Als unabhängiger Filmemacher kultivierte Roger Corman das B-Movie wie kein anderer und gab einer langen Reihe von später berühmt gewordenen Regisseuren erste Bewährungschancen. Mit seinen eigenen Produktionen blieb er bis ins hohe Alter hinein eine Ausnahmeerscheinung. Im Alter von 98 Jahren ist Roger Corman am 9. Mai in Santa Monica gestorben.
In seinem Überblick zu Filmregisseuren des US-amerikanischen Kinos schrieb der Filmkritiker Andrew Sarris im Jahr 1968, dass Roger Corman eher als Produzent denn als Regisseur seine Talente entfalten könne. Zu diesem Zeitpunkt hatte Corman bereits einige seiner wichtigsten Filme als Regisseur gedreht: seine Edgar-Allan-Poe-Verfilmungen wie „Der Untergang des Hauses Usher“ (1960), „Das Pendel des Todes“ (1961) und „Der Rabe“ (1962), aber auch den Biker-Film „Die wilden Engel“ (1966) und die LSD-Vision „The Trip“ (1967). Sollte Sarris recht behalten?
Horrorfilme in Technicolor
Nach einem Ingenieurstudium begann
Cormans Filmkarriere in den 1950er-Jahren mit Regiearbeiten von Western.
Schnell wechselte er zum Horrorfilm. Genrefilme mit kleinem Produktionsbudget
wurden zu seinem Markenzeichen. In dem Buch „Easy Riders. Raging Bulls“
von Peter Biskind ist nachzulesen, dass er Filme in nur fünf Tagen abgedreht
haben soll. Für seine sehr freie Adaption von Poes „Untergang des Hauses Usher“
brauchte er angeblich nur zwei Drehwochen. In Filmfarben delirierend, gelang
ihm eine spektakuläre Neubelebung des Horrorfilms. Zusammen mit den zeitgleich
entstandenen „Dracula“-Filmen des Hammer-Studios in England definierte er
sozusagen den Horrorfilm in Technicolor. Und er machte den Schauspieler Vincent Price zur Ikone des Genres, genauso wie Christopher Lee
das mit den Hammer-Filmen widerfuhr.
Nicht vergessen werden sollte, dass Corman in dieser Zeit auch die Geschichte einer gierigen fleischfressenden Pflanze auf die Leinwand brachte, lange vor Frank Oz. Sein „Little Shop of Horrors“ aus dem Jahre 1960 lieferte die Vorlage für das 1982 erschienene Musical und die Verfilmung im Jahr 1986.
Waren die Horrorfilme als B-Movies noch Übergangsphänomene zwischen dem klassischen Hollywoodkino und „New Hollywood“, so änderte sich das mit „Die wilden Engel“ und „The Trip“ grundlegend. Der erste Film lief im Wettbewerb des Filmfestivals in Venedig, der zweite in Cannes. Corman lieferte gewissermaßen die Blaupause für Dennis Hoppers „Easy Rider“ (1969) und die Etablierung des Road-Movie-Genres, das sich dezidiert als Spiegel der Jugendkultur verstand, inklusive Gewalt- und Drogenexzesse. Was in den beiden Filmen erzählt wird, ist aus heutiger Sicht weniger interessant als die Bilder und die Atmosphäre, die darin flimmern. In „Die wilden Engel“ ist die Gewalt in jedem Bild zu spüren, und „The Trip“ ist als kinematografische LSD-Reflexion auch heute noch von surrealistischer Qualität.
Der Unterstützer junger Regie-Talente
Man kann der Prognose von Andrew Sarris aber insofern zustimmen, als Cormans Bedeutung als Produzent und Unterstützer junger Regie-Talente in den 1960er- und 1970er-Jahren enorm war. Es ist immer höchst beeindruckend, die Listen seiner Arbeiten durchzugehen, wem er die ersten Filme ermöglichte und wen er auch unabhängig davon unterstützt hat.
Wenigen Fans der „Fast and the Furious“-Filmreihe (ab 2001) dürfte bekannt sein, dass der Titel auf einen ursprünglich von Corman produzierten Film aus dem Jahre 1954 zurückgeht, in dem es ebenfalls um Autorennen ging. Zeitgleich zu seiner Regietätigkeit begann er schon zu produzieren; seine Zusammenarbeit mit den kommenden Regie-Ikonen des „New Hollywood“ setzte in den 1960er-Jahren ein: Francis Ford Coppola mit „Dementia 13“ (1963), Peter Bogdanovich mit „Targets“ (1968) und Martin Scorsese mit „Boxcar Bertha“ (1972). Darüber hinaus debütierte Jonathan Demme 1974 mit „Caged Heat“. Und die ersten Filme, mit denen Jack Nicholson auf sich aufmerksam machte, waren die von Corman produzierten Western „Das Schießen“ (1966) und „Ritt im Wirbelwind“ (1966) in der Regie von Monte Hellman. Vor allem „Das Schießen“ gilt als Klassiker des Genres. Erwähnt werden muss auch Cormans Zusammenarbeit mit der Produzentin und Regisseurin Stephanie Rothman, deren Exploitation-Filme im von Männern dominierten Genrekino der 1970er Jahre alternative Akzente setzten.
Roger Corman war ein großer Bewunderer des europäischen Autorenkinos und kümmerte sich viele Jahre lang um den Verleih der Filme zahlreicher europäischer Regie-Stars. Ihm selbst wurden besondere Ehren zuteil, als sein „Usher“-Film 2005 in die „National Film Registry“ aufgenommen und damit als besonders erhaltenswert erachtet wurde, sowie als er 2010 den „Ehren-Oscar“ für sein Engagement in der Filmbranche erhielt. Er hat fast ein ganzes Jahrhundert Filmgeschichte mitgeprägt und wäre fast hundert Jahre alt geworden. Im Alter von 98 Jahren ist Roger Corman am 9. Mai 2024 in Santa Monica gestorben.