© Tobis (Marlon Brando in "Apocalypse Now")

"Apocalypse Now" - Angst als moralischer Motor

Im dritten Beitrag des Siegfried-Kracauer-Blogs "Der Krieg in uns" geht es um "Apocalypse Now“ (USA 1979) von Francis Ford Coppola

Veröffentlicht am
18. August 2023
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Eine der furchtbarsten Waffen des Krieges ist die Erinnerung an erlebte Gräuel. Sie kann aber zugleich auch zum wichtigsten Mittel werden, um künftige Kriege zu vermeiden. Doch wie schafft man es, dass die Menschen nicht wegsehen? Der Blog „Komm und sieh – Der Krieg in uns“ stellt wichtige Filme über den Krieg vor, die noch heute den Blick bannen. Welche Motivation hatten die Menschen, die sie drehten? Was macht der Krieg im Film heute mit uns und wie weit dürfen die Filmemacher dabei gehen? Der dritte Beitrag würdigt kritisch „Apocalypse Now“ (USA 1979) von Francis Ford Coppola über den verlorenen Vietnamkrieg der US-Amerikaner.


Es ist die nackte Angst, auf die man bei der Recherche zu „Apocalypse Now“ immer wieder trifft, fast so, als wäre die Filmcrew selbst im Krieg gewesen: Die Angst vor den massiven Regenfällen im philippinischen Dschungel. Die Angst vor den kriegerischen Konflikten im Land während der Dreharbeiten. Die Angst, nach zu viel Drogen, Ausschweifungen und Improvisation den Verstand zu verlieren. Die Angst von Marlon Brando vor dem Versagen. Die von Martin Sheen, seinen Herzinfarkt nicht zu überleben. Die Angst der Coppolas, durch die ausufernden Kosten Hab und Gut zu verlieren. Die Angst des Sound- und Schnittmeisters Walter Murch schließlich vor dem gigantischen Konvolut an Aufnahmematerial, das für die immer neuen Schnittfassungen in den 40 Jahren danach gesichtet werden musste. Die Angst regierte die Beteiligten bis zuletzt und war zugleich das bestimmende inhaltliche Filmmotiv von „Apocalypse Now“ (1979) – dem finsteren Herzensprojekt von Francis Ford Coppola über den verlorenen Vietnamkrieg der Amerikaner und Albtraum seiner eigenen Generation.

Mit seinem Fokus auf den Wahnsinn des Krieges, der Menschen in psychische Ausnahmesituationen bringt und ebenso Teil des filmischen Entstehungsprozesses war, wirkt das Werk auch heute noch Furcht einflößend. Filmemachen als Prozess der Angst, der die Ästhetik über alles andere stellt. Rechtfertigt das Thema Krieg derartige Methoden? Vorgaben für Green Shooting, Tierschutz, Nachhaltigkeit und Sicherheit am Set hätten eine solche Produktion aktuell wohl deutlich erschwert, auch wenn ausgeprägte Angstszenarien auch heute noch oft genug zu belastenden Begleitern von Filmproduktionen werden. „Meine größte Angst war, einen beschissenen, peinlichen Film zu machen, der zu einem 20-Millionen-Dollar-Desaster wird“, rechtfertigte sich Coppola, der die Produktion mit dem Making-of „Reise ins Herz der Finsternis“ (USA 1991) minutiös von seiner Frau Eleanor Coppola dokumentieren ließ.

Am Ende rechnet sich "Apocalypse Now" doch (Tobis)
Am Ende rechnete sich "Apocalypse Now" doch (© Tobis)

Auch wenn sich die Produktionskosten sogar verdreifachten sollten, rechnete sich „Apocalypse Now“ am Ende doch: Er spielte weltweit ein Vielfaches seiner Kosten ein und wurde mit zwei „Academy Awards“, drei „Golden Globes“ sowie der „Goldenen Palme“ ausgezeichnet. Er zählt zum Höhepunkt der auslaufenden „New Hollywood“-Ära, in der jüngere US-amerikanische Autorenfilmer bereits seit Ende der 1960er-Jahre filmkünstlerisch starke Akzente setzten.


Der Vietnamkrieg, Joseph Conrad & der „Culture Clash“

Ein Film mit einem solchen kritischen politischen Statement? Da wollten die etablierten Studiobosse lieber die Finger von lassen. Anders Coppola, der fast ein Jahrzehnt brauchte, um diesen Film zu realisieren. Heute würde man Coppolas Angst wohl mit dem „Impostor-Syndrom“ erklären – der Angst, als Hochstapler enttarnt zu werden und komplett zu versagen. Die Messlatte hatte er sich ja auch sehr hochgesteckt, da er sich beängstigenden Superlativen stellte: Der Krieg in Vietnam, in dem die USA nach ihrem Kriegseintritt 1965 bis zu ihrer Niederlage 1975 vergeblich gegen den Kommunismus kämpften, gilt als größtes Desaster der US-Geschichte. Es war bis dato Amerikas längster Krieg mit rund 60.000 Toten, über 300.000 Verletzten, einer hohen Selbstmordrate und bis zu geschätzt 800.000 oftmals jugendlichen Veteranen, die an posttraumatischen Störungen litten. Denn das Durchschnittsalter in der Truppe war nur 19 Jahre. Viele davon waren People of Color, oft arm und kaum gebildet. Sie konnten sich der Wehrpflicht, durch die 2,7 Millionen US-Amerikaner als Soldaten nach Vietnam geschickt wurden, nicht entziehen (Steininger 2020). Coppola (Jahrgang 1939) wollte einen Film über genau dieses kollektive Schockerlebnis seiner eigenen Generation machen und zeigen, wie aus seiner Sicht der Krieg für die GIs wirklich war: nämlich irrsinnig und traumatisierend, drogengeschwängert und sinnlos. Das Trauma einer verlorenen Jugend Ende der 1960er-Jahre in halluzinierenden Traumbildern eines psychedelischen Rock’n’Roll-Kriegs, der mit dem gewalttätigen „Culture Clash“ in Vietnam die kaugummibunte Popkultur von Beach Boys, Disneyland und Playmates ad absurdum führt.

Und was konnte sich als Vorlage besser eignen, als sich einen weiteren Superlativ der Literaturgeschichte einzuverleiben, um die gigantische Fehleinschätzung der USA gegenüber den vermeintlich leicht zu schlagenden Vietkongs künstlerisch zu verarbeiten: „Herz der Finsternis“ (1899), Joseph Conrads düster erzählte Flussfahrt durch Afrika auf der Suche nach dem Elfenbeinhändler Kurtz und seinem Schattenreich, die zur persönlichen Erweckung des Seemanns Charles Marlow und zur mystischen Abrechnung mit den ausbeuterischen westlichen Eindringlingen in den Urwäldern wird. Sie zählt noch heute zu den meisterforschten Erzählungen der englischsprachigen Prosa und stellt die maßgebliche Referenzliteratur für die Debatte über den Postkolonialismus dar (Lorenz 2018). Bis dato gab es erst eine Fernsehverfilmung des Stoffes von 1958 mit Boris Karloff als Colonel Kurtz, die im Rahmen der ambitionierten Drama-Anthologie „Playhouse 90“ entstand. Orson Welles hatte 1939 versucht, sich selbst als Colonel Kurtz in Szene zu setzen. Doch sein Budget reichte lediglich für eine Radioadaption im Jahr 1945. Auch Werner Herzog ließ sich in „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972) von Conrads Vorlage inspirieren und schickte seine spanischen Konquistadoren mit Klaus Kinski an der Spitze drogengeschwängert in die Sümpfe des peruanischen Dschungels. Herzog schonte dabei ebenso wenig seine Mitarbeitenden, die indigenen Statisten oder sich selbst und schuf so ein weiteres ambivalentes Beispiel für das Filmspiel mit der Angst vor den Urvölkern.


Westliche Kriegskultur scheitert am feindlichen Urkult

Auch Coppola wollte sich dieses Giganten der Literaturgeschichte annehmen und damit das Monströse des Krieges bezwingen, koste es, was es wolle. Sein Colonel Kurtz, das konnte nur Marlon Brando sein, sein Mafia-Pate aus „Der Pate“ (1972), der allerdings nun mindestens drei Millionen Dollar Gage haben wollte. Die Gewinne aus „Der Pate“ und seiner Fortsetzung 1974 machten es schließlich möglich. Das Drehbuch von John Frederick Milius war zwar bereits seit Jahren fertig, wurde jedoch von Coppola bis kurz vor Dreh immer wieder überarbeitet – eine Form der Improvisation, die zu dramatischen Erschöpfungszuständen bei den Dreharbeiten führte.

Francis Ford Coppola und Marlon Brando (Tobis)
Francis Ford Coppola (r.) und Marlon Brando (© Tobis)

Das Setting von „Apocalypse Now“ ist Vietnam 1969. Die Flussfahrt von Marlow wird zur umnebelten Purple-Haze-Patrouillen-Bootstour von Captain Willard (Martin Sheen), der den Auftrag erhält, unter strenger Geheimhaltung die Spur des abtrünnigen Kriegshelden Colonel Kurtz (Marlon Brando) bis nach Kambodscha zu folgen und ihn dort auszuschalten, da dessen Methoden „unsound“ für die Armeespitze geworden sind – bedenklich, unzuverlässig und ungesund. Auf seiner Tour de Force begegnet Willard dem personifizierten Wahnsinn und einer westlichen Kriegskultur, die dem Urkult des Feindes nicht standhalten kann: Lieutenant Colonel Bill Kilgore (Robert Duvall) lässt seine Männer vergeblich versuchen, mitten im Bombenhagel zu surfen. High-Tech-Hubschrauber, die im vernichtenden Luftkrieg mit Richard Wagners „Ritt der Walküren“ aus ihren Lautsprechern beim Feind Angst und Schrecken auslösen sollen, hängen nach einer ruhmlosen Bodenschlacht deformiert in den riesenhaften Bäumen. Französische Kolonialisten aus dem Indochina-Krieg verlieren sich nach ihrem altmodisch-herrschaftlichen Diner auf ihrer Plantage im Opium-Rausch. Vier junge Soldaten auf einem Geleitboot, die grausame Massaker anrichten, werden am Ende selbst psychisch oder körperlich in Guerilla-Manier massakriert. Es sind Szenen, die den realen Wahnsinn in Vietnam zum Vorbild hatten.

Wie fühlt sich Krieg an? Wie hört sich Krieg an? An welchem Punkt zerbricht ein Mensch in einem solchen Krieg? Wo berührt er heute eigene Tabus, wenn es um die Inszenierung von Krieg geht? Bereits die blutige Ouvertüre des Films gibt ihre ganz eigene kontroverse Antwort darauf. Kunstvoll werden zum einen zentrale Motive des Films wie eine unheilvolle Vision in- und übereinander montiert und lassen eine hypnotisierende Bildästhetik entstehen. Grüne Palmenfelder, die nach schmutzig-gelbem Napalm-Abwurf aus Armee-Hubschraubern von der martialischen Feuersbrunst aufgefressen werden. Die umgedrehte Großaufnahme des schwitzenden Gesichts eines erstarrt blickenden Captain Willards, dessen vermeintliches Heldentum damit gleich zu Anfang auf den Kopf gestellt wird. Die Säule des Tempels, in dem er später dem charismatischen Kurtz begegnen wird – der unvergesslichen Paraderolle für den körperlich zum Buddha geratenen Brando. Auf seinem Nachttisch Fotos der zurückgelassenen Familie, Alkohol, Zigaretten, Tabletten und die Kriegswaffe direkt am Bett als Ingredienzen seiner Albträume. Dazu die Todeshymne „The End“ von den Doors aus dem Jahr 1967, überlagert vom bedrohlichen, elektronisch verfremdeten Rotoren-Klang der Armee-Hubschrauber als Pulsfrequenz. Nicht umsonst erhielten Walter Murch, Mark Berger, Richard Beggs und Nat Boxer für diese Soundkulisse des Films den „Oscar“ für den besten Ton.

Beängstigend realistisch: Szene aus "Apocalypse Now" (Tobis)
Beängstigend realistisch: Szene aus "Apocalypse Now" (© Tobis)

Durch den ikonischen Jump-Cut wird das monotone Rotor-Geräusch des Hubschraubers zum Deckenventilator von Willards jalousieverhangenem Hotelzimmer in Saigon, in dem er gleich psychotisch um sich schlagen wird. Es ist eine Szenerie wie aus einem Neo-Noir-Film mit Willard als unzuverlässigem Off-Erzähler, der zum fließenden Soundhintergrund beiträgt. Am Ende schließlich wird an seinem Gesicht der ganze Horror, das Blut, der Dunst und der Schlamm des dreckigen Kriegs kleben, wenn er synchron zum archaischen Wasserbüffel-Ritual den vermeintlichen Mörder Kurtz wild mordend abschlachtet und danach die eigenen Waffen niederlegt. Kameramann Vittorio Storaro wurde für seine Bildkomposition mit dem „Academy Award“ ausgezeichnet und Lisa Fruchtman, Gerald B. Greenberg, Walter Murch sowie Richard Marks erhielten eine Nominierung für den besten Schnitt.


Ein Film mit kriegsbedingter Doppelmoral

Es ist eine gelungene ästhetische Verdichtung, die zugleich die Problematik dieser analogen 16mm-Produktion auf den Punkt bringt. Es sind die aus heutiger Sicht absoluten „No-Gos“ im Umgang mit Mensch und Natur bei den Dreharbeiten: Echte Bomben, die sowohl einen riesigen Küstenwald in Sekunden abfackeln, als auch die Unterwasserwelt davor zerstören, nur um den Horror-Effekt des US-Angriffs nachzubilden. Ein mit Drogen und Alkohol zugepumpter Martin Sheen, der sich im Rausch mit blutigen Händen bis zur Besinnungslosigkeit entäußert und dabei hemmungslos von der Kamera gefilmt wird. Ein Rind, dem bei lebendigem Leib der Kopf abgehackt wird. Ein Filmsetting, das ohne Rücksicht in den Dschungel gehauen und am Ende wieder in die Luft gesprengt wird. Stundenlang bis zum Hals eingegrabene Statisten, nur um realistisch anmutende Totenschädel in einem kurzen Schwenk zu filmen. Eine Filmcrew, die sich am Rande ihrer geistigen und körperlichen Kräfte selbst wie die feindlichen GIs in Vietnam fühlte und dies mit Drogen kompensierte.

1979 in einer marktkonformen Schnittfassung von 153 Minuten in Cannes uraufgeführt und 2000 in der kritisch aufgenommenen „Redux“-Version um rund 50 Minuten ergänzt und umgeschnitten, gab sich der Regisseur erst vier Jahrzehnte nach den Dreharbeiten mit dem „4k-Final Cut“ von 183 Minuten wirklich zufrieden. Aber wenn es um die Verwirklichung von Coppolas künstlerischer Vision und der eigenen „Mythologisierung“ geht, wie seine Frau die Grenzverletzungen beim Produktionsprozess verherrlicht, ist wenig Selbstkritik zu hören. Und doch gibt es Momente der Selbstreflexion in „Apocalypse Now“, wenn der Regisseur ein Cameo von sich als sensationsgierigem Kriegsberichterstatter einbaut und sich damit der Kritik an der medialen Inszenierung stellt – ein Thema, das angesichts der Berichterstattung über aktuelle Kriegsgeschehen in der Ukraine oder Syrien noch heute eine heikle Frage darstellt.

Was bleibt: Dennis Hopper in "Apocalypse Now" (Tobis)
Was bleibt: Dennis Hopper in "Apocalypse Now" (© Tobis)

Am Ende bleibt im Film nur ein einziger durchgedrehter Kriegsfotograf (Dennis Hopper) übrig, der auch mit fünf Fotoapparaten bewaffnet der pervertierten Medienschlacht des Krieges nicht mehr standhalten kann. In der Schlacht der Bilder haben sich Coppola und sein Team dagegen erfolgreich geschlagen, auch wenn ihre eigenen Methoden bei den Dreharbeiten ebenfalls oftmals „unsound“ anmuten. Dies führt zu einer beängstigenden Aktualität, die „Apocalype Now“ gerade jetzt zu einem ergiebigen Kinoerlebnis macht und viel Stoff für Diskussion gibt: über psychedelisch-psychotische Bildästhetik, machtvolle Sounddesigns, eindrucksvolles „Method Acting“, die Inszenierung kriegsbedingter Doppelmoral, ihre Grenzverletzung bei Filmproduktionen und natürlich der Frage: Wie hoch darf sie hängen, die Messlatte für die künstlerische Freiheit als Motor im Kampf gegen den Krieg und die eigene Angst?


Mit Dank an Hermann Ungerer von der VHS Edingen-Neckarhausen für die Initiation des Themas „Der Krieg in uns“ und Alexander Pawlak für die konstruktive Unterstützung bei diesem Blog.


Literaturhinweise

Lorenz, Matthias (2018): Der weiße Fleck. In: Distant Kinship – Entfernte Verwandtschaft. Joseph Conrads „Heart of Darkness“ in der deutschen Literatur von Kafka bis Kracht. Schriften zur Weltliteratur/Studies on World Literature, Vol. 5. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart

Steininger, Rolf (2020): Der Vietnamkrieg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn

Vernon, Brooks (2022): Apocalypse Now: All 4 Different Cuts Explained (& Which Is The Best). Aktualisiert 22.6.2022, Screen Rant, St. Laurent, Quebec


Zum Siegfried-Kracauer-Stipendium

Der Blog „Komm und sieh – DerKrieg in uns“ von Morticia Zschiesche entsteht im Rahmen des Siegfried-Kracauer-Stipendiums, das der Verband der deutschen Filmkritik zusammen mit MFG Filmförderung Baden-Württemberg, der Film- und Medienstiftung NRW und der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) jährlich vergibt.

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