Der 1935 geborene US-Filmemacher William Friedkin kam vom Dokumentarfilm. In den 1970er-Jahren wurde er mit „Brennpunkt Brooklyn“ und „Der Exorzist“ jedoch zu einer der prägenden Figuren des New Hollywood. Auch sein späteres Werk, das von der Filmkritik weitgehend missachtet wurde, verdient Beachtung, denn Friedkin transformierte darin Genremechanismen in radikale Kunstwerke. Ein Nachruf auf den Regisseur, der am 7. August verstorben ist.
Als William Friedkin 1971 den
Academy Award als „Bester Regisseur“ erhielt, wurde er schnell als „Wunderkind“
des sich gerade formierten New Hollywood gehandelt. Sein vom Fernsehen
geschulter dokumentarischer Blick und der furchtlose Wille zum Experiment
erfand das Genre des Polizeifilms in „Brennpunkt Brooklyn“
buchstäblich neu und zeigte, wie indifferent und nah sich Kriminalität und
Polizei sein konnten. Zur oft atonalen Musik von Don Ellis und den
harschen Handkameraaufnahmen von Owen Roizman ließ er den wenig
sympathischen New Yorker Polizisten ‚Popeye’ Doyle (Gene Hackman)
durch die Straßen New Yorks toben. Die manische Verfolgungsjagd zwischen
Hochbahn und Auto sucht noch heute ihresgleichen.
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Kaum jemand konnte damals ahnen, dass Friedkin im Anschluss einen der erfolgreichsten Filme überhaupt drehen würde: den Horrorfilm „Der Exorzist“ (1974). Damit erschloss er das Genre nachdrücklich zwischen Gesellschaftsporträt, Mutter-Tochter-Drama und Theodizee und etablierte den Blockbuster der 1970er-Jahre.
Von diesen Werken zehrte Friedkin bis zu seinem Tod am 7. August mit Alter von 87 Jahren. Im Grunde, so betonte er immer wieder, „hätte er sich nach ‚Der Exorzist‘ zur Ruhe setzen können“. Die Filmkritik verlor ihn allerdings viel zu früh aus dem Blick (so auch Filmhistoriker James Monaco). Umso wichtiger erscheint es, rückblickend zu verstehen, was dieser schillernde Veteran des New Hollywood der Filmwelt eigentlich hinterlässt.
Friedkins Karriere kann in vielerlei Hinsicht als prototypisch für die aufstrebende Generation junger Filmemacher in den späten 1960er-Jahren gelten. Seine Ausbildung genoss er in der Fernsehproduktion, wo er beispielsweise die Aufzeichnung von Musicals organisierte. Das war eine Erfahrung, die ihm seinen ersten Kinofilm eintrug: das Rock’n’Roll-Musical „Good Times“ (1967) mit Sonny und Cher. Das Bühnengeschehen und die Musiknummern bestimmten auch seine folgende Satire „Die Nacht als Minsky’s aufflog“ (1968). Eine erste deutliche Spur im Rahmen der Hollywood Renaissance nach 1967 hinterließ die Adaption eines erfolgreichen Off-Broadway-Bühnenstücks von Mart Crowley, das Friedkin 1970 als „Die Harten und die Zarten“ ins Kino brachte. Der Film etablierte nicht nur das Thema Homosexualität in Hollywood, sondern kann als Pionierwerk des queeren Kinos gelten. Da die Inszenierung extrem nah an dem zugrunde liegenden Theaterstück bleibt, wurde weniger die explizite Darstellung sexueller Situationen zum Skandal, als vielmehr die radikale Innensicht eines rein homosexuellen Mikrokosmos. Der Erfolg bestätigte nicht nur die Existenz eines homosexuellen Publikums, sondern auch die Notwendigkeit, diesem einen authentischen Ausdruck zu verleihen.
Suspense & Exzess
In seinen Fernsehjahren hatte Friedkin für Alfred Hitchcock gearbeitet, der zusammen mit Fritz Lang und Orson Welles zu seinen Vorbildern zählte. Von ihnen lernte Friedkin die
Inszenierung von spannungsreichem Genrekino, das er mit den dokumentarischen
Mitteln der Reportage neu belebte.
Männerbeziehungen dominieren seine Werke „Brennpunkt Brooklyn“ und „Der Exorzist“, seien es nun korrupte Polizisten oder an ihrem Glauben zweifelnde Priester. Wie nah diese (Anti-)Helden dem Verbrechen und dem Bösen selbst kommen, zeigen diese Filme mit irritierender Konsequenz. Der auf dem gleichnamigen Roman des Jesuiten William Peter Blatty basierende Horrorfilm „Der Exorzist“ beschreibt das schleichende Eindringen des Bösen in die in bürgerlicher Selbstzufriedenheit ruhende amerikanische Mittelstandswelt.
Ein erfahrener (Max von Sydow) und ein junger Priester (Jason Miller) treten an, das von dem assyrischen Dämon Pazuzu besessene Mädchen Regan (Linda Blair) in einem entbehrungsreichen Exorzismus von ihrer Heimsuchung zu befreien. Mit Hilfe spektakulärer Effekte - vornehmlich auf der auditiven Ebene - und skandalträchtiger Blasphemien läutete dieser Film eine neue Ära filmischen Terrors ein, die erstmals auch auf den Mainstreamfilm Wirkung zeigte. Stilistisch blieb Friedkin ähnlich kühl wie in seinen Polizeifilmen. Er hält Distanz zu den Figuren, bemüht sich aber stets, sie in ein alltägliches, genau beobachtetes Geschehen einzubinden.
Friedkins dokumentarischer Blick, der seine
Poesie sehr verdeckt entfaltet, ist befremdlich und wirkt sogar inhuman. Es ist
kaum verwunderlich, dass sich Friedkin für ein Remake des ähnlich orientierten
Henri-Georges Clouzot-Films „Lohn der Angst“ (1953)
interessierte. Seine eigene Vision „Atemlos vor Angst“ (1977) ist
ein außergewöhnlich versiert inszenierter Dschungelthriller, hatte aber unter
zahlreichen Widrigkeiten zu leiden. Kritik und Publikum betrachteten ihn
lediglich in seiner Funktion als Remake - was die Verlagerung der inhaltlichen
Akzente ignoriert; außerdem erschien in Europa lediglich eine inhaltlich extrem
gekürzte Version, die große Teile der Personencharakterisierung aussparte.
Friedkins Interesse konzentrierte sich jedoch stark auf den politischen Aspekt der lateinamerikanischen Militärdiktaturen und die kriminelle Vorgeschichte der Soziopathen. Das kommerzielle Scheitern des von den deutschen Elektronikern Tangerine Dream außergewöhnlich düster vertonten Werkes schien sein Schicksal in Hollywood besiegelt zu haben. In einem Akt der Neuorientierung dreht er im Anschluss den soliden Historienfilm „Das große Dings bei Brink’s“ (1978), eine Gangsterkomödie, die rückblickend etwas blass und unpersönlich in seiner Filmografie steht.
Allegorien des Niedergangs
Aus dem sehr wechselhaften Werk der 1980er- und 1990er-Jahre, von zahlreichen Fernseharbeiten begleitet, ragen die drei großen Thriller „Cruising“ (1980), „Leben und Sterben in L.A.“ (1985) und „Jade“ (1995) heraus. Alle drei Filme benutzen Versatzstücke des Polizeifilms, um komplexe Allegorien auf die von Korruption und Perversion durchzogene US-Gesellschaft zu entwerfen. In „Cruising“ porträtiert Al Pacino einen von sexuellen Identitätszweifeln geplagten Undercover-Cop, der in die schwule Lederszene New Yorks eintaucht, um einen Serienmörder zu ködern. In düsteren Farben zeigt der Regisseur den Mordtrieb als virenartigen Selbstzerstörungsmechanismus einer fauligen Gesellschaft.
„Leben und Sterben in L.A.“
adaptiert die korrupten Drogenfahnder der 1970er Jahre als rücksichtslose
FBI-Agenten, die auf der Suche nach einem psychopathischen Geldfälscher (Willem
Dafoe) ein mörderisches Inferno entfesseln. Kommunikationsunfähigkeit,
Bisexualität und Sadismus dominieren diese staubigen, von der Sonne versengten
Überreste eines amerikanischen Traums. „Jade“ führt schließlich
den in den frühen 1990er-Jahren so populären Erotikthriller zu eigenen Höhen,
indem er die US-amerikanische Führungsschicht von Anwälten und Politikern als
bigotte Maskenträger outet, die ihre Integrität lediglich mit rationalisierten
Mordanschlägen tarnen können. Ebenso wie „Leben und Sterben in L.A.“
audiovisuell intelligent und stellenweise elegant inszeniert, lässt Friedkin
die Schauspieler in verstörender Apathie agieren: Er entwirft eine Welt der
sozialen Masken, der Geheimnisse und unterdrückten Sexualität.
Eine Sonderposition kommt dem 1987 inszenierten Serienkiller-Drama „Rampage“ (1987) zu, das eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Problem der Todesstrafe darstellt. Dieser Film wurde im Rahmen der Serial-Killer-Welle in den 1990er-Jahren wieder entdeckt und restauriert, bekam jedoch nie die verdiente Aufmerksamkeit. Wieder war Friedkins Blick zu klinisch, waren die Charaktere zu ambivalent, um auf Publikumswirkung zählen zu können. Dabei setzt dieser Film Friedkins Interesse an der US-amerikanischen Rechtsprechung fort, das ihn seit der Reportage „The People vs. Paul Crumb“ (1962) begleitet. So verfilmte er 1997 „Die zwölf Geschworenen“ neu („Die 12 Geschworenen“), verhandelte die Einsatzregeln des US-Militärs im Gerichtsthriller „Rules – Sekunden der Entscheidung“ (2000) und konnte noch vor seinem Tod „The Caine Mutiny Court-Martial“ (2023) abschließen.
Unterschätztes Spätwerk
Ginge es darum, das Herzstück von Friedkins
Oeuvre zu untersuchen, würde ich jedoch von zwei wesentlichen, persönlich
motivierten Trilogien sprechen: „Brennpunkt Brooklyn“, „Der Exorzist“ und „Atemlos vor Angst“ behandeln durchaus
homoerotisch konnotierte Männerfreundschaften unter extremsten Bedingungen. Die
1980er- und 1990er-Jahre werden jedoch von Friedkins Vision einer Innenansicht
der US-Gesellschaft dominiert: die Thriller „Cruising“, „Leben und Sterben in L.A.“ und „Jade“ entwerfen komplexe,
allegorische Modelle aus einer schonungslosen Chirurgenperspektive. Auf diese „infernale
Trilogie“ folgten später noch ebenso unterschätzte Varianten. „Die Stunde des Jägers“ (2003) zeigt Tommy Lee Jones und Benicio del Toro als Ausbilder
und Meisterschüler und verhandelt die Kriegstraumata der 1990er-Jahre, die
Monster hervorbringen. In „Bug“ (2006) erlebt man die Innensicht
der eskalierenden Paranoia eines isolierten Pärchens, die auf beklemmende Weise
an die aktuellen Verschwörungstheorien der US-Gesellschaft gemahnt. Und „Killer Joe“ (2011) mit Matthew McConaughey etabliert als titelgebenden
Antihelden einen Neo-Cowboy, der als Mietkiller an jene Mythen der
US-Geschichte erinnert, in denen Massenmörder wie Buffalo Bill oder General Custer
zu Nationalhelden wurden.
„Maverick Director“ William Friedkin war ein virtuoser Genrespezialist, der mit den Mitteln von Autoren- und Dokumentarfilm ein finsteres Bild einer Gesellschaft zeichnet, in der das Böse wie ein Virus wuchert und die Reihen lichtet. Friedkins Filme sind komplex und beim ersten Sehen schwer greifbar. Zum unverwechselbaren Merkmal seiner Handschrift gehören die verstörenden Flashbacks oder Vorausgriffe. Diese Zerstörung einer linearen Zeit wirft Fragen auf, die erst spät, oft zu spät, erklärt werden, und das Publikum zum immer neuen Überdenken zwingen. Friedkin transformierte Genremechanismen in radikale Kunstwerke: „Das US-Kino war einmal eine Kunstform, jetzt ist es so korrupt und kaputt wie ganz Amerika“, resümierte William Friedkin schon 1996. Mit ihm verliert die filmische Moderne eine ihrer prägnantesten Stimmen.