verstehen“ nennt. Ich würde angeblich behaupten, es gäbe ein „wirkliches Verstehen“ und der Ansatz des Films verhindere dies. Das habe aber nicht ich so formuliert, sondern das „wirkliche Verstehen“ entspringt dem von der Filmdienst-Redaktion formulierten Aufhängersatz. Es ist schon einigermaßen absurd, wenn dieselbe Publikation dann dazu eine Gegenrede bringt. Ich habe die Redaktion inzwischen gebeten, das auszubessern.
Außerdem gibt es noch ein „richtiges Verstehen“ bei einem Zitat von Martin Amis. Ich schreibe: „Weil der Holocaust längst, wie von Kertész befürchtet, ein Produkt der Illusionskultur geworden ist, einer Kultur also, die das Verstehen, Sehen und Fühlen verhindert und die sich nur noch Abstraktes vorstellen kann auf der anderen Seite der Mauer.“ Das ist sogar nur indirekt gegen den Film gewendet und zielt auf das größere Argument, das ich im Essay auszuführen versuche. „The Zone of Interest“ ist in dieser Linie nur ein Beispiel, und ich versuche darzulegen, inwiefern er das ist, auch wenn seine gewählten Mittel ihn zunächst anders erscheinen lassen.
Dass ich aufgrund meiner Zweifel an den narrativen Strategien des Films vom Autor in eine Ecke mit der bekannten Adorno-Skepsis über die Poesie nach dem Holocaust gebracht werde, ist mir etwas ungeheuerlich. Der Autor verwechselt schlicht Fiktion und historische Repräsentation, Erzählung mit Illusion. Außerdem gehe ich ja selbst darauf im Text ein, wenn ich schreibe: „Auf die bekannte Frage, ob Fiktion überhaupt die richtige Methode ist, um sich dem Holocaust anzunähern, antwortete Amis, dass es im Sinne der Nazis gewesen wäre, Autoren und Lyriker zu vernichten. Es wäre das Recht des Schriftstellers, sich dem zu widersetzen. Diese Fragen werden wieder und wieder diskutiert, aber sie stellen sich noch einmal neu, wenn kaum noch jemand lebt, der oder die das alles erlebt hat oder erleben musste, der oder die dokumentiert werden kann. Dann nämlich bleiben nur Fiktion und das Wiederholen bereits existierender Dokumente. Letztere sind bekanntlich oft von Nazis hergestellt worden, müssen also diesbezüglich erst aufgearbeitet werden.“
Ich schreibe also dezidiert, dass Fiktion eine der bleibenden Methoden ist, sich dem Thema zu nähern. Ich hinterfrage die Mittel, die zur Rekonstruktion von Geschichte herangezogen werden aus heutiger Sicht, aus einer bestimmten im Text geschilderten Ohnmacht heraus. Wer den Argumenten widersprechen will, was ich gut finde, sollte sie auch ernst nehmen. Ich stelle in meinem Text fest, dass sich am Ende der Zeitzeug:innenschaft womöglich neue Fragen an die Repräsentation stellen. Ich frage mich, ob Rekonstruktion sichtbarer gemacht werden müsste, was kein Widerspruch zur Fiktion ist. Ich werte das. Man kann dieser Wertung natürlich widersprechen. Ich mache das selbst die ganze Zeit, wenn ich gerade nichts Besseres zu tun habe. Aber ich kann diesen Gedanken in einer solchen Replik nicht in einen unhaltbaren historischen Vergleich bringen.
Dass der Autor bemerkt, man solle offen für das Experiment in Repräsentationsfragen sein, ist ja das, was ich unter anderem dem Film vorwerfe, dass er sich nämlich zu sehr absichert (gerade im Vergleich zum Roman) und in dieser Absicherung letztlich ähnliche Strategien wählt wie andere Filme auch: Er umschifft Repräsentation, indem er eine scheinbar andere Form der Repräsentation findet. Dieser werfe ich im Text vor, dass sie gar nicht so anders ist, wenn ich schreibe: „Der Holocaust als intellektuelles Spielfeld für Menschen, die nur noch auf andere Repräsentationen, nicht aber auf die eigentlichen Ereignisse reagieren.“
Für den Autor ist das nicht so. Das kann man so sehen, aber das ist ja nicht der Punkt seines Widerspruchs. Ich stelle in meinem Text in der repräsentativen Arbeit an der Tonspur eine Parallele zur bildlichen Arbeit fest, und das Gegenargument lautet schlicht: Bild und Ton sind nicht gleichzusetzen, sie wirken völlig unterschiedlich. Ich kann nur nochmal betonen: Wenn man im Ton etwas nachbaut, ist das nicht so verschieden von der bildlichen Rekonstruktion. Beides schafft eine Illusion, die auf historischer Recherche basiert. Es geht mir hier nicht um eine Ontologie, sondern um eine sich in die Arbeitsweise eingeschriebene Haltung der Filmemacher. Dass es unterschiedlich wirkt, wenn man etwas nur hört oder sieht, versteht eine Katze vor einem Fernseher. Dem eingeschrieben ist bei mir auch eine Kritik an der Bildbesessenheit der Kritik, die alles, was nicht im Bild ist, fast als nicht-filmisch begreift.
Es stimmt, dass sich darüber streiten lässt. Vielleicht ist die Erzählung über die Tonebene in „The Zone of Interest“ tatsächlich ein gelungener Kniff. Dass es ein Kniff ist, darauf bestehe ich aber. Wie Lukas Foerster in seiner ebenfalls beim Filmdienst erschienenen Rezension geschrieben hat: „Aber ist ‚The Zone of Interest‘ deshalb bereits mehr als eine Aneinanderreihung fein gedrechselter Kabinettstückchen? Mehr als eine Serie von die Geschmacksgrenzen der Arthouse-Bildsprache stets respektierenden Wahrnehmungsparadoxien, die letztlich nicht hinausführen über eine wohlfeile, ästhetisch verbrämte Angstlust?“
Außerdem stört mich sehr, dass ich ein persönliches und, so glaube ich, generationelles Erleben der sich einstellenden Gleichgültigkeit vor bestimmten Bild- und Narrationstypen schildere, den „Verlust der Erinnerung in der Gesellschaft“, dass das aber in der Replik so aussieht, als würde ich das dem einzelnen Bild/Film vorwerfen. Der Text basiert auf einem Besuch in Mauthausen und dem Erleben des Films, dem Gefühl, dass da etwas verlorengeht und dass dieses Verlorengehende vielleicht andere Formen des Erzählens bräuchte. Daher rührt auch die Skepsis gegenüber dieser Art von Film. Das erkennt die Replik an einer Stelle, an einer anderen ignoriert sie es. Das hat auch nichts mit „Schindlers Liste“ zu tun, den der Autor in den üblichen, filmfernen Registern erretten will. Doch wie kann man überhaupt einen filmkritischen Text widerlegen, indem man die Erfahrung eines Betroffenen mit dem Film dagegenstellt? Sollen nur noch Betroffene Filme bewerten? Zumal „Schindlers Liste“ in meinem Essay ja gar nicht genannt wird.
Hinweis
Zum Thema „The Zone of Interest“ und die Herausforderungen, über die Verbrechen der Nazis filmisch zu erzählen, gibt es auch einen instruktiven Podcast mit Patrick Holzapfel und Lucas Barwenczik. Er ist auf der Plattform „Cut – Der kritische Film-Podcast“ zu hören.