Auf Eindeutigkeiten darf man in den abgründigen Filmen des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos („Dogtooth“, „Alpen“) nicht hoffen. In ihren parabelhaft-stylischen Vignetten geht es nie ums Naheliegende, und auch vom Ende her scheint es eher angeraten, sich interpretatorisch den zuckenden Bewegungen ihrer obligatorischen Ballett-Szenen anzuvertrauen, als auf stringente Clues aus zu sein.
In „The Lobster“ entwirft Lanthimos gewohnt souverän eine anspielungsreiche Vision einer nahen Zukunft, in der die „The City“ genannte Gesellschaft ausschließlich aus Paaren besteht. Singles oder Menschen, die von ihrem Partner verlassen wurden, haben 45 Tage Zeit, sich nach einem neuen Gefährten umzusehen. Andernfalls werden sie in Tiere verwandelt.
Einer der Orte, wo sich die Zukunft dieser „Loner“ entscheidet, ist „The Hotel“, ein vornehmes See-Ressort, in das auch der von Colin Farrell gespielte Protagonist David eincheckt, der als einzige Figur über einen individuellen Namen verfügt. Dieser Umstand hängt mit der weiblichen Erzählerstimme von Rachel Weisz zusammen, die aus dem Off viele Informationen beisteuert, obwohl sie erst viel später als Figur ins Spiel kommt.
Der Nobelort entpuppt sich als bizarre Ansammlung kurioser Typen (der hinkende Mann, der lispelnde Mann, die Frau mit Nasenbluten, die Herzlose, die mit den Keksen), eine Mischung aus Dating-Show und Kasernenhof, Kalkül und Maskerade, in der echte Emotionen fast zwangsläufig das Ende nach sich ziehen. Was die rätselhafte Eingangssequenz, in der eine verbitterte Frau kommentarlos einen Esel erschießt, bereits vorausnimmt.
In einer Serie grandios-bizarrer Szenen entwirft die lakonische Inszenierung mit perfektem Timing und außerordentlichem Stilwillen ein durchgeknalltes Panoptikum voller kalter Verzweiflung, der drohenden Transformation zu entgehen. Aber alle naheliegenden Versuche, der gesellschaftlichen Mechanik nachzuhelfen und den Seelenbuddy auf die ein oder andere Weise herbeizutricksen, halten dem Stresstest nicht stand. Auch Davids Liaison mit der „Herzlosen“ endet so im blutigen Desaster.
Allerdings gelingt es ihm, in die umliegenden Wälder zu entfliehen – wo er vom Regen in die Traufe gerät. Er stößt auf eine Art Gegengesellschaft, ein zwanghaftes Spiegelbild der Paar-Ideologen, mit vergleichbar rigiden Regeln und nicht weniger drakonischen Strafmaßnahmen. Hier wird kein persönlicher Kontakt geduldet; selbst zum Sterben bettet jeder sich in sein eigenes Grab. Gemeinsam geht es nur gegen den Feind, die Liebesfanatiker, wobei David die von Rachel Weisz gespielte „kurzsichtige Frau“ kennenlernt, mit der ihn bald ein bedrohliches Verhältnis verbindet.
Im dritten, recht melodramatischen Teil dieser visuell berückenden, in gedeckten Beige-, Grün- und Braungelb-Tönen gehaltenen Fabel büßt der verrückte Plot zwar spürbar an Komplexität ein, treibt die dialektischen Charaden aber auf eine einsame Spitze. Die erlesene Besetzung (u.a. Ben Whishaw, Léa Seydoux, John C. Reilly), eine sphärisch-dissonante Filmmusik und der lakonisch-absurde Humor von Yorgos Lanthimos verwandeln die Frage nach der Liebe bzw. danach, was man für seinen Partner zu tun bereit wäre, in eine abgründige (Film-)Reflexion, die alle losen Fäden immer wieder neu verknüpfen lässt, ohne so schnell an ein Ende zu gelangen. Wobei die durchgängige Abwesenheit echter Gefühle vielleicht am nachhaltigsten irritiert.