Für den gebürtigen Iraner und passionierten Drehbuchschreiber Farhad Shahed ging 2021 ein Traum in Erfüllung: eines seiner Skripte wurde verfilmt. Die Produktion übernahm er selbst, ebenso wie alle anderen Funktionen. So entstand das Ein-Mann-Werk „Dark Day“, in dem am 11. September 2001 ein Mann in einem Keller zum Vermittler der Weltmächte wird. Den Film gibt es nur auf Vimeo on Demand zu entdecken. Die hochverdiente Aufmerksamkeit blieb ihm bislang noch verwehrt.
Besondere Zeiten bringen besondere Kunst hervor. So macht sich Corona nicht nur in der Filmdistribution, sondern auch in der Produktion bemerkbar. Davon zeugen jüngere Werke wie „Malcolm & Marie“ oder „Oxygen“, die sich mit ihrem reduzierten bis minimalistischen Ansatz (ein bis zwei Personen vor der Kamera, ein kleines Team dahinter) pandemiekonform verwirklichen ließen.
Im Frühjahr 2021 erschien jedoch auch ein Film, der dieses Prinzip auf die Spitze treibt und ganz im Zeichen des Corona-Lockdowns stand. Ein einzelner Mann, allein in einem isolierten Raum, vor und hinter der Kamera, die kreative Leitung über das gesamte Projekt und die Ausführung aller Aufgaben übernehmend. Die Rede ist nicht von Bo Burnhams Ein-Mann-Special „Inside“, sondern von Farhad Shaheds „Dark Day“.
Dass die Bekanntheit des Films auf der öffentlichen Popularitätsskala am gegenüberliegenden Ende von „Inside“ rangiert, liegt einerseits daran, dass hier kein Streaming-Gigant im Hintergrund stand. Andererseits aber auch an den bemerkenswerten Umständen, unter denen dieser Film produziert wurde. Denn „Dark Day“ ist, wie es der Name der Produktionsfirma verspricht, tatsächlich eine komplette Ein-Mann-Produktion. Und zwar eine verdammt gute.
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Ein 140-minütiges Kammerspiel
Dass man zu diesem Urteil gelangen könnte, mag man beim Anblick des Trailers für ausgeschlossen halten. Unbeholfen und bisweilen dilettantisch wirkt es, wie dort mit spannungsgeladener Musik und in großen Lettern die grundlegende Prämisse „Stell dir vor, das rote Telefon existiert“ verkündet wird. Bedient wird dieses (letztlich schwarze) Telefon von einem Mann im dunklen Anzug und schütterem Haar inmitten eines behelfsmäßig ausgeleuchteten und seltsam eingerichteten Kellers. Aufgeregt führt er Gespräche mit der russischen und US-amerikanischen Regierung, um am 11. September 2001 einen Atomkrieg zwischen den Großmächten zu verhindern. Und das über geschlagene 140 Minuten hinweg.
Ein Kammerspiel mit einer Handlung von globalen Ausmaßen, geschrieben, inszeniert, gespielt und produziert von nur einer Person. Ein größenwahnsinniges Lockdown-Projekt also? Das findet auch Farhad Shahed, der sich im Gespräch als frohgemuter, redefreudiger und hochsympathischer Zeitgenosse erweist. Zugleich ist „Dark Day“ aber auch etwas, das Shaheds unbändigen Leidenschaft für das Medium Film entsprang, über das er scheinbar ewig fabulieren kann. Geboren 1968 in Teheran, mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen, ist Farhad Shahed inzwischen Elektrotechnikingenieur, arbeitet als Projektleiter bei der Deutschen Post. Sein großer Traum aber war es, seitdem er in der Verleihfirma seines Vaters in Iran Filmrollen schnitt und reparierte, seine Skripte auf der großen Leinwand verwirklicht zu sehen.
„Dreh doch einen Film“
Inzwischen ist Shahed in seinen Fünfzigern, hat gut 20 Drehbücher verfasst, vier wurden verfilmt. Das erste: „Mr. Boogie“ (2000) mit Zlatko Trpkovski in der Hauptrolle, der zwar gedreht, aber nie veröffentlicht wurde. Das zweite: der 25-Minüter „Der Duft der Männer“ (2006), bei dem Shahed selbst Regie führte und der auf Youtube zu sehen ist. Das dritte: die Fernsehproduktion „Ich Chef, du nix“ (2008). Beim vierten nun, „Dark Day“, nahm er nach diversen Versuchen, einen Käufer zu finden, einfach alles selbst in die Hand. „Dreh doch einen Film“, habe seine Frau im Scherz zu ihm gesagt, als er sich im Lockdown langweilte, erzählt er. Und das tat er dann auch. Zum Glück.
Nach der Organisation eines Drehorts, dem Beschaffen der Technik, dem Anfertigen der Storyboards und dem Lernen der Texte (Shahed spielt nicht nur den Protagonisten, sondern leiht auch sämtlichen Figuren am anderen Ende des Telefons seine Stimme) ging es an den Dreh. 17 Tage lang filmte er „Dark Day“ in der Eiseskälte eines Veranstaltungskellers im Winter 2021, die Postproduktion übernahm er selbstverständlich ebenfalls. Im Mai dann die Veröffentlichung bei Vimeo on Demand – und parallel die Suche nach einem Kino, das seinen Film spielt. Hunderte Mails habe er geschrieben, doch bislang ohne Erfolg.
Unbeachtetes Kult-Potential
Das ist bedauerlich. Denn „Dark Day“ ist trotz offenkundiger inszenatorischer Schwächen (allem voran die uneinheitliche Tonqualität) ein Film, der es in sich hat. Der einen anfangs im Glauben lässt, hier handle es sich um einen Trash-Film, der dann aber mit spannenden Handlungsbögen, Running Gags und skurrilen Wendungen überrascht. Der die schmale Gratwanderung zwischen dem Ernst des Themas und Humor mit Bravour bewältigt. Der trotz seiner Reduktion auf einen Schauplatz und eine Reihe von Telefonaten sowie Monologen keine Langeweile aufkommen lässt. Der vom exzentrischen Schauspiel, dem kreativen Selbstbewusstsein und der absoluten Passion seines Machers lebt, die aus jeder Pore dieses Werks quillt.
Dass das Drehbuch trotz einer Adelung als, so Shahed, „Meisterwerk“ durch das ZDF-Lektorat (dem möchte sich auch der Autor dieses Textes anschließen) keinen Abnehmer fand, kann man einerseits als Glücksfall werten – wie viel kreative Eigenständigkeit wäre dann noch übriggeblieben? – andererseits zeigt es auch, wie schwer es für Kreative ist, in der deutschen Filmlandschaft Fuß zu fassen, wenn sie keine großen Namen vorweisen und mit unkonventionellen Ideen um die Ecke kommen. Oder es sich nicht nur zwischen leichten Komödien und historischen Stoffen bequem machen. Dabei besitzt „Dark Day“ beachtliches Kult-Potential. Noch besteht die Chance – und vielleicht auch die Aussicht auf eine Vorführung in einem Kino, das für Experimente offen ist.
Hinweis:
„Dark Day“ kann bei Vimeo für einen Zeitraum von 72 Stunden als Stream ausgeliehen werden oder gekauft und dauerhaft heruntergeladen werden.