„Ich wollte zeigen, dass hinter den Widerstandskämpfern keine Heroen stecken, sondern ganz normale Menschen", sagt Andreas Dresen über seinen Film „In Liebe, Eure Hilde“, der die vom NS-Regime hingerichtete Hilde Coppi in ihrer letzten Lebensphase porträtiert. Im Gespräch berichtet Dresen, wie er und sein Team an das Sujet herangegangen sind, um es nicht zu enthistorisieren, zugleich aber für die Gegenwart anschlussfähig zu machen.
Was hat Sie an dieser Geschichte junger Menschen im Widerstand gegen die NS-Diktatur gereizt?
Andreas Dresen: Der andere Blick auf zeitgeschichtliche Figuren. Schon im Drehbuch gibt es keine prügelnden Nazi-Horden und keine Aufmärsche. Wir haben beim Drehen auch die übliche Zeichenhaftigkeit vermieden. Es gibt keine einzige schwarz-rot-weiße Nazi-Fahne im Bild oder sonstige Parolen; es geht eigentlich eher still zu. Ich wollte zeigen, dass hinter den Widerstandskämpfern keine „Heroen“ stecken, sondern ganz normale Menschen. Gleiches gilt für die Vertreter des NS-Systems, die hier nicht herumschreien, um Schreckliches anzurichten. Manche verhalten sich sogar recht freundlich. Das macht das, was am Ende dabei herauskommt, nicht weniger furchtbar. Vielleicht sogar noch mehr, weil man merkt, dass ein System vom alltäglichen Mitläufertum getragen wird, vom alltäglichen Opportunismus.
Sie verzichten neben der NS-Symbolik aber auch auf in deutschen Filmen über diese Zeit oft beschworene Dokumententreue, mit der Handlungen und Dialoge auf historischen Quellen und Protokollen fußen. Warum sind Sie so an den Stoff herangegangen?
Andreas Dresen: Spielfilme brauchen Fiktion. Es braucht auch die Einfühlung
und Erfindungsgabe einer Autorin wie Laila Stieler, damit man gute Szenen drehen kann. Es ist im Ergebnis ein
Changieren zwischen belegten Fakten und Fiktion. Was den Umgang mit dem Zeitgeschichtlichen
betrifft, haben die Kamerafrau Judith Kaufmann und ich einen Weg gesucht,
der die Geschichte nicht komplett enthistorisiert, sie aber auch nicht museal erscheinen lässt. Deswegen gibt es so gut wie gar keine obligatorischen Insignien, und
selbst bei den Kostümen sind wir bis in die 1990er-Jahre gegangen. Wir haben
teilweise in Second-Hand-Läden eingekauft, um die jungen Leute so gegenwärtig
wie möglich erscheinen zu lassen. Das diente alles dem Ziel, das
Leinwandgeschehen zwar historisch einordnen zu können, es aber dennoch nicht
entrückt erscheinen zu lassen. Man soll eine Chance haben, den Figuren nahezukommen und sich über die Identifikation dann selbst die richtigen Fragen zu
stellen. Ich bin in der DDR mit der Vorstellung groß geworden, dass die Widerstandskämpfer
Übermenschen waren. Die waren angeblich so mutig, so tapfer und so besonders,
dass man sich mit ihnen nie hätte vergleichen können. Das war natürlich
systemerhaltend gedacht. Wenn man behauptet, dass ein solches Handeln außerhalb
des normalen Verhaltens liegt, dann versucht man Ähnliches auch nicht. 1989
haben wir dann gemerkt, dass wir es doch auf eine bestimmte Art
können. Hilde
Coppi hätte sich nie als Widerstandskämpferin bezeichnet, die empfand sich eher
als ängstlich. Man sieht sie in unserem Film am Badestrand, beim Schwimmen, Zelten
und Eisessen. Ich wollte die Protagonisten als Menschen aus Fleisch und Blut zeigen. Die hatten einen Alltag, das waren junge Menschen. Hilde und Hans
waren verliebt, die hatten Sex, sie hat ein Kind bekommen, die wollten ein gemeinsames
Leben beginnen. Das macht sie nahbar. Für mich war das genau der zentrale
Gedanke bei der Schilderung dieser Zeit: das Geschehen nahbar zu machen.
Im Osten galten die Coppis als Helden, im Westen dagegen als kommunistische Verräter.
Andreas Dresen: Die Geschichte der sogenannten „Roten Kapelle“ wurde völlig unterschiedlich bewertet. Ich sage „sogenannt“, weil es die Gestapo war, die der Gruppe diesen Namen gegeben hat. Sie hofften, einen großen Spionagering zerschlagen zu haben, den es aber gar nicht gab. Im Osten wurden daraus die kommunistischen Widerstandskämpfer, und im Westen waren es tatsächlich über lange Zeit „Vaterlandsverräter“, die Spionage zugunsten der Sowjetunion betrieben haben. Die Urteile gegen die Mitglieder der „Roten Kapelle“ wurden erst 2009 aufgehoben. Der Staatsanwalt, der das Todesurteil gegen Hilde Coppi erwirkte, Manfred Roeder, war noch in den 1960er-Jahren in Hessen als Kommunalpolitiker tätig. Das ist schon krass, wie unterschiedlich in Deutschland damit umgegangen wurde. Weder die eine noch die andere Sicht entsprach der Wahrheit. Diese Gruppe hatte etwas sehr Ehrenhaftes, sie war ein Querschnitt der ganzen Gesellschaft: Da gab es Wissenschaftler und Künstler, mit Harro Schulze-Boysen einen Offizier, aber auch eine Schülerin wie Liane Berkowitz oder Proletarier wie Hilde und Hans Coppi; Hans Coppi war Dreher, Hilde Coppi ärztliche Assistentin, später arbeitete sie als Sekretärin. Alle aber mit einem Ziel: Widerstand zu leisten.
Dieser Widerstand hat dem Regime am Ende aber kaum geschadet, wie die Schlussworte von Hans Coppi Junior am Ende des Films unterstreichen.
Andreas Dresen: Die Hauptaktion von Hilde und Hans bestand darin, dass sie Funksprüche mit Informationen aus dem Reichsluftfahrtministerium, die Harro Schulze-Boysen beschaffte, in die Sowjetunion zu funken versuchten. Dafür hat Hans Coppi mit Hilfe von Hilde eigenes Funken gelernt. Als der Sohn Hans Coppi Junior später in den sowjetischen Archiven recherchierte, hat er festgestellt, dass nur ein einziger Funkspruch die Adressaten erreicht hat, nämlich der Testfunkspruch: „Tausend Grüße allen Freunden“. Das ist tragisch und auch etwas absurd. Aber wir fanden das als Schlussgedanke für unseren Film sehr wertvoll. Misst sich der Wert von Widerstand am Erfolg? Diese Frage wollten wir den Zuschauern mit auf den Weg geben. Ist Widerstand nicht auch ein Wert an sich, eine Haltung, etwas, was man tagtäglich auf der Straße oder im Privatleben für sich immer wieder neu finden muss?
Wie war Ihre Zusammenarbeit mit Hans Coppi Junior?
Andreas Dresen: Er hat das, was wir im Film erzählen, zwar miterlebt, aber natürlich keine Erinnerung daran. Dennoch hat ihn das zeitlebens geprägt. Er ist Historiker geworden und war uns eine ganz wertvolle Quelle für sehr viele Informationen, die wir gebraucht haben, um den Film zu drehen. Er hat darunter gelitten, wie seine Eltern im Osten instrumentalisiert wurden und wie man im Westen die „Rote Kapelle“ aburteilte. Wenn ich bei ihm war, hatte ich oft das Gefühl, seine Mutter zu sehen. Diese Sanftheit, das Liebevolle und Reflektierte, aber auch eine große Sorgfalt, gepaart mit Zurückhaltung und etwas Maßvollem. Das fand ich sehr, sehr schön. Er ist ein ganz feiner Mensch, würde ich sagen, ihn zu erleben, hat mir geholfen, den Film zu machen.
Ein evangelischer Pfarrer begleitet in dem Film die kommunistischen Widerständler in den Tod. Was ist das für eine Figur und wie sind die historischen Hintergründe?
Andreas Dresen: Harald Poelchau ist eine historische Figur. Er hat Hunderte Menschen in den letzten Stunden vor ihrer Hinrichtung begleitet und darüber auch ein bewegendes Buch geschrieben, „Die letzten Stunden“. Ein sehr beeindruckender Mensch, ein Wanderer zwischen den Welten, wie es damals einige gab. Er hat auch Kassiber und Informationen in die Gefängnisse rein und raus geschmuggelt. Poelchau hatte sich alles andere gewünscht, als der Pfarrer zu sein, der in Plötzensee für die Todeskandidaten zuständig ist. Aber er hat in dieser Rolle auch einen Weg gefunden, sich menschlich zu verhalten und in diesem schrecklichen System eine Form von Menschlichkeit zu bewahren. Deswegen ist es für mich auch so eine beeindruckende Figur, die zeigt, dass man sich als Individuum gegenüber dem Unrecht positionieren kann.
Der Film lebt von starken Kontrasten, der Bedrohung im Gefängnis und der absoluten Unsicherheit, die die Protagonistin durchlebt. Auf der anderen Seite verströmt er aber auch eine sommerliche Leichtigkeit, die die Dunkelheit der Haft erleuchtet. Wie ist diese Erzählstruktur entstanden?
Andreas Dresen: Das war für uns sehr wichtig. Wir, also Laila Stieler
und ich, haben das gemeinsam entwickelt. Als ich das Drehbuch in der ersten
Fassung las, war es noch chronologisch strukturiert. Es zerfiel für mich dadurch
in zwei Hälften. Ich hatte das Gefühl, dass die Geschichte durch die
Chronologie immer weiter Richtung Hölle führt und immer düsterer wird. Ich fand
diese Zweiteilung des Stoffes dramaturgisch nicht wirklich hilfreich. Deshalb
haben wir den Film dann quasi in der Mitte gestartet. Er fängt mit Hildes
Verhaftung an und erzählt die Gefängnisgeschichte vorwärts, während die
Liebesgeschichte sich in gewisser Weise rückwärts entwickelt. Er endet damit
auch nicht mit Hildes Hinrichtung, sondern damit, wie Hans und Hilde sich
kennenlernen. Es ist ein wenig tröstlich, dass es nicht so ein schreckliches
Ende hat. Auf der anderen Seite merkt man dadurch auch aber die vertanen
Möglichkeiten, was sich diesem Leben noch alles geboten hätte. Die Ebenen sollten
sich gegenseitig spiegeln, damit man die Klaustrophobie des Gefängnisses auch
mal verlässt. Wir hatten großes Glück beim Drehen, weil wir wirklich traumhafte
Sommertage erwischt haben. Als Vorbild diente der tolle Film von Robert Siodmak,
„Menschen am Sonntag“. Wir lieben ihn sehr, weil er viel vom Alltag
der jungen Menschen in dieser Zeit zeigt. Wir haben teilweise sogar direkt
daraus zitiert, gerade bei den Badeszenen.
Was bei „In Liebe, Eure Hilde“ auffällt, ist das Fehlen des absolut Bösen. Wenn es hier Boshaftigkeit gibt, ist sie eher kleinlich oder banal. Die Menschen stecken im System, aber sie zeigen menschliche Züge.
Andreas Dresen: Ist es wirklich Menschlichkeit, wenn ein Richter lediglich freundlich ist und dann trotzdem ein grausames Unrechtsurteil fällt? Er setzt sich eben nicht zur Wehr und über das System hinweg. Das ist ja generell interessant, wenn man sich mit der NS-Zeit beschäftigt und diese Protokolle durchliest. Alles war ordentlich strukturiert, alles wurde protokolliert und funktionierte scheinbar nach einem Rechtssystem. Hannah Arendt spricht deshalb von der „Banalität des Bösen“. Auch Adolf Eichmann hat sich ja darauf berufen, dass er nur nach Recht und Ordnung gehandelt hat. Das tun die Figuren in unserem Film auch – und dann sterben junge Menschen auf eine schreckliche Art. Das macht es ja nicht weniger schrecklich, dass die Menschen sich dabei freundlich verhalten. Es macht es aus meiner Sicht sogar viel schlimmer, weil man sich hinter einer Art Freundlichkeit versteckt und trotzdem das Falsche tut. Auch das könnte eine Brücke zur Gegenwart sein. Deshalb haben wir es nicht so einfach gemacht, sich von den Tätern und den Vertretern des NS-Systems zu distanzieren.
Was genau meinen Sie mit der Brücke zur Gegenwart?
Andreas Dresen: Spielfilme sind sehr schwerfällige Dampfer und deswegen auch nicht tagesaktuell. Schon die Herstellung eines Films dauert ja anderthalb Jahre; die Drehbucharbeit kommt auch noch dazu. Insofern weiß man nie, auf welchen Zeitgeist der Film dann trifft, wenn er endlich fertig ist und in die Kinos kommt. Jetzt scheint „In Liebe, Eure Hilde“ plötzlich wie der Film zur Stunde, weil er auf fatale Art zeigt, was passiert, wenn man nicht aufpasst. Wenn man eben nicht Zivilcourage besitzt und sich nicht gegen bestimmte Tendenzen in der Gesellschaft zur Wehr setzt, oder wenn man nicht dem inneren Kompass folgt, wie das Hilde hier tut, die ein feines Empfinden dafür hat, wo richtig und falsch liegen. Trotzdem darf so ein Film nicht in einer Tagesaktualität aufgehen. Er muss auch in fünf oder in zehn Jahren noch eine Nachricht beinhalten, und die muss größer sein als unser deutscher Horizont. Im menschlichen Verhalten und auch in den sich dahinter auftuenden Abgründen gibt es eine Universalität. Ähnliche Situationen findet man ja auch in anderen Ländern. In Italien, in Frankreich, in den USA, also in vielen westlichen Demokratien, gibt es eine erstarkende Rechte. Wir müssen aufpassen, dass wir im demokratischen Diskurs den richtigen Weg im Umgang damit finden. Letztlich muss das jeder für sich selbst entscheiden. Ich persönlich halte Ausgrenzung, auch eine Ausladung, wie sie im Frühjahr bei der Berlinale geschehen ist, für den falschen Weg.
Sie sprechen die Ausladung der AfD-Politiker von der Eröffnungsgala an?
Andreas Dresen: Ja, genau. Ich habe mal ausgerechnet, dass die fünf AfD-Leute bei 1800 Gästen im Berlinale-Palast weniger als 0,3 Prozent gewesen wären. Das müssen wir ertragen. Ich ertrage das jedenfalls eher als 20 oder 30 Prozent in den Parlamenten. Die Diskussion, die wir darüber geführt haben, hat dieser Partei wahrscheinlich wieder mal nur gutgetan. Das finde ich fatal. Deshalb sollten wir jeden Schritt, gerade in so einer Situation, als Gesellschaft gut bedenken. Und auch jeder für sich als Individuum.