Coming-of-Age-Film | Japan/Frankreich/Spanien 2014 | 121 Minuten

Regie: Naomi Kawase

Die Freundschaft zweier Jugendlicher auf einer japanischen Insel entwickelt sich zur zarten ersten Liebe, die aber auch erste Belastungen erfährt: Das Mädchen sorgt sich um seine todkranke Mutter, der unter der Trennung seiner Eltern leidende Junge entdeckt am Strand eine Leiche. Die elegant gefilmte, in traumhaft schöne Bilder gekleidete Coming-of-Age-Geschichte ist auf poetisch-lyrische Weise in ein vielfältiges Sittengemälde des Insel-Kosmos eingebunden. Dessen Rituale und Traditionen erscheinen als Ausdruck einer lebensbestimmenden, vor allem durch die enge Verbindung mit der Natur vermittelten Spiritualität. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
FUTATSUME NO MADO
Produktionsland
Japan/Frankreich/Spanien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Kumie/Eddie Saeta
Regie
Naomi Kawase
Buch
Naomi Kawase
Kamera
Yutaka Yamazaki
Musik
Hashiken
Schnitt
Tina Baz · Naomi Kawase
Darsteller
Nijirô Murakami (Kaito) · Jun Yoshinaga (Kyôko) · Miyuki Matsuda (Isa) · Tetta Sugimoto (Tetsu) · Makiko Watanabe (Misaki)
Länge
121 Minuten
Kinostart
30.07.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Coming-of-Age-Film | Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
SchwarzWeiss (16:9, 1.66:1, DD5.1 jap.)
DVD kaufen

Naomi Kawase inszeniert eine poetische Coming-of-Age-Geschichte

Diskussion
Ihr Vater habe gesagt, beim Surfen fühle man sich bisweilen eins mit dem Meer, erzählt Kyoko und fügt an, sie stelle sich das wie Sex vor. Wie so oft in »Still the Water« sitzen Kyoko und Kaito zusammen am Strand. Wie so oft auch in »Still the Water« liegt die Initiative bei Kyoko. »Wie was?«, fragt Kaito. »Sex«, sagt Kyoko nochmals: 15, vielleicht 16 Jahre alt sind die beiden. Nachbarskinder, Haus an Haus aufgewachsen und miteinander so selbstverständlich vertraut, wie man es eben ist, auf kleinen, japanischen Fischerinseln wie Amami-Oshima, wo jeder jeden kennt und doch alle ihre Geheimnisse haben. Frühmorgens fahren Kyoko und Kaito jeweils zusammen im Bus zur Schule. Zu Hause sind sie zu Fuß, manchmal zu zweit auf Kaitos Fahrrad unterwegs. Dann strampelt Kaito, Kyoko steht hinten auf dem Gepäckträger: Ein bisschen wie Fliegen ist das. Man habe, sagt Kyokos Vater in einem liebevoll neckischen Moment, notabene eine der wenigen Szenen, die Kyoko, ihren Vater und ihre sterbenskranke Mutter vereint zeigt, Kyoko und ihren »Boyfriend« in letzter Zeit öfters zusammen gesehen. Das macht die Tochter verlegen. Sie will nicht hören, wofür sie (noch) keine Worte und Begriffe hat. Für sie ist bloß Sommer und so warm, dass Kyoko bisweilen ohne sich auszuziehen ins Meer springt. Das Meer, sind sie und Kaito sich einig, ist ein Lebewesen und geheimnisvoll. Kyoko liebt das Meer. Kaito ängstigt sich davor: Als zum Auftakt dieses flirrend-leichten, poetisch-lyrischen und gleichwohl so bodennahen Films von Naomi Kawase in einer lauen Nacht ein Fremder mit Schlangen-Tattoo auf dem Rücken tot an den Strand treibt, rennt Kaito, der diesen entdeckt, panisch davon; vergebens wartet Kyoko in dieser Nacht. Am nächsten Morgen ist die Polizei da. Die Inselbewohner stehen tratschend zusammen, Kyoko und Kaito, die beide etwas gesehen haben und es beide verschweigen, sind mitten unter ihnen. Doch ein Krimi, ein Thriller gar, ist »Still the Water« nicht. Bloß ein Film über ein Mädchen und einen Jungen, für die sich innerhalb weniger Sommerwochen die Türen zum Erwachsensein ein bisschen weiter öffnen, wobei das Erwachen von Erotik und Sexualität begleitet wird von anderen Reifungsprozessen. Der Auseinandersetzung mit dem Zyklus des Lebens. Dem Sterben. Dem Geheimnis auch der erwachsenen Liebe, die so viel weniger bedingungslos zu sein scheint als die kindliche Vertrautheit, welche Kyoko und Kaito bis dahin verbindet: Wieso sonst würde Kaitos Vater, der in Tokio lebt, seinem Sohn erzählen, dass die Distanz der Liebe zu seiner Frau keinen Abbruch tue, während Kaitos Mutter sich auf der Insel mit stets anderen Männern vergnügt? Es ist nicht einfach für ihn, das zu begreifen, es gar zuzulassen. Doch auch Kaitos Irritation über seine Eltern ist bloß ein Tupfer in diesem elegant gefilmten, bildstarken und vielfältigen Sittengemälde, als das sich »Still the Water« immer mehr entpuppt. Denn da gibt es neben Kyoko und Kaito, ihren Eltern, dem Toten auch noch den alten Fischer am Meer, Kyokos Großvater vielleicht, der alles, was geschieht, im Auge hat und jeden kennt, auch die seit Jahren Toten. Er schlachtet eine Ziege und Kyoko, die später von ihrer sterbenden Mutter Abschied nehmen muss, beobachtet staunend, wie im Moment, wo das Tier seinen Atem aushaucht, eine Verwandlung stattfindet: Wenn man so will, ist »Still the Water« auch ganz schön esoterisch. Oder eben einfach wohltuend unvoreingenommen gegenüber aus alten Zeiten stammenden Weisheiten, Traditionen, Ritualen, sowie einer lebensbestimmenden Spiritualität, die sich vor allem in der Person von Kyokos schamanisch begabter Mutter äußert. Bildschön, präzise, von großem Stilwillen geprägt ist »Still the Water«. Eine erdig-verspielte Coming-of-Age-Romanze, die mit Jun Yoshinaga eine so charmante wie talentierte Jungdarstellerin vorstellt und mit Kyoko ein selbstverständlich emanzipiertes Mädchen, das von seinem Herz-Knaben mutig fordert, was es begehrt: Intimität, Sex, Liebe.

Kommentieren