Dokumentarfilm | Deutschland 2008 | 89 Minuten

Regie: Marcus Vetter

Dokumentarfilm über einen palästinensischen Vater, der im November 2005 die Organe seines von israelischen Soldaten erschossenen zwölfjährigen Sohns zur Transplantation freigab. Zwei Jahre später bricht er zu einer Rundreise durch Israel auf, um drei der sechs Kinder, die dank der gespendeten Organe überlebten, sowie deren Familien zu besuchen. Der Film ist zwar reich an Eindrücken, inhaltlich wie formal aber zu uneinheitlich und unpräzise, um mehr als impressionistische Einsichten in einen ausweglosen Konflikt zu bieten. - Ab 14 möglich.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
EIKON Film/SWR
Regie
Marcus Vetter · Leon Geller
Buch
Leon Geller · Marcus Vetter
Kamera
Nadav Hekselman
Musik
Erez Koskas
Schnitt
Saskia Metten
Länge
89 Minuten
Kinostart
06.06.2024
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14 möglich.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD5.1 hebr.)
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Diskussion

Die Geschichte ging um die Welt: Im November 2005 gab ein palästinensischer Vater die Organe seines zwölfjährigen Sohnes, der von israelischen Soldaten erschossen worden war, zur Transplantation frei. Die Empfänger, sechs schwerkranke Kinder, stammten aus Israel, darunter auch ein jüdisch-orthodoxes Mädchen. Das ist ein Stoff, den sich Medien nicht entgehen lassen; denn in Israel irritierte die humane Geste des Vaters nicht weniger als in der arabischen Welt, wenngleich unter entgegengesetzten Vorzeichen. Hinzu kam, dass der tote Junge und seine Familie aus Jenin kommen, einem der heftig umkämpften Zentren der Zweiten Intifada, in dem auf beiden Seiten viel Blut gegossen wurde. So viel Menschlichkeit passt nicht in die (Denk-)Schemata des Nahost-Konflikts, aber um so mehr ins Kalkül sentimentversessener Fernseh-Chanels. Vier Jahre später versucht sich ein Dokumentarfilm an der Rekonstruktion wie der Reflexion des Geschehens. Dem Jungen, Ahmed Khatib, war ein Plastikgewehr zum Verhängnis geworden; das Spiel hieß Palästinenser gegen Besatzer, diesmal aber waren die Kugeln echt. Seine Mutter und Brüder erinnern sich an ihn und den Todestag, dazu sieht man Bilder, die Leon Geller, ein junger israelischer Dokumentarist, in dieser Zeit gemacht hat, verwackelte Momentaufnahmen, Archivmaterial, eine obskure Begegnung des Vaters mit den nach der Operation genesenen Kindern. Über allem liegt ein melancholischer Schleier, der durch Zeitlupe und eine schwülstige Filmmusik mitunter bis zur Schmerzgrenze ausgereizt wird. Der Film operiert aber relativ bald auch auf einer zweiten Ebene, die zunehmend die Oberhand gewinnt. 2006 war Leon Geller mit seinem Material zum „Talent Campus“ der „Berlinale“ gereist, hatte einen Produzenten überzeugt und mit Marcus Vetter einen routinierten Filmemacher zur Seite bekommen. Das neue Team heftete sich im Sommer 2007 an die Fersen von Ahmeds Vater Ismael, der zu einer Reise nach Israel aufbricht, um drei der sechs Kinder und ihre Familien zu besuchen. Nahe der libanesischen Grenze lebt die Drusin Samah nun mit Ahmeds Herzen, eine aufgeweckte Schülerin, die davon erzählt, dass hier alle Religionen friedlich zusammen leben. Mohammed, ein kleiner Beduine, rast mit seinem Fahrrad durch die staubige Einöde der Wüste Negev. Wie er braucht auch Menuha, die hellhäutige Tochter der Levinsons, nicht mehr zur Dialyse. Sie wohnt in Mea Shearim, dem Jerusalemer Stadtteil der Orthodoxen. Diese kurzen Angaben reichen, um die gesellschaftliche Spannbreite zu erahnen, die sich einer aufmerksamen Betrachtung in den Details des Alltags, den Umgangsformen oder der wirtschaftlichen Situierung eröffnet. Man begegnet einem Panoptikum an Typen und Charakteren, sieht immer wieder Kindern zu, deren Neugier sich nicht durch die Regeln ihrer Lebenswelt ausbremsen lässt, beobachtet verschleierte Frauen jeder religiösen Couleur, wie sie im Hintergrund den Haushalt versorgen, während ihre Männer bedeutsam in die Kamera gestikulieren, registriert erstaunt die schleichende Assimilation der Milieus. Über allem aber schwebt das Verhängnis einer zerrissenen Gesellschaft, in der sich die beiden größten Gruppen, Juden und Palästinenser, in tiefer Feindschaft gegenüber stehen. Ein Mann wie Ismael Katib, der in Samah, Mohammed und selbst in der kleinen Menuha seinen eigenen Sohn weiterleben sieht und die Kinder zärtlich an sich drückt, ist in der Tat eine Provokation, mehr aber noch ein Hoffnungszeichen, dass der Hass zwischen den Ethnien prinzipiell überwindbar ist. Der Film ist denn auch reich an Eindrücken und Einsichten in die Konfliktlinien, Mentalitäten und Temperamente, doch ein guter Dokumentarfilm wird daraus noch lange nicht, bestenfalls ein „work in progress“, an dem verschiedene „Regie“-Stile und Intentionen beteiligt waren. Unter anderem manifestiert sich dies auch in den Einschüben, die Ismaels persönliche Begegnungstour durch zeithistorisches Material „unterfüttern“, etwa durch das Abschiedsvideo eines Selbstmordattentäters oder den Bildern des von der israelischen Armee verwüsteten Flüchtlingslagers in Jenin. Sie sollen Ahmed und Ismaels Geschichte kontexualisieren, tragen aber nachhaltig zu dem Eindruck bei, dass der Film vorsätzlich die historische Chronologie verwische. Solche Einschränkungen sind vor allem deshalb geboten, weil der Dokumentarfilm eine Reihe von Preisen erhielt und auch zum Politikum wurde, das noch immer Kreise zieht. Bei der Parteilichkeit, mit der sich die Dokumentaristen Ismaels Blickwinkel zu eigen machen, konnte es nicht ausbleiben, dass dem Film Antisemitismus oder zumindest eine antiisraelische Haltung vorgeworfen wurde, insbesondere durch die Bilder von Ismaels Besuch bei den orthodoxen Levinsons, die zwar dankbar sind, aber eine klare „splendid isolation“ vertreten: Eine Freundschaft mit Palästinensern sei nicht vorstellbar. Das klingt rassistischer als es gemeint ist, bringt die ideologischen Gegensätze aber markant auf den Punkt. Das Gegenstück dazu ist die Rede vom Widerstand. Das Wort geht in Jenin durch viele Münder. Im Film ist es fast durchweg gewaltfrei konnotiert, gefördert durch das „Cuneo Peace Centre“, dessen Leiter Ismael ist. Der gelernte Mechaniker ist ein lebendes Beispiel für den gewaltfreien „Widerstand“: Elf Mal saß er in israelischen Gefängnissen, bis er die Strategie wechselte. Widerstand durch Bildung, Musik, Tanz und Kunst, lautet nun seine Devise. Mehr kann man in einer Region, die über Strecken einem einzigen bedrängenden Militärgefängnis gleicht, derzeit wohl nicht erwarten.

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