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Köpfe rollen! - François Ozon

Ein Interview mit François Ozon über „Mein fabelhaftes Verbrechen“

Veröffentlicht am
13. August 2023
Diskussion

Für seinen neuen Film „Mein fabelhaftes Verbrechen“ hat der französische Regisseur François Ozon eine Theaterkomödie aus den 1930er-Jahren ausgegraben und frei adaptiert. In dem Stoff um eine Schauspielerin, die den Mord an einem Produzenten auf sich nimmt, greift er noch immer aktuelle Fragen um die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern auf. Ein Gespräch über die Lust, sich nach vielen ernsten Stoffen wieder an eine Komödie zu wagen.


In Ihren letzten Filmen haben Sie zumeist sehr ernste Themen behandelt: Sterbehilfe, sexueller Missbrauch in der Katholischen Kirche oder eine konfliktreiche Beziehung. In Ihrem neuen Film „Mein fabelhaftes Verbrechen“ erlangt eine junge, erfolglose Schauspielerin in den 1930er-Jahren Ruhm, weil sie behauptet, einen übergriffigen Produzenten getötet zu haben, und wird vor Gericht wegen Notwehr freigesprochen. Ihre Mitbewohnerin, eine Rechtsanwältin, vertritt sie dabei juristisch. Hat es Ihnen Spaß gemacht, wieder eine Komödie zu drehen?

François Ozon: Es hat Spaß gemacht, und es war mir auch ein Bedürfnis. Die Lust auf diesen Film ist während des Lockdowns entstanden, zu einem Zeitpunkt, als alles sehr ungewiss war und man nicht wusste, ob man überhaupt würde drehen können. Dann kam auch noch der Ukraine-Krieg hinzu. Das alles trug dazu bei, dass ich mir sagte: „Wäre es angesichts des ganzen Horrors nicht gut, wieder etwas Beschwingtes zu drehen?“ Und schließlich entdeckte ich ein französisches Theaterstück aus den 1930er-Jahren [„Mon Crime!“ von Georges Berr und Louis Verneuil, 1934, Anm. d. Red.] und fand, dass es Stoff für eine Komödie bot, zumal es von Themen handelte, die heute aktuell sind: Machtmissbrauch und die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Es ging mir darum, aus einem veralteten Stoff etwas Modernes zu schaffen, wie ich es bereits bei „8 Frauen“ und „Das Schmuckstück“ getan hatte.

Diese drei Komödien haben Sie ja auch schon als eine Trilogie bezeichnet …

Ozon: Na ja, so etwas sage ich eher für Journalisten, damit sie sich freuen. (lacht) So war das eigentlich gar nicht geplant. Aber nachdem der Film fertiggedreht war, erkannte ich ein Muster. „8 Frauen“ war ein Film über die Abkehr vom Patriarchat. Der Mann brachte sich um, und die Frauen ergriffen die Macht. In „Das Schmuckstück“ hatte die Frau die Macht, das repräsentierte das Matriarchat. Catherine Deneuve spielte darin eine Art Ségolène Royal oder Angela Merkel. Und „Mein fabelhaftes Verbrechen“ ist ein Film über die Schwesterlichkeit, über die Solidarität unter Frauen. Das spiegelt das wider, was wir heutzutage in allen feministischen Bewegungen finden.


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Haben Sie selbst die feministischen Aspekte des Films eingefügt? Im Film wird der Kampf um das Wahlrecht der Frauen im Frankreich der 1930er-Jahre erwähnt oder gezeigt, dass im Gericht alle Geschworenen Männer waren.

Ozon: Dass bei Gerichtsprozessen Männer entschieden, entsprach einfach der Realität der 1930er-Jahre. Ich habe mich gefragt, wie Frauen damals lebten und welche Möglichkeiten sie hatten, um aufzusteigen. Das Theaterstück spielte nicht im Milieu des Films oder des Theaters, das habe ich verändert. Außerdem wollte ich, dass die beiden weiblichen Hauptfiguren nicht nur zynisch erscheinen. Bei ihnen geht es mehr ums Überleben. Und je mehr der Film voranschreitet, desto mehr entdecken sie in sich selbst so etwas wie eine politische Berufung für die Rechte der Frauen. Das war alles nicht im Stück, das eher frauenfeindlich war. Es sagte aus, dass eine Frau manipulierend und verführerisch sein muss, um Erfolg zu haben.

François Ozon mit seinen Darstellerinnen Rebecca Marder und Nadia Tereszkiewicz (© IMAGO / Emmefoto)
François Ozon mit seinen Darstellerinnen Rebecca Marder und Nadia Tereszkiewicz (© IMAGO / Emmefoto)

Haben die beiden jungen Frauen ihre Erfolgsstory nicht vor allem einer List zu verdanken?

Ozon: Natürlich. Darin besteht ihre Intelligenz. Die beiden jungen Schauspielerinnen habe ich so angeleitet, dass sie schlau und lustig sind, dass sie Esprit haben. Sie sind die Heldinnen des Films und der Film ist aus ihrer Perspektive erzählt.

Natürlich passt der Film voll in die #MeToo-Epoche. Wie hat diese Bewegung die französische Filmindustrie verändert?

Ozon: Ich finde, dass es eine Revolution ist, und bei allen Revolutionen gibt es positive Seiten. Es gibt auch Exzesse; es rollen Köpfe. Aber das ist man in Frankreich ja gewohnt. (lacht) Also steckt da zwangsläufig etwas Gewalttätiges drin, aber das ist andererseits auch notwendig. Wir haben mehrere Jahrhunderte des Patriarchats hinter uns. Wenn man das also wieder ausgleichen will, zieht man die Dinge manchmal mit etwas gröberen Mitteln durch. Das ist aber gut, denn dadurch werden überkommene Vorstellungen hinterfragt und entwickelt sich ein neuer Blick. Außerdem können sich Menschen äußern. In meinem Film „Gelobt sei Gott“ geht es um Opfer von sexuellem Missbrauch in der Katholischen Kirche. Bei #MeToo sind es Frauen; das ergänzt sich. Da geht es generell um Gleichheit und Anerkennung, und das ist wichtig für die Gesellschaft.

In dem Film fällt der bezeichnende Satz: „Frauen sind minderjährig, wenn es um ihre Rechte geht, aber volljährig, wenn sie Fehler begehen.“ Fasst das die Stellung der Frau damals zusammen?

Ozon: Frauen wurden wie Kinder angesehen. Sie standen unter dem Schutz ihrer Eltern oder ihres Ehemannes. Und amüsant ist, dass es in den 1930er-Jahren viele kriminelle Frauen gegeben hat, die für große Skandale gesorgt haben. Etwa Violette Nozière, die in Chabrols gleichnamigem Film von Isabelle Huppert gespielt wurde. Davor dachte man offenbar immer, dass sie nur Hausfrauen seien, die in die Kirche gehen und nett sind. Violette Nozière beispielsweise ist zu einer Ikone der Surrealisten aufgestiegen, weil sie revolutionär war und es gewagt hatte, ihren Vater umzubringen.

Unverheiratete Frauen wurden als Gefahr betrachtet …

Ozon: Ja, und als verdorben. Andererseits gibt es zu dieser Zeit in Frankreich auch Colette. Galten die 1920er-Jahre als Epoche großer Freiheit nach dem Ersten Weltkrieg, kommen in den 1930er-Jahren Nationalismus und Antisemitismus auf und bahnt sich der Zweite Weltkrieg an. Die Gesellschaft polarisiert sich, und die Frauen emanzipieren sich immer mehr. Mit dem Krieg hört dann alles auf. Denn das Wahlrecht erlangten Frauen in Frankreich erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Madeleine (Nadia Tereszkiewicz) vor Gericht (© Weltkino)
Madeleine (Nadia Tereszkiewicz) vor Gericht (© Weltkino)

Auffällig am Film ist auch das mitunter prächtige Setdesign. Die Villa des Filmproduzenten und die Reifenfabrik des Direktors sind im Art-Déco-Stil gehalten. Sind die Kulissen echt?

Ozon: Das Paris der 1930er-Jahre nachzustellen war schwierig, denn die meisten Gebäude von damals wurden abgerissen. Für die Villa des Produzenten wollte ich etwas sehr Hollywoodhaftes im Art-Déco-Stil. Dann haben wir die Villa Empain in Brüssel entdeckt, ein unglaubliches Gebäude, das heute ein Museum ist. Sie passte perfekt. Für die Fabrik wollte ich etwas, was an „Moderne Zeiten“ von Charlie Chaplin erinnert – all diese Filme der Stummfilm-Ära, in denen man immer den Direktor sieht, der seine Arbeiter überwacht. Aber so etwas existiert heute nicht mehr, schon gar nicht im Art-Déco-Stil. Also ist die Fabrik eine Mischung aus einem echten Gebäude und Spezialeffekten. Wir wollten das Ambiente der Epoche beibehalten, haben dabei aber nicht auf strengen Realismus gesetzt.

Einigen Ihrer Schauspieler merkt man an, dass sie beim Drehen sehr viel Spaß gehabt haben. Fabrice Luchini, der einen ausgesprochen dümmlichen Untersuchungsrichter spielt, und Isabelle Huppert als Ex-Stummfilmstar drehen dabei sehr auf und sind besonders lustig. Wie leiten Sie sie an? Muss man sie bremsen?

Ozon: Nein, wir erarbeiten das zusammen. Für die Figur von Odette Chaumette, die Isabelle Huppert spielt, stand Sarah Bernhardt Pate. Sie ist eine Stummfilmschauspielerin, die in Vergessenheit geraten ist, aber noch wahrgenommen werden will. Als ich Isabelle Huppert die Rolle anbot, meinte sie: „Ach, die Rolle ist so klein, und ich erscheine erst spät im Film.“ Darauf antwortete ich: „Isabelle, mach’ dir keine Sorgen. Sobald du in dem Film auftauchst, wird man nur noch dich sehen.“ Und so war es auch. Sobald sie auftritt, nimmt sie den ganzen Raum ein. Und die beiden jungen Schauspielerinnen Nadia Tereszkiewicz und Rebecca Marder waren wie ihre Figuren und sagten: „Sie stiehlt allen die Show.“ Das war so ein Meta-Moment beim Drehen.

Erinnert ihre Rolle nicht auch an die von Gloria Swanson in Billy Wilders „Sunset Boulevard“?

Ozon: Schauspielerinnen mögen diesen Vergleich nicht. Isabelle Adjani sagte mir beim Dreh von „Peter von Kant“: „Hören Sie auf, von Gloria Swanson zu reden!“ Sie müssen sich vorstellen: Gloria Swanson war 50 Jahre alt, als sie „Sunset Boulevard“ gedreht hat. Da merkt man, wie sehr sich die Bedingungen seitdem verändert haben. 1950 war eine 50-jährige Frau alt. Und Isabelle Huppert ist mit 70 noch sehr präsent und verdrängt alle anderen.

Die Stummfilmdiva (Isabelle Huppert) mit eigener Agenda (© Weltkino)
Die Stummfilmdiva (Isabelle Huppert) mit eigener Agenda (© Weltkino)

Sie verwenden viele filmische Mittel – eine zum Teil dramatische Musik, gestellte Wochenschauen und falsche Filmausschnitte. Wollten Sie so geballt die damalige Zeit bebildern?

Ozon: Das hat mir einfach Spaß gemacht. Die Presse war damals einfach sehr wichtig, und auch Wochenschauen wurden damals viel verwendet. Ich wollte alle Kunstgriffe des Kinos benutzen, um diese Geschichte zu erzählen, denn der Film ist eine Hommage an die Fiktion im Kino. Und die Fiktion ist am Ende wichtiger als die Wahrheit. Da wären wir dann bei John Ford gelandet.

Können Sie noch etwas über die Besetzung mit französischen Altstars wie André Dussollier, Fabrice Luchini, Dany Boon, Isabelle Huppert und den beiden weiblichen Newcomern sagen?

Ozon: Ich war sehr froh, dass die Altstars es akzeptiert haben, Nebenrollen zu spielen. Das haben sie getan, weil wir bereits miteinander gedreht hatten. Sie sind intelligent und wissen, dass es nicht auf die Größe der Rolle ankommt. Isabelle Huppert wird nicht bereuen, diesen Film gedreht zu haben. Denn man sieht sie nicht häufig in publikumsträchtigen Komödien. Isabelle hat sehr viel Humor. Ihr gefällt es, mit ihrem Image zu kokettieren, und sie fürchtet sich vor nichts. Außerdem ist es ironisch, sie eine abgehalfterte Schauspielerin spielen zu lassen, weil sie eine der größten internationalen Stars der Gegenwart ist. Aber es findet auch eine Übergabe statt: Die wahren Stars des Films sind die beiden jungen Schauspielerinnen Nadia Tereszkiewicz und Rebecca Marder.

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