Drama | Italien/Schweiz/Deutschland/Albanien/Kosovo/Frankreich 2015 | 88 Minuten

Regie: Laura Bispuri

Um als vollwertiges Mitglied der Männerwelt anerkannt zu werden, lebt eine junge Frau in der archaischen Berglandschaft Albaniens nach den Regeln des Kanun als „Burrnesha“, als eine eingeschworene Jungfrau. Sie flieht zu ihrer Cousine nach Mailand, wo sie versucht, ihre verdrängte weibliche Seite wiederzugewinnen. Der Debütfilm blickt auf eine eigenwillige Form des Cross-Gender in einer patriarchalen Gesellschaft. Dank seiner großartigen Hauptdarstellerin, die die körperliche Transformation und Widersprüchlichkeit der Figur mit Blicken, Gesten und Haltungen nuanciert zum Ausdruck bringt, glänzt er durch eine Komplexität, die ihm andernorts fehlt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
VERGINE GIURATA
Produktionsland
Italien/Schweiz/Deutschland/Albanien/Kosovo/Frankreich
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Vivo Film/Colorado Film/Bord Cadre Films/Match Factory Prod./Erafilm
Regie
Laura Bispuri
Buch
Laura Bispuri · Francesca Manieri
Kamera
Vladan Radovic
Schnitt
Carlotta Cristiani · Jacopo Quadri
Darsteller
Alba Rohrwacher (Hana / Mark) · Flonja Kodheli (Lila) · Lars Eidinger (Bernhard) · Luan Jaha (Stjefen) · Bruno Shllaku (Gjergj)
Länge
88 Minuten
Kinostart
23.06.2016
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Eine "Burrnesha", die in den albanischen Bergen als "eingeschworene Jungfrau" eine von der partriarchalen Welt akzeptiertes Dasein führt, flieht nach Mailand und sucht ihre weibliche Seite. Mit Alba Rohrwacher.

Diskussion
Die Liste der Gebote ist lang. Man trinkt nicht vor einem Mann. Man raucht nicht. Man rührt kein Gewehr an. Man spricht nicht vor einem Mann. Man geht nicht ohne einen Mann in den Wald. Man wählt seinen Mann nicht aus. Man macht keine Männerarbeit. Man wählt nicht, bevor der Mann gewählt hat. Hana macht von fast allem das Gegenteil: Sie geht allein in den Wald, sie trinkt Schnaps, sie raucht und trägt ein Gewehr über der Schulter. Nur einen Mann wählen, das tut sie nicht. Hana ist eine Burrnesha, eine eingeschworene Jungfrau. Sie heißt jetzt Mark. Ausgangspunkt von „Sworn Virgin“ ist ein im traditionellen Recht des Kanun verankertes Gesetz auf dem Balkan. Dieses erlaubt Frauen, in einer von Männern dominierten Gesellschaft dem Schicksal als Ehefrau zu entfliehen. Eingeschworene Jungfrauen sind die einzige institutionalisierte Form des Cross-Gender in Europa, sie können Waffen tragen und die Führung der Familie übernehmen. In dieser Rolle werden sie als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anerkannt und respektiert. „Sworn Virgin“ beginnt mit einem Aufbruch. Mark lässt die einsame und raue Gegend in den Bergen Albaniens zurück und steht eines Tages bei Lila, der Cousine und engsten Verbündeten aus Kindertagen, vor der Tür. In Mailand. Erst in Rückblenden entfalten sich Vorgeschichte und Hintergründe des Jungfrauenschwurs. Mit knappen Dialogen erzählt Laura Bispuri in ihrem Debütfilm davon, wie Mark in der neuen Umgebung die verlorenen Anteile von Hana langsam wieder zurückgewinnt. Wie Hana irgendwann das Tuch ablegt, mit dem sie mehr als ein Jahrzehnt tagtäglich ihre Brust eingeschnürt hat. Wie sie ihre Geschlechtlichkeit entdeckt, zum ersten Mal einen Penis anfasst, ihre erste sexuelle Begegnung hat. Und wie sie die Verbindung zu Lila wiederaufbaut, die sie damals in den Bergen zurückließ, um mit ihrem Geliebten in die Stadt zu fliehen. Allegorischer Schauplatz ist ein Schwimmbad, in dem Lilas Teenager-Tochter ihr Synchrontraining absolviert. Mark/Hana begleitet sie öfter dorthin und gewinnt in der Begegnung mit unterschiedlichen Körpern – muskulöse, junge, alte Körper, tätowierte Körper, schöne, hässliche Körper – erstmals ein Gefühl für die Möglichkeiten jenseits einer streng polaren Geschlechterordnung. Bispuri hat ein gutes Gefühl für Atmosphären, aber szenisch bleibt die Erzählung etwas unterentwickelt und simplifizierend – etwa wenn Marks Blick im Einkaufszentrum auf den Schaufenster-Auslagen mit Unterwäsche verharrt oder eine kreischende Horde junger Mädchen in Abendkleidern durchs Bild rennt. So konzentriert sich alle Komplexität auf die Körperperformance der großartigen Alba Rohrwacher, deren habituelle Routinen – breitbeiniger Gang, das Zurückstreichen der kurzen Haare, die selbstverständliche Homosozialität mit Lilas Ehemann, das gemeinsame Schnapstrinken etc. – immer brüchiger werden und Platz machen für ein anderes körperliches Selbstverständnis. Ein wenig schlicht und vor allem tendenziös bleibt dabei vor allem die Darstellung des Jungfrauenschwurs. Das geschlechterpolitische Potenzial dieser Praxis lässt die Inszenierung weitgehend ungenutzt. Stattdessen zeichnet die Regisseurin das Leben der Burrnesha ziemlich einseitig als Beschneidung, Kasteiung, als Opfer und als Weg in die Einsamkeit. Dass Hana mit ihrem Übertritt auch Rechte und Freiheiten hinzugewinnt, verliert sich angesichts der aufdringlich trübseligen Stimmung, die den Film streckenweise ins Korsett einer Passionsgeschichte zwingt.
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