In den 1930er-Jahren wurde der deutsche Grafiker John Heartfield mit seinen antifaschistischen Fotomontagen weltberühmt. In „Johnny & Me – Eine Zeitreise mit John Heartfield“ lässt ihn die Filmemacherin Katrin Rothe als Legetrick-Animation aus Pappkarton wiedererstehen. In seinem Schicksal verbinden sich politische Kunst, Widerstand und der lebenslange Kampf gegen Faschismus.
Sie haben bereits in Ihrem Film „1917 - Der wahre Oktober“ von einem historischen Stoff erzählt: von der russischen Revolution. Ist der neue Film über John Heartfield eine Fortsetzung in der Auseinandersetzung mit Revolution, Utopie und Kunst?
Katrin Rothe: Ich wollte etwas über Deutschland machen und in der Geschichte weitergehen, also in die 1920er-Jahre und 1930er-Jahre eintauchen. So kam ich auf John Heartfield (1892-1968), den Meister der Fotomontage, und fragte mich dann, warum ich nicht gleich an ihn gedacht hatte. Ein Collagenkünstler, den man wunderbar mit Collagenanimationsfilm zum Leben erwecken kann. Ja, es war eine Fortsetzung. Aber mich haben auch die Parallelen zur Gegenwart fasziniert. „Johnny & Me“ setzt sich damit auseinander, wie es heute weitergeht und wo das alles hinführt. Auch wenn der Ton mitunter dramatisch und düster ist, zeigt der Film doch, dass wir die Apokalypse verhindern können, wenn Menschen sich wehren, wenn sie zusammenhalten und nicht aufgeben.
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Das Leben von John Heartfield vor der Nazi-Zeit und im Exil ist bekannter als die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Vieles von dem, was man in dem Film über sein Engagement in der DDR erfährt, ist nicht bekannt. Wie verlief Ihre Recherche?
Katrin Rothe: Im Bundesarchiv habe ich eine Personalakte zu John
Heartfield gefunden. Die stammt von der zentralen Parteikontrollkommission. Das
war nicht die Stasi, sondern die Personalabteilung der SED. Dort gab es eine
geheime Kontrollabteilung, wo alle wichtigen Posten und Positionen innerhalb der
DDR besprochen wurden. Auch über John Heartfield wurde dort eine Akte geführt.
Ich hatte mich gewundert, dass dieser Kommunist der ersten Stunde, ein unglaublich
mutiger Künstler, auf den die Nazis 1939 ein Kopfgeld ausgesetzt hatten, in der
DDR kaum in Erscheinung trat. Das verstand ich erst, als ich diese Akte vor mir
hatte. Für die SED war er im westlichen Exil gewesen und hatte dort eventuell
mit den falschen Menschen gesprochen oder von den falschen Leuten ein Visum
bekommen. Deshalb war Heartfield in der DDR nicht sonderlich erwünscht.
In der Akte fanden sich auch zwei Fotomontagen, die in der DDR entstanden waren. Eine wurde noch veröffentlicht, die zweite nicht mehr. Seine Rückkehr im Jahr 1950 fiel in eine Zeit, als in der DDR die Staatsmacht und damit auch die Presse zentralisiert wurde. 1950 konnte er noch ein Titelblatt realisieren. Die SED war darüber aber gar nicht erfreut. Heartfield zählte zu den freien intellektuellen Kommunisten, für die es in der stalinistischen DDR keinen Platz gab. Zwei Wochen später gestaltete er ein weiteres Titelcover. Die Auflage wurde zwar gedruckt, landete dann aber direkt im Schredder.
Hätte es für kommunistische Künstler wie John Heartfield im Kalten Krieg die Möglichkeit gegeben, im Westen zu bleiben?
Katrin Rothe: Im britischen National Archive findet sich ebenfalls eine Akte zu John Heartfield. Auch im englischen Exil wurde seine Post vom Geheimdienst abgefangen; John Heartfield wurde daran gehindert, größere Aufträge zu erhalten. Wenn er für ein interessantes Projekt angefragt wurde, bekam der Auftraggeber einen Anruf, ob er Heartfield wirklich den Entwurf machen lassen wollte. Aus diesen Aufträgen ist dann nichts geworden. Also er hat kleine Buchumschläge geschaffen, für einen Naturkundeverlag. Er wollte aber politisch wirken, für den Frieden in der Welt und gegen die faschistische Gefahr kämpfen. Was hätte er im Westen tun können? Er hätte sich öffentlich vom Kommunismus distanzieren müssen und das wollte er nicht. Sein Parteibuch hatte er noch von Rosa Luxemburg persönlich überreicht bekommen. Von der kommunistischen Grundidee war er felsenfest überzeugt.
Wie hat er in der DDR seine Nische gefunden?
Katrin Rothe: Es war offensichtlich, dass in der DDR nicht dieser Kommunismus an der Macht ist, den man sich in den 1920er-Jahren bei der kommunistischen Partei erträumt hatte. Es gab aber auch in der DDR einen Bertolt Brecht und einen Erwin Geschonneck. Mit denen er viel zusammengearbeitet. Das waren Menschen, die trotz alledem die rote Fahne hochgehalten haben. Er war schon über fünfzig, also nicht mehr jung. In England hatte er Hunger gelitten und war einsam gewesen. Er kam als kranker Mann nach Deutschland zurück und wollte einen friedlichen Lebensabend. Auch ging es ihm darum, sein Werk so zu archivieren, dass es nicht vergessen wird. Er wollte ausstellen und neue Collagen machen. Auf ihn trifft die Aussage zu, dass die oppositionellen Kommunisten allesamt ,antistalinistische Stalinisten‘ waren. Das ist eine ganz schön schizophrene Aussage. Im Film zeige ich das so, dass Heartfield seinen eigenen Kopf auseinandernimmt. Am Ende aber ist es eine versöhnliche Geschichte. Nach den großen Schwierigkeiten der ersten Jahre wurde er 1957 in der DDR rehabilitiert und zu einem anerkannten Staatskünstler.
Der Film heißt „Johnny & Me“ und erzählt vom Dialog zweier Generationen. Die junge Grafikerin, die von ihrer Arbeit ausgebrannt ist, trifft auf John Heartfield. Was kann Heartfield einer jungen Künstlerin aus der Gegenwart vermitteln?
Katrin Rothe: Das sind ganz viele kleine Dinge, aber auch viel Großes. Stephanie ist zwar jung, aber doch auch nicht mehr die Allerjüngste. Wahrscheinlich hat sie mit der gläsernen Decke zu kämpfen, denn sie kommt als Frau in ihrem Metier nicht mehr weiter. Vielleicht sagt sie sich: Mach’ nur noch Grafiken, hinter denen du auch stehen kannst. Mach’ keine Werbung mehr, sondern etwas anderes, setz’ deine Kraft ein, um die Welt zu verbessern, wie John Heartfield. Das möchte sie eigentlich, und dann wird dieser John Heartfield lebendig und sagt ihr: ,Du musst für deine Ideen kämpfen! Du musst dich durchsetzen, Du musst dranbleiben. Das gehört zur guten Kunst und zur guten Gestaltung dazu, dass am für seine Überzeugungen kämpft. Man muss dem inneren Kompass folgen, dem, was man für richtig hält.‘
Heartfields Leben ist ein
schönes Beispiel dafür, dass nichts bleibt, wie es ist, dass Freunde nicht
immer Freunde bleiben. Er hatte viel unter den innerparteilichen Konflikten zu
leiden. Heute gibt es viele jüngere Menschen, die sich gerne für eine bessere
Welt einsetzen würden, sei es für das Klima oder den Frieden oder die Miete und
andere soziale Dinge. Doch sie verlieren den Mut, wenn sie alleine sind. Ich
glaube, das Beispiel von John Heartfield kann ihnen neuen Mut geben.
In einer Szene stürmt der John Heartfield aus Pappkarton aus dem Atelier auf die Straße hinaus, um sich den Neo-Nazis entgegenzustellen. Was bedeutet Faschismus in Ihrem Film?
Katrin Rothe: Es gibt von Heartfield Aufnahmen nach dem Krieg, in denen er total ausrastet, wenn es um eine faschistische Gefahr geht. Im Film sagt er zu Stephanie: ,Weißt du überhaupt, was Faschismus ist?‘ Faschismus herrscht dort, wo unschuldige und wehrlose Menschen umgebracht werden. Dagegen begehrt Heartfield auf und wird fuchsteufelswild. Er würde sich auch heute für den Frieden einsetzen.
Man bekommt durch den Film Lust, die Schere in die Hand zu nehmen und eigene Collagen und Montagen zu kleben. Ist es für Sie ein großer Unterschied, ob Sie mit der Schere oder mit dem Computer arbeiten?
Katrin Rothe: Mein Film ist handgemacht, alles ist ausgeschnitten. Ich bewege die Teile Bild für Bild einzeln via Stop-Motion unter der Kamera. Die Bilder werden dann in den Computer übertragen. Man sieht das Ergebnis sofort, man kann es kontrollieren. Der gestalterische Prozess ist intuitiver, das spürt man im Film; die Animationen sind von ganz großartigen Animatoren gemacht, die diese Pappe unwahrscheinlich lebendig werden lassen und John Heartfield dadurch ganz nahebringen. Der Film ist auch eine Einladung zu eineinhalb Stunden „digital detox“; man sieht alte Scheren und alte Schachteln; man sieht auch, wie Stephanie bastelt, um im digitalen Zeitalter zu sich selbst zu finden.
Der Film geht weit über eine konventionelle Animation hinaus. Was fasziniert Sie an dieser Mischung aus Realfilm, Animation und Archivmaterialien?
Katrin Rothe: Wenn man etwas zuerst im Trickfilm sieht und danach als
Realfilm oder umgekehrt, dann steigern sich die Elemente gegenseitig in ihrer
Wirkung. Wenn man eine Situation als Animation inszeniert, reduziert auf wenige
Bewegungen, und das dann in Real gestaltet, dann bekommt beides eine ganz neue
Dimension. Ich finde diese Wechselwirkung großartig. Neu an „Johnny & Me“ ist,
dass ich diese Mittel auch zeige und erkläre. Es gibt eine Art Making-of in dem
Film. Das hat sich einfach angeboten, weil Heartfield wirklich mit einer Schere
geschnitten und die Teile dann zu etwas Neuem zusammengesetzt hat. Man kann das
förmlich riechen und spüren. Ich wollte, dass man ein bisschen Papier riecht,
jetzt, wo das immer weniger wird. Stephanie schneidet auch den Lebenslauf aus. Filmemachen
besteht ja darin, dass man Sätze nimmt und Bilder dazu setzt.
In „Johnny & Me“ setze ich auf sehr spielerische und unterhaltsame Weise einen Zeitstrahl zusammen, mit dem Lebenswerk von John Heartfield, seinen wunderbaren Collagen, Fotos von ihm aus dem Archiv der Akademie der Künste oder eben diesen Akten und Blättern aus dem Bundesarchiv. Das ist der Zeitstrahl, den Stephanie in ihrem Atelier baut. So werden die Mittel der Collage und die Mittel des Dokumentarfilms auf witzige Art offengelegt. Heartfield hat übrigens auch die Trickfilmabteilung der Ufa aufgebaut. Ja, er war auch Trickfilmer, da habe ich selbst gestaunt! So schließt sich der Kreis.
Kann John Heartfield einem jungen Publikum heute noch etwas sagen?
Katrin Rothe: Heartfields Bilder sprechen für sich. Sie sind zeitlos und werden immer wieder neu entdeckt. Jetzt hat ihn Stephanie entdeckt, und ich wünsche mir, dass ihn das Publikum über den Film wieder entdeckt. Ich glaube daran, dass es viele Menschen gibt, die das Richtige machen und gerade durchs Leben gehen wollen. Von diesen vielen, vielen Menschen ist es aber nur ein kleiner Prozentsatz, der sich politisch engagiert. Für alle anderen wäre es sehr gut, sich mit einem wie John Heartfield zu beschäftigen und sich mit ihm eine Stunde lang in den Keller zu begeben.