© DEFA-Stiftung/Manfred Damm/Detlef Hertelt/Filmjuwelen („Osceola“)

Filmklassiker: DEFA-Indianerfilme

Eine neue DVD-Edition mit 14 Filmen erinnert an die Ausflüge des DDR-Kinos in den Western

Veröffentlicht am
16. Juli 2024
Diskussion

Der Western machte in den 1960er-Jahren auffallende Wandlungsprozesse durch. Wurde das Genre in Hollywood für tot erklärt, erfreute es sich in anderen Ländern wachsender Beliebtheit. Das galt nicht nur für Italien, wo der Italowestern entstand, sondern auch für den Ostblock und die DDR. Im Bemühen, sich vom Hollywoodkino abzugrenzen, wurden die Filme der DEFA „Indianerfilme“ genannt. Eine Passage durch eine faszinierende Episode der deutschen Filmgeschichte anlässlich einer neuen DVD-Edition.


Der DEFA-Indianerfilm war ab Mitte der 1960er-Jahre für mehr als zehn Jahre das erfolgreichste Genre im Kino der DDR. Wie können wir heute diese Filme sehen, die so sehr ihrer Zeit verhaftet wirken? Mit „Die Söhne der großen Bärin“ (1965) und „Chingachgook, die Große Schlange“ (1967) entstanden gleich zu Beginn zwei sich auffällig unterscheidende Filme. Der erste basiert auf einem 1951 erschienenen Roman der Ostberliner Historikerin und Autorin Liselotte Welskopf-Henrich, der zweite auf James Fenimore Coopers zweiter Lederstrumpf-Erzählung „Der Wildtöter“. Ist der erste in der Kernphase des Wilden Westens (zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts) in den Great Plains angesiedelt, so spielt der zweite im Osten und deutlich früher im 18. Jahrhundert, als die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich noch um die Vorherrschaft des Landes kämpften. Coopers Romanzyklus ist zudem für den amerikanischen Frontier-Mythos von essenzieller Bedeutung.

Die ersten beiden Filme gaben indes die Marschrichtung an für das, was da noch kommen sollte: Die DEFA-Indianerfilme mochten in unterschiedlichen Phasen in der Geschichte der Besiedlung Amerikas spielen und (in den 1970er-Jahren) den Fokus von den USA auf Mittel- und Südamerika erweitern, doch egal, wo und in welchen historischen Kontexten sie angesiedelt waren, ging es immer darum, dass der Widerstand der indigenen Bevölkerung gegen Imperialismus und Kolonialismus zum Thema gemacht wurde – als Genre-Spiegelbild für den sozialistischen Kampf gegen den expansiven Kapitalismus US-amerikanischer Prägung.


Das könnte Sie auch interessieren:


Der DDR-Chefindianer

Die Autorin Liselotte Welskopf-Henrich distanzierte sich nach langem Ringen um die Verfilmung ihres 1951 erschienenen Romans „Die Söhne der großen Bärin“, der seinerzeit begeistert als Alternative zu den in der DDR abgelehnten Wild-West-Geschichten Karl Mays gefeiert wurde. Sie hatte selbst Reisen in die USA und nach Kanada unternommen und für die Produktion in Kanada sogar nach indigenen Darstellern gesucht. Aus finanziellen Gründen scheiterte dies jedoch, ebenso wie die gesamte Zusammenarbeit zwischen der Autorin und der DEFA. Es werde zu viel Wert auf Action und zu wenig auf die Entwicklung der Charaktere gelegt, monierte sie.

Die Söhne der großen Bärin (© DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer/Filmjuwelen)
Die Söhne der großen Bärin (© DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer/Filmjuwelen)

Dies betraf vor allem die Entwicklung der Hauptfigur Tokei-itho. Trotzdem sollte gerade die Hauptfigur durch die Besetzung zum wichtigsten Faktor für den Erfolg des Films und der Fortsetzung des Indianerfilm-Genres werden. Für die Rolle des jungen Lakota-Häuptlings Tokei-itho konnte nämlich der Schauspieler Gojko Mitić gewonnen werden, der bereits Nebenrollen in Karl-May-Filmen aufzuweisen hatte.

Als ausgebildeter Sportlehrer besaß der in einer ländlichen Region in Serbien aufgewachsene Mann einen imposanten athletischen Körper, der in diesem und in vielen weiteren Filmen auch ausdrücklich attraktiv inszeniert wurde. Außerdem war seine durchtrainierte Physis hervorragend für die Actionsequenzen geeignet, die Welskopf-Henrich kritisiert hatte. Allerdings muss die Figur auch sprachlich Überzeugungsarbeit leisten, um ihre Friedensmission erfolgreich zu gestalten. Mitić, der in seiner Kindheit Deutsch gelernt hatte, kann in solchen Situationen nicht immer überzeugen, was allerdings auch mit den oft allzu plakativ angelegten Dialogzeilen zu tun haben könnte, die man ihn sprechen ließ.

In vielen seiner Filme versucht er in der Rolle des „edlen Wilden“, zwischen den Weißen und seinen Stämmen zu vermitteln und die Notwendigkeit einer Transformation ihrer Lebensgewohnheiten herauszustellen, sei es in Gestalt von Tokei-itho, als Dakota Weitspähender Falke in „Spur des Falken“ (1968) und „Weiße Wölfe“ (1969), oder als Seminole „Osceola“ im gleichnamigen Film (1972). Doch der Glaube seiner Protagonisten an ein mögliches friedliches Zusammenleben wird immer wieder enttäuscht, weil sich überlegen fühlende weiße Soldaten, rassistische Siedler und finstere Bösewichter seinen Absichten entgegensetzen. Kämpfen muss er auch gegen andere Indigene, die erst von der Notwendigkeit eines Friedens mit den Weißen überzeugt werden müssen.

Spur des Falken (© DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer/Filmjuwelen)
Spur des Falken (© DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer/Filmjuwelen)


Bären und Gold

Gerade die zuletzt genannten Herausforderungen sind auch aus Karl-May-Filmen bekannt. Winnetou hat sehr ähnliche Probleme, und auch in Hollywoodwestern wie „Der gebrochene Pfeil“ (1950) sind dies zentrale dramaturgische Hürden, die die Helden nehmen müssen.

Wenn man die Filme heute wieder sieht, fällt stark ins Auge, wie sehr auf Standardsituationen und bekannte Stereotypen zurückgegriffen wird, die auch aus dem westlichen Genrekino wohlbekannt sind. Die dezidierte Abgrenzung zum Hollywoodwestern ist insofern nicht ganz konsequent: man versuchte, den US-Vorbildern und Karl May etwas Eigenes entgegenzuhalten, bediente aber nichtsdestotrotz die vertrauten, populären Muster. Derweil hatte sich der US-amerikanische Film-Blick auf die eigene Pionierzeit zu Beginn der 1960er-Jahre bereits geändert; zeitgleich zu den DEFA-Indianerfilmen wurden in Hollywood vermehrt revisionistische Western gedreht, die den amerikanischen Mythos selbst in Frage stellten.

Vor allem „Die Söhne der großen Bärin“ versammelt zahlreiche Standards, die auch bei den ersten Karl-May-Filmen zu finden sind. Da ist die geheimnisvolle Höhle, die hier von einem heiligen Bär bewohnt wird, da sind der Indianerüberfall auf eine Kutsche, mehrere Verfolgungsjagden, Zweikämpfe und Saloonszenen inklusive Sangesdarbietungen (allerdings mit sozialistischen Liedern, als wären wir in Brechts/Weills „Dreigroschenoper“). Abweichungen vom Hollywood-Western finden sich eher in Szenen, die es ermöglichen, die Kapitalismuskritik stark zu verdichten. Der Anfang von „Die Söhne der großen Bärin“, wenn Tokei-ithos Vater getötet wird, weil er Gold besitzt, ist ein gutes Beispiel. Wie die Gier die Gesichter der (grotesk überschminkten) Weißen entstellt, die beim Intonieren des Wortes „Gold“ gezielt in die Kamera blicken, hat eine Intensität, die ihresgleichen sucht.

Osceola (© DEFA-Stiftung/Manfred Damm/Detlef Hertelt/Filmjuwelen)
Osceola (© DEFA-Stiftung/Manfred Damm/Detlef Hertelt/Filmjuwelen)


Im malerisch Wilden Osten

Auf der anderen Seite finden sich die Unterschiede in Inszenierungsweisen und ästhetischen Ideen, deren Zweck sich gar nicht so ohne weiteres erschließt. Da wäre etwa die Musik, die schon im ersten Film mal an Martin Böttchers Winnetou-Thema erinnert, in anderen Sequenzen aber komplett schräg gerät, so etwa im finalen Duell zwischen Tokei-itho und Red Fox, der lustvoll finster von dem tschechoslowakischen Schauspieler Jiří Vrštála verkörpert wird. Überhaupt ist diese Sequenz eine der merkwürdigsten in allen DEFA-Indianerfilmen: Der Kampf ist verrückt geschnitten, einige Takes werden wiederholt benutzt, man verliert total die Orientierung, weil die beiden auf ihren Pferden immer wieder an den gleichen Stellen vorbeireiten.

Das Highlight unter den Schauwerten sind ohne Zweifel die Landschaften. Die Berge, Seen, weiten Ebenen und sattgrünen Wälder schaffen einen wunderschönen Wilden Westen im Osten. Schon die Drehorte von „Chingachgook“ in Bulgarien und der damaligen Tschechoslowakei sind perfekt ausgewählt, und man denkt nicht erst darüber nach, ob es im nordamerikanischen Bundesstaat New York, wo James Fenimore Cooper die Geschichte ansiedelte, genau so ausgesehen haben kann oder nicht. In den 1970er-Jahren öffnet sich der DEFA-Indianerfilm dann geografisch und auch historisch. „Apachen“ (1973) erzählt seine Geschichte in Mexiko, „Osceola“ in Florida im Jahr 1835 und „Severino“ (1978) zu einer nicht näher angegebenen Zeit in den argentinischen Pampas. Hier geht es auf der Suche nach dem Condor-Pass sogar durch den Schnee hinauf in die höchsten Bergregionen.

Ulzana, der unbesiegte Häuptling (© DEFA-Stiftung/Eberhard Dassdorf/Filmjuwelen)
Ulzana, der unbesiegte Häuptling (© DEFA-Stiftung/Eberhard Dassdorf/Filmjuwelen)


Armin Mueller-Stahl: lässig

So wie der Italo-Western war auch der DEFA-Indianerfilm eher eine osteuropäische Koproduktion als ein nationales Kino. Die Filme wurden in allen möglichen Ostblock-Ländern gedreht, und das Personal war ebenfalls vielfältig. Als Indianer wurden Darsteller nach ähnlich schwammigen, von Klischeevorstellungen geformten Kriterien gecastet wie im westlichen Kino; meist tanzt da ein groteskes Sammelsurium von Personen um einen Marterpfahl oder ein Feuer, die alle identische schwarze Perücken tragen.

Hinter der Kamera standen allerdings doch meist Leute aus der DDR. Am häufigsten führten Konrad Petzold und Gottfried Kolditz Regie. Es ist ein Film von Petzold, den ich in der neuen DVD-Edition mit größtem Interesse gesehen habe: „Tödlicher Irrtum“ von 1970 mit Armin Mueller-Stahl als Chris Howard, der sich als Bruder eines von Mitić gespielten „Shave Head“ herausstellt. Ein bisschen erinnert das zu Beginn an „Ein Fremder ohne Namen“. Mit einer herrlichen Lässigkeit verkörpert Armin Mueller-Stahl dieses Halbblut, eine Leistung, die auch in Howard Hawks’ „Rio Bravo“ bestens aufgehoben gewesen wäre.


DVD/BD-Hinweis:

Die Box "Die DEFA-Indianerfilme Gesamtedition (DEFA Filmjuwelen)" ist am 27. Juni 2024 beim Label Film- und Fernsehjuwelen erschienen und liegt auf BD (13 Blu-rays) sowie DVD (14 DVDs) vor. Zu beziehen beim Anbieter Film- und Fernsehjuwelen oder hier.


Die DVD-Box „DEFA-Indianerfilme“ (© Filmjuwelen)
Die DVD-Box „DEFA-Indianerfilme“ (© Filmjuwelen)

Kommentar verfassen

Kommentieren