Es gibt sie immer wieder: Filme, die von der Oberfläche erzählen wollen und dabei selbst der Welt des schönen Scheins verfallen. Dann verpufft die vermeintliche Analyse im Ausstellen von Äußerlichkeiten, und der Erkenntnisgewinn tendiert gegen Null. Im Falle von Jason Reitmans Tragikomödie „Up in The Air“ verhält es sich aber anders: Er erzählt klug und hintergründig von dem Manager und Vielflieger Ryan Bingham, der die Oberfläche zum Prinzip seines Lebens erkoren hat. An 322 Tagen im Jahr ist Bingham geschäftlich unterwegs, irgendwo zwischen Wichita, Tulsa, Kansas City oder Miami. So etwas wie menschliche Beziehungen oder ein Zuhause sind für ihn nur Sand im Getriebe seines gut geölten Daseins, weshalb er beides aus seinem Leben getilgt hat. Dabei ist Bingham durchaus nicht unsympathisch, sondern einfach pragmatisch, der Traum eines jeden Arbeitgebers. Seine Welt ist die blitzblank geputzte Glas- und Stahl-Sphäre der Luftfahrt mit ihrer effizienten Infrastruktur, ihren reibungslosen Abläufen und professionell lächelnden Mitarbeitern. Bingham ist ein Profi in dieser Welt. Seine Handgriffe am Check-In, die Bewegungen bei der Sicherheitskontrolle oder das Management der raren Zeitfenster zwischen Ankunft und Abflug sind so durchorganisiert wie der Inhalt seines Rollkoffers. Niemals geht es dabei hektisch zu, immer aber flott, was sich so auch überzeugend im Schnitt des Films widerspiegelt.
Bingham arbeitet für eine Firma, die ihr Geld damit verdient, Angestellte über ihre Entlassung zu informieren – Bingham taucht immer dann auf, wenn ein Chef diesen unangenehmen Schritt nicht selbst übernehmen will. Statt von Kündigung und Arbeitslosigkeit spricht Bingham dann von „Neuanfang“ und „Chance“ und überreicht eine Mappe, die den Geschassten über die vermeintlich unendlichen Möglichkeiten informiert. Auch dies erledigt Bingham nicht herzlos, aber eben doch sehr geschmeidig.
Ryan Bingham ist eine wunderbare Figur, da sie in kein Klischee passt: Weder unsympathisch noch der reine Sympathieträger, äußerlich lässig und doch ein bisschen erbarmungswürdig. Ihrem Darsteller eröffnet sie ein ziemlich unbeackertes Feld: Weder entspricht die Rolle dem Image des Supersmarten, wie es George Clooney gerne für Steven Soderbergh bedient (etwa in „Out of Sight“, fd 33 323, oder den „Ocean“-Filmen, u.a. fd 35 218), noch dem des eitlen Volldeppen, den er wiederholt für die Coen-Brüder gab („O Brother, Where Art Thou?“, fd 34 496, „Ein (un)möglicher Härtefall“, fd 36 183, „Burn After Reading“, fd 38 911), wobei es trotzdem hübsche Anspielungen auf diese Images gibt. Für Clooneys Verhältnisse ist Ryan Bingham ein erstaunlich realer Protagonist: weiterhin enorm gut aussehend, vor allem aber eine Figur von großer Einsamkeit und echter Melancholie, die Clooney grandios meistert. Die gegen Ende hin zunehmend unkonventionelle Dramaturgie tut ihr Übriges, das bekannte Rollenbild des Schauspielers zu dekonstruieren.
Natürlich ist „Up in The Air“ auch die Geschichte einer Entwicklung: Dem Vielflieger Bingham, dessen größtes und eigentlich einziges Ziel im Leben darin besteht, die 10-Millionen-Flugmeilen-Schallgrenze zu knacken, wird die junge, aufstrebende Kollegin Natalie zur Seite gestellt. Sie soll die Geschäfte der Firma aus Kostenersparnis auf die Entlassung per Videoschaltung umstellen – und Bingham sie auf einer Reise kreuz und quer durch die USA in den Alltag seines Jobs einführen. Fast zeitgleich lernt er die Geschäftsfrau Alex kennen, in der er eine Art Seelenverwandte zu erkennen glaubt und mit der er eine Affäre beginnt. Natürlich löst der Kontakt zu den beiden Frauen etwas aus in dem Mann, der ständig von „connection“ zu „connection“ eilt und doch so unverbunden mit seinem Umfeld ist, wie man es nur sein kann. Trotzdem spielt „Up in The Air“ nie mit moralistisch erhobenem Zeigefinger die „wahren“ Werte des Lebens gegen die so genannten „falschen“ aus. Dafür sind die Figuren zu sehr Anti-Helden und ist der Tonfall des Films zu perfekt zwischen bissiger Komödie und stiller Tragödie austariert.
Im Satire- bzw. Komödienfach hat sich Regisseur Jason Reitman mit seinen beiden ersten Filmen, „Thank You for Smoking“
(fd 37 718) und „Juno“
(fd 38 618) schon ausgetobt – mit „Up in The Air“ legt er nun einen reiferen Film vor, eine Tragikomödie wie aus einem Guss und von erstaunlicher inszenatorischer Geschlossenheit. Für das Drehbuch, das auf dem gleichnamigen Roman von Walter Kirn basiert, erhielten Reitman und sein Co-Autor Sheldon Turner zu Recht einen Golden Globe (auch wenn der für sechs Preise nominierte Film ansonsten leer ausging): es ist voller Wortwitz, leicht, amüsant und doch tief schürfend, wobei es die Inszenierung im Verbund mit Kamera und Schnitt kongenial umsetzt. Der Film gerät dabei nie in Gefahr, sich in den verspiegelten Oberflächen seiner Settings zu verlieren, weil Reitman dieses Porträt eines oberflächlichen Mannes, der am Ende hinter der eigenen Fassade so etwas wie eine Ahnung vom eigenen Selbst entdeckt, komplett unsentimental und doch zugleich liebevoll skizziert.