Das Blaue vom Himmel (2010)

Melodram | Deutschland 2010 | 104 Minuten

Regie: Hans Steinbichler

Eine Journalistin fährt mit ihrer demenzkranken Mutter, zu der sie schon immer ein schwieriges Verhältnis hatte, nach Lettland. Auf den Spuren der Vergangenheit der Mutter spülen sich verdrängte Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg an die Oberfläche. Vorzüglich fotografiertes Melodram um eine von alter Schuld heimgesuchte Demenzkranke, das die Rückblenden in die Vergangenheit mit intensiven Landschaftsbildern verbindet. Dabei krankt der Film allerdings deutlich am manierierten Spiel der Hauptdarstellerin sowie an der recht aufdringlich emotionalisierenden Inszenierung. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
d.i.e. film/Sam Film
Regie
Hans Steinbichler
Buch
Josephin Thayenthal · Robert Thayenthal
Kamera
Bella Halben
Musik
Niki Reiser
Schnitt
Mona Bräuer
Darsteller
Juliane Köhler (Sofia Schleier) · Hannelore Elsner (Marga Baumanis) · Karoline Herfurth (junge Marga Baumanis) · Niklas Kohrt (Juris Baumanis) · David Kross (junger Osvald Kalnins)
Länge
104 Minuten
Kinostart
02.06.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Melodram
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
NFP/Warner (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
DVD kaufen

Diskussion
Keine Alpenpanoramen dieses Mal, aber wieder Mutter und Tochter: Der bayerische Regisseur Hans Steinbichler hat sich schon in seinem wuchtigen „Hierankl“ (fd 36 218) für diese spezielle Beziehung interessiert, auch dort deckt die Tochter ein wohl gehütetes Familiengeheimnis auf. „Das Blaue vom Himmel“ spielt im Wesentlichen in Lettland, das Buch hat Steinbichler dieses Mal nicht selbst geschrieben, es stammt vom Duo Josephin und Robert Thayenthal und ist dessen erste gemeinsame Arbeit. Marga Baumanis bezahlt den Taxifahrer nicht, aber sie bittet ihn auf einen Kaffee herein. Entnervt folgt er der vornehm gekleideten Dame in die verwahrloste Küche, wo sie beherzt das Kaffeepulver in eine Pfanne mit Ravioli schüttet. Sie ruft nach Juris und sinkt im Schlafzimmer erleichtert in die Arme ihres 20-jährigen Mannes – in die Geborgenheit des Gestern. Der Taxifahrer, die verwirrende Gegenwart, muss draußen bleiben – Marga sperrt von innen die Tür zu und bewirft ihn, als er vor der großbürgerlichen Villa wieder auf der Straße bei seinem Auto steht, von oben mit Geschirr. Als die Tochter ihre Mutter schließlich aus der Psychiatrie zu sich nach Hause holt, ersteht aus den wirren, verstörenden Erinnerungssplittern der demenzkranken Frau bruchstückhaft eine von verdrängter Schuld überschattete Vergangenheit, die Sofia unbekannt ist. Ohnehin war das kühle Verhältnis der beiden nicht von gegenseitiger Aussprache geprägt. Es ist 1991. Die erfolgreiche Fernsehjournalistin Sofia beschließt kurzerhand, die Geschichte ihrer Mutter zu erzählen, mithin ihre eigene Herkunft zu erkunden, und reist mit Marga nach Lettland. Dort blättern sich vor rauen Landschaften Schritt für Schritt die Ursachen für die gestörte Beziehung zu ihrer Mutter auf. Neben der Gegenwart folgt das Melodrama in Rückblenden Margas Erinnerungen an die zunächst unbeschwerte Jugend und ihre große Liebe, dann an die Abgründe: ihre folgenschweren Entscheidungen im vom Zweiten Weltkrieg erschütterten Lettland. Hans Steinbichler gilt neben Marcus H. Rosenmüller als wichtiger Protagonist des neuen Heimatfilms; er ist eher für die düstere Note zuständig. Sein erster Langspielfilm „Hierankl“ reflektiert Heimat als klaustrophobischen Familienhorror, seine erhabenen Berglandschaften sind im Wortsinn Atem beraubend: Sie schnüren die Luft ab, umzingeln die Akteure ausweglos, bedingen die Tragödie. Auch in „Autistic Disco“ (fd 38 927), einem bemerkenswerten Experiment mit Schauspielschülern, isolieren die Berge. In der Gruppe junger Menschen auf einer Berghütte kulminieren die Dynamiken in einem Inselszenario, das an William Goldings „Herr der Fliegen“ erinnert. Einen gescheiterten, depressiven Geschäftsmann (Josef Bierbichler) schickt Steinbichler in „Winterreise“ (fd 37 919) auf eine Reise zu sich selbst, auch hier sind die Landschaften zwischen Bayern und Kenia Seelenlandschaften. Bei allen drei Filmen arbeitet er mit der Kamerafrau Bella Halben zusammen, die stilsicher immer außerordentliche Bilder findet: düster und sensibel, mächtig, aber nicht eitel. Auch bei „Das Blaue vom Himmel“ hat Bella Halben die Kamera geführt, ihr gelingen unverwechselbare Bilder wie das der ausgelassenen Hochzeitsgesellschaft im lichtdurchfluteten Laubwald, die sie von tief unten filmt – so wird aus dem fröhlichen Menschenzug ein bedrohlicher Tanz über dem Abgrund. Meist aber ist die Kamera nah an den Gesichtern, Hannelore Elsner als Marga Baumanis steht im Mittelpunkt. Sie spielt die Demenzkranke etwas zu manieriert, um letzthin glaubwürdig zu sein. Ebenso wie Niki Reisers bombastische Musik steht das leicht übersteuerte Schauspiel einer Identifikation eher im Weg. Vielleicht auch, weil die Landschaften hier wichtiger sind, funktionieren die Rückblenden in der Regel besser – möglicherweise ist dies aber auch Karoline Herfurths unverstelltem Spiel als junge Marga zu verdanken. Am Ende bleiben die eindringlichen Landschaftsbilder doch singulär, sie werden eben nicht zu Seelenlandschaften. Vielleicht braucht Hans Steinbichler einfach die Berge.
Kommentar verfassen

Kommentieren