Charmant, realistisch, romantisch, spleenig, prätentiös, kindisch, überspannt: Das Trio Richard Linklater, Julie Delphy und Ethan Hawke brachte in den beiden ersten Teilen einer ungewöhnlichen fiktionalen Langzeitbeobachtung, „Before Sunrise“
(fd 31 270) und „Before Sunset“
(fd 36 533), so viele Saiten zum Klingen, dass die Filme nicht nur zu kultisch verehrten „Hilfe, ich glaube, ich verliebe mich gerade!“-Romanzen, sondern auch zu Porträts der alternden „Generation X“ wurden.
Jetzt, mit Teil 3, gilt es, die Geschichte etwas auszunüchtern, denn die Helden der ersten beiden Teile, Celine und Jesse, wurden ein Paar, haben Zwillinge und versuchen, ihren Alltag zu organisieren: die Mühen der Ebene. Was dem Film allerdings etwas vorgreift, denn all dies wird peu à peu ausgebreitet. Man begegnet Jesse zunächst auf einem griechischen Flughafen, als er sich etwas ungelenk von einem Teenager namens Hank verabschiedet, der in die USA fliegt. Draußen im Auto wartet, Überraschung!, Celine auf ihn. Es gibt viel zu erzählen, schließlich liegt die letzte Begegnung des Zuschauers mit dem Paar neun Jahre zurück.
Wollte man es positiv ausdrücken, dann haben sich die beiden eine große, geradezu kindliche Unschuld bewahrt: noch immer kommt man im Gespräch mühelos von Stöckchen aufs Hölzchen, von Alltagsproblemen zu den letzten Dingen. Sieht man dieses prätentiöse Paar, das offenbar damit beschäftigt ist, binnen weniger Stunden mit großem Ernst die Diskussionen der Neuen Frauenbewegung der letzten 50 Jahre zu rekapitulieren, kritischer, muss man feststellen, dass es Linklater, Delphy und Hawke nicht gelingt, eine „realistische“ Sprache für einen abgeklärten Beziehungsalltag mit 40 zu entwickeln.
Die intime Beziehungssprache eines langjährigen Paares ist das Dokument von Vertrautheit auf der Basis von geleisteter Beziehungsarbeit; sie unterscheidet sich prinzipiell von der Sprache des Sich-Verliebens und der Sprache eines Paares, das sich nach Jahren erneut begegnet. Aber wie mit dieser Sprache das Publikum einbeziehen? Man merkt buchstäblich in jeder Szene, dass sich die Macher dieses Problems bewusst sind, unterschiedliche Kanäle für die gewünschte Kommunikation zwischen den Figuren und dem neugierigen Publikum zu etablieren. Doch die in „Before Midnight“ gefundenen Lösungen überzeugen nicht und beschädigen überdies den Film.
Man erlebt das Paar erstaunlich kurz als Eltern, in einer Gruppe von Freunden und Bekannten und schließlich wieder als Paar – und vollzieht auf Filmlänge mit, wie grundsätzliche Konflikte innerhalb der Paarbeziehung an den unterschiedlichsten Orten irrlichtern. Jesse hadert mit seiner Vaterrolle gegenüber Hank, dem Sohn aus erster (gescheiterter) Ehe. Celine hadert damit, dass sie Rollenkonflikte zwischen den Anforderungen der Berufstätigkeit und denjenigen der Hausfrau und Mutter nicht zufriedenstellend gelöst sieht. Erstaunlich ironiefrei spitzt sich die Beziehungskrise um längst virulente Konflikte zu; selbst die körperliche Vertrautheit wird eher grobschlächtig und plump vermittelt.
Was von „Before Midnight“ bleibt, ist der bittere Nachgeschmack, mit zwei Menschen konfrontiert zu werden, die man so genau gar nicht kennenlernen wollte. Und jede Menge Respekt vor der formalen Radikalität Linklaters, der offenbar auf Rohmer vertrauend zeigt, dass es durchaus in Bann schlägt, in vier, fünf ausgedehnten, semi-dokumentarischen Plansequenzen Menschen beim teilweise wohl auch improvisierten Reden zuzuschauen. Das Leben als action!