Am Anfang vieler Märchen steht der Wunsch, sich vom geraden Weg zu entfernen. Was Wunder, wenn Stephen Sondheim, der Großmeister des amerikanischen Musicals, und sein Librettist James Lapine die Worte „I Wish“ zum Leitmotiv ihrer postmodernen Märchenparodie „Into the Woods“ machen. Diese mit Stimmungen, Perspektiven und musikalischen Harmonien jonglierende Reflexion über das Wesen und die Moral von Märchen hat sich seit der Premiere 1986 zu einem der größten Erfolge Sondheims entwickelt. Das ist eigentlich eine hervorragende Ausgangslage für eine Verfilmung; doch bislang hat sich das Kino mit Sondheims komplexen Werken stets schwergetan. Selbst Regisseure wie Richard Lester (bei „Toll trieben es die alten Römer“, fd 14 768) oder Tim Burton (bei „Sweeney Todd“, fd 38 582) waren beim Versuch, kongeniale filmische Entsprechungen zu finden, nur bedingt erfolgreich.
Doch „Into the Woods“ von Rob Marshall, der nach „Chicago“
(fd 35 842) und „Nine“
(fd 39 738) sein drittes Kino-Musical inszeniert, lässt von Anfang an alles Bühnenhafte hinter sich. Schon die zwölfminütige Introduktion, in der die Hauptfiguren eingeführt und fünf (zunächst) eigenständige Handlungsstränge angestoßen werden, gerät durch kluge Schnitte und fließende Kamerafahrten zu einer virtuosen Kinoerfahrung. Von da an ist klar: Geradlinig verläuft hier nichts, stattdessen überschneiden sich die Wege der Figuren permanent und führen diese in einem verwickelten Kosmos mit dem titelgebenden Märchenwald im Zentrum zusammen. So verbinden sich die bekannten Geschichten von „Cinderella“, „Rapunzel“, „Rotkäppchen“ und „Jack und die Bohnenranke“ mit dem Bemühen eines Bäckers und seiner Frau, vier Aufgaben zu lösen, um den Fluch einer Hexe zu brechen – eine ebenso geistreiche wie grandios unterhaltsame Tour durch Märchenmotive mit der hochironisch servierten Moral, dass beim Erfüllen von Wünschen auch ungeahnte Nebenwirkungen auftreten können.
Mit dem Wald haben die Setdesigner eine fantasievolle Kulisse voller kunstvoller Verästelungen und dunkler Pfade geschaffen, die den Plot trotz aller Imposanz nie unter sich erdrückt. Angetrieben von der pulsierenden Musik, können sich die Figuren auch im Film in all ihren Konturen und Widersprüchen entfalten, die nichts mit märchentypischer Gut-Böse-Trennung zu tun haben. Egoismus, Neid und Unehrlichkeit sind ihnen im Denken wie im Handeln nicht fremd, was sie zu reizvoll ambivalenten Charakteren macht: James Corden und Emily Blunt als Bäckerpaar in einer Beziehung mit allen Höhen und Tiefen, Anna Kendrick als genau zwischen Lieblichkeit und Reflexion ausbalancierte Cinderella, Chris Pine als ihr charmanter, aber nicht unbedingt ehrenhafter Prinz – sämtliche Darsteller bieten Glanzauftritte, umso mehr als sie auch wirklich in der Lage sind, ihre anspruchsvollen musikalischen Parts zu meistern.
Eine Klasse für sich ist dabei einmal mehr Meryl Streep, die den Hang der Hexe zu dramatischen Effekten zuerst genüsslich auskostet, um dann ihre empfindsame Seite zu enthüllen. Dass sie gegenüber ihrer Ziehtochter Rapunzel als überprotektive Mutter auftritt, gehört zu der immer wieder durchscheinenden Doppelbödigkeit der Texte, die Bruno Bettelheims psychologischen Märchendeutungen mindestens ebenso viel verdanken wie den Gebrüdern Grimm. Bemerkenswert intakt ist diese zusätzliche Ebene aus der Bühnenfassung hinübergerettet worden, Ähnliches lässt sich auch von der triebgesteuerten Seite der Figuren sagen, die bis hin zu Ehebrüchen der „Happily Ever After“-Paare führt. Die Änderungen bei der Adaption umfassen nur einige Kürzungen sowie eine Entschärfung der Gewalt im letzten, düsteren Teil. Ansonsten haben die Filmemacher sich voll und ganz auf die Nachtseiten des Musicals eingelassen, was durchweg dunkle Wolken über dem Märchenland pointiert illustrieren.
„Into the Woods“ ist damit allerdings eindeutig kein Film für kleinere Kinder geworden. Diese dürften schon durch die ironische Haltung, das hohe Tempo und die ständigen Perspektivwechsel überfordert sein, ganz zu schweigen von den Herausforderungen des letzten Teils, in dem die heitere Stimmung einer durchgängigen Dunkelheit weicht, liebgewonnene Figuren sterben und selbst das Happy End nur zögerlich daherkommt. Ältere Kinder und Erwachsene können diese hintergründige Unterwanderung von Märchennormen dagegen uneingeschränkt genießen – von der ersten bis zur letzten Note.