© imago/Future Image (Asli Özge)

In bester Gesellschaft - Asli Özge und ihr Film „Black Box“

Ein Gespräch mit der Regisseurin Asli Özge über ihren Film „Black Box“, deutsche Gruppenpsychologien und die Frage nach der Macht

Veröffentlicht am
27. August 2023
Diskussion

Seit über 20 Jahren lebt und arbeitet die 1975 in Istanbul geborene Berliner Regisseurin Asli Özge in Deutschland. Nach einem Kunststudium drehte sie Filme, die zahlreiche Preise gewannen: „Men On The Bridge“ lief 2009 im Wettbewerb von Locarno, „Lifelong“ (2013) und „Auf einmal“ (2016) auf der Berlinale. Danach drehte sie die Serie „Dunkelstadt“. Özge, die auch die Drehbücher zu ihren Filmen schreibt, erzählt meist von ambivalenten Charakteren und beobachtet mit scharfem Blick Interaktionen und Institutionen der Gesellschaft. In ihrem aktuellen Film „Black Box“ (jetzt im Kino) beschränkt sie sich auf einen einzigen Schauplatz: einen Berliner Mietshauskomplex, dessen Vorder- und Hinterhaus durch einen Innenhof verbunden sind. Die Handlung ist auf einen einzigen Tag beschränkt. Wegen einer Terrorwarnung riegelt die Polizei Straße und Gebäude ab, sodass die verschiedenen Bewohner, Hausmeister und Hausbesitzer, die sich sonst tunlichst aus dem Weg gehen, für eine ungewisse Zeit zusammengezwungen sind. Das Ergebnis ist der Mikrokosmos einer Gesellschaft, in dem die Spannungen eskalieren.


„Black Box“ ist ein Low-Budget-Projekt, oder?

Asli Özge: Es war gar nicht so wenig, aber für das, was wir gemacht haben, war es nicht wahnsinnig viel Geld. Wir mussten zwar keine Überstunden machen, aber es war sehr anspruchsvoll, das, was man jetzt auf der Leinwand sieht, innerhalb von 35 Drehtagen hinzubekommen. Es wäre ideal gewesen, chronologisch zu drehen, aber dafür reichte das Budget nicht. Wir hätten alle Räume des Häuserkomplexes, in dem wir gedreht haben, gleichzeitig zur Verfügung haben müssen.

„Black Box“ ist ein ungewöhnlicher Film, alleine schon wegen der verschiedenen Themen, die hier zusammenkommen. Und dann auch durch die Art, wie diese Themen behandelt werden. War es schwierig, diesen Film zu machen und dafür Mittel zu bekommen? Hatten die Geldgeber Schwierigkeiten mit dem Thema oder seiner Behandlung?

Özge: Nicht mit dem Thema. Aber es ist heute sehr schwierig, einen Film mit vielen Hauptfiguren zu drehen. Man musste sehr oft begründen, warum es eine Gruppenpsychologie braucht, um das Thema zu erzählen. Dabei ist eigentlich diese Gruppenpsychologie genau das Thema! Ich habe „Black Box“ nie als Film über eine Hauptfigur verstanden. Meine Frage dreht sich immer um Macht. Wer hat Macht? Die Gentrifzierung benutze ich eigentlich bloß als eine Art Bühne, als ein Mittel, um diese Frage zu stellen. Ich mag es nicht, etwas ganz direkt zu erzählen. Ich will ja keine einfachen Filme machen. Ich möchte vielmehr zeigen, wie ein Denkprozess funktioniert. Es ist viel zu schlicht, nur zu sagen, hier sind die Guten, dort sind die Bösen und die Diktatoren.

Bewohner des abgeriegelten Wohnblocks: "Black Box" (Julian Atanassov/Port au Prince)
Bewohner des abgeriegelten Wohnblocks: "Black Box" (Julian Atanassov/Port au Prince)

In meinen Augen geht es in dem Film insbesondere um den Umgang mit Autorität. Wann kuschen Menschen? Was sind die Mechanismen der Anpassung?

Özge: Ich habe diesen Film vor allem wegen des von Felix Kramer gespielten Hausbesitzers Horn gemacht, dem Manipulator der Geschichte. Diese Figur hatte ich als erstes im Kopf. Henrike, gespielt von Luise Heyer, ist die Figur, mit der sich die Zuschauer identifizieren, die Heldin, die alles durchlebt.

Felix Kramer wirkt sehr überzeugend...

Özge: Wir haben diese Rolle sehr lange gecastet und viele Varianten überlegt. Es war sehr schwierig. Denn zu böse sollte die Figur ja auch nicht sein. Felix Kramer war anfangs mit dem Projekt und der Figur nicht im Reinen. Aber er kam beim Casting mit einem Lachen zur Tür herein, und ich wusste sofort: Das ist Horn! Das haben auch andere Schauspieler so empfunden. Für diese Figur ist Ausstrahlung sehr wichtig, denn sie funktioniert nicht nur über Sätze. Sondern sehr stark auch über Körperlichkeit und Verführung. Horn ist ein Verführer.

Ein Held unserer Zeit, der sich chamäleonhaft anpassen kann und in jedem dessen Schwäche entdeckt. Jeder Verkäufer besitzt heute doch diese Fähigkeit, im Gegenüber den schwachen Punkt zu finden.

Özge: In dem Moment, wo Horn mit jemandem spricht, glaubt der all das, was er ihm erzählt. Diesen Charaktertypus begegnet man in der Politik und im Management. Die Argumentation lautet ungefähr immer so: Das ist ja für uns alle, Ich mache das ja für euch. Er will allen das Gefühl geben, dass er einer von uns ist. Darum kommt er nicht im Anzug, sondern im T-Shirt. Darum benutzt er ein Fair-Phone. Er will allen zeigen, dass er ein „Guter" ist.

Aber die Frage ist doch auch, was die Leute selbst glauben. Ein Aspekt des Films ist die Pandemie und ihre Folgen. Es gibt hier eine Lockdown-Situation. Während der Pandemie gab es viele Menschen, die anderen gesagt haben: „Du musst dies tun, du musst jenes tun, aber du machst es ja vor allem für dich selbst. Und ich mache es ja für dich. um dich zu schützen“ Es gibt heute auch einen Menschentypus, der glaubt, stellvertretend für alle zu denken. „Ich bin kein Egoist. Aber ich denke ein bisschen weiter als andere.“ Gab es Erlebnisse, die Dich auf die Figur von Horn gebracht haben?

Özge: Ehrlich gesagt war es Donald Trump und die ganze Debatte über „Post Truth“. Wir kennen die Quasi-Diktatoren unserer Zeit. Wir akzeptieren viel zu sehr die Dauerpräsenz von Lügen in der zeitgenössischen Politik. Eine Figur wie Horn ist in dieser Hinsicht sehr politisch, weil er wie ein Politiker denkt: sehr taktisch. Er nutzt jede Gelegenheit. Als beispielsweise das Haus abgeriegelt wird, aus Gründen, mit denen er nichts zu tun hat, weiß er diese Chance sofort zu nutzen. Er denkt gleich darüber nach, was er aus diesem Ausnahmezustand für sich machen kann. Er ist sehr lernfähig. Diese Art zu denken – wie kann ich eine Situation für meine Zwecke nutzen – steckt ihm im Blut. Er weiß, wie man Menschen manipuliert. Man lernt solche Taktiken auch, weil Politik den ganzen Tag vor unser aller Augen stattfindet. Darüber wird öffentlich allerdings kaum gesprochen.

Interessant ist, wie Sie mit der Figur des „alten Linken“ umgehen. Er ist leicht paranoid, hat aber oft recht mit seinen Befürchtungen und seinem Misstrauen. Doch die Gesellschaft nimmt ihn nicht wirklich ernst.

Özge: Deswegen schafft er es nicht über längere Zeit, die Mietergemeinschaft hinter sich zu versammeln. Dieser Innenhof ist eben wie ein ganzes Land, wie die ganze Gesellschaft. Es gibt verschiedene Hautfarben, es gibt verschiedene Wohlstandsverhältnisse, Arme und Reiche, es gibt Linke und Rechte.

Ich vermute, dass es gar nicht so leicht war, zu akzeptierten, dass dies in Deutschland stattfindet. Also quasi bei „uns“. Nicht in der Türkei, nicht in den USA, nicht in Ungarn oder in Russland...

Özge: Ich versuche vom versteckten Rassismus in Deutschland zu erzählen. Wichtig ist dabei auch die Rolle der Polizei und wie sie manchen Bürgern begegnet, nicht nur als „Freund und Helfer“. Es ist Absicht, dass die Polizei in „Black Box“ keine Gründe für ihr Tun angibt, und dass die Beamten maskiert sind.

Luise Heyer (l.) und Sascha Alexander Gersak in "Black Box" (Julian Atanassov/Port au Prince)
Luise Heyer (l.) und Sascha Alexander Gersak in "Black Box" (Julian Atanassov/Port au Prince)

Man sieht und hört dauernd Hubschrauber über den Häusern kreisen. Mich hat das an „Short Cuts“ von Robert Altmann erinnert.

Özge: Tatsächlich habe ich mir das Drehbuch von „Short Cuts“ mal angeschaut, aber nicht wegen der Dauerpräsenz der Paranoia, sondern viel praktischer, Nämlich: Wie hat Altman viele Charaktere gleichberechtigt erzählt.

Sie leben in Berlin. Aber wer aus der Türkei stammt oder Beziehungen dazu hat, der ist auch mit dieser Art von Polizeigewalt vertraut...

Özge: Tatsächlich würde diese Art der Abriegelung in Deutschland so nicht passieren. Zumindest glaube oder hoffe ich das. Obwohl es während der Pandemie zu etwa Ähnlichem kam. Darum gibt es auch zwei Bezüge zur Pandemie in dem Film. Es gibt aber auch eine kurze Szene mit Verweis auf eine Demonstration vor der russischen Botschaft – tatsächlich ist das Drehbuch vor Beginn des Überfalls auf die Ukraine entstanden; jetzt wirkt es wie ein aktueller Verweis.

Sie zeigen Migranten, die von Polizei und nicht migrantischen Mitmenschen so behandelt werden, wie Migranten in Deutschland leider auch oft behandelt werden: abschätzig, distanziert, oft genug rassistisch...

Özge: Es gibt in „Black Box“ einen Schwarzen, der darunter leidet, dass ihm all die Privilegien fehlen. Er identifiziert sich mit der Macht und wendet sich gegen die arabischen Migranten. Diese Ambivalenzen wollte ich unbedingt zeigen. Aber es gibt ja auch eine Figur, von der man die Herkunft nicht so genau kennt. Sie benutzt offensichtlich nicht ihren richtigen Namen, sondern nennt sich südländisch-allgemein "Madonna". Sie möchte ihre Herkunft verschleiern. Auch das ist etwas, was ich unbedingt erzählen wollte. Wenn man einen türkischen Namen hat, dann wird damit sofort etwas verbunden. Ich kenne aus eigener Erfahrung das Bedürfnis, seinen Namen und seine Herkunft zu verschleiern. Fremdheit und fremde Sprachen machen manchen Menschen in Deutschland immer noch Angst. Darum spricht der Schurke Horn übrigens im Film auch einen kurzen russischen Satz. Es handelt sich um einen Ausspruch von Putin: „We don't shake hands with terrorists“. Jeder Russe kennt diesen Satz. Ich wollte damit andeuten, dass dieser Mensch niemals mit offenen Karten gespielt hat.

Könnte man also sagen: Dieses Haus ist ein Mikrokosmos der deutschen Gesellschaft?

Özge: Ja und nein, denn es ist ein Bild auch jeder anderen Gesellschaft. Aber ja, weil wir in Deutschland leben, natürlich der deutschen Gesellschaft.

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