Ein Stück unbekannter deutscher Geschichte: John Rabe (1882-1950), ein Kaufmann aus Hamburg, arbeitete von 1911 bis 1938 bei der Siemens China Co., einer Tochtergesellschaft des deutschen Siemens-Konzerns, die letzten sieben Jahre davon als Repräsentant der Firma in Nanking, der damaligen Hauptstadt Chinas. Im Dezember 1937, mitten im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg, richtete er mit anderen Ausländern in Nanking eine vier Quadratkilometer große Sicherheitszone ein, in der fast 250.000 Zivilisten Schutz fanden und mit Lebensmitteln und Medizin versorgt wurden. Die „New York Times“ prägte später das Schlagwort des „Oskar Schindlers Chinas“. In China wird John Rabe bis heute verehrt, in Deutschland hingegen geriet er in Vergessenheit. Erst die Veröffentlichung seiner Tagebücher im Dezember 1996 rückte ihn wieder ins öffentliche Bewusstsein, 2003 erfolgte eine Würdigung durch Bundespräsident Johannes Rau.
Eigentlich sollte Rabe Ende 1937 auf Geheiß der Firmenleitung nach Deutschland zurückkehren. Doch während des Abschiedsballs – und hiermit setzt die Handlung des Films ein – bombardieren die Japaner Nanking. Kurz entschlossen lässt Rabe die Tore der Fabrik öffnen, um seinen Arbeitern und ihren Angehörigen Schutz zu gewähren. Am nächsten Tag beschließen die in der Stadt gebliebenen Ausländer, darunter eine französische Schulleiterin, ein deutsch-jüdischer Diplomat und der Chefarzt des Krankenhauses in Nanking, Dr. Wilson, eine Sicherheitszone, ähnlich wie in Shanghai, einzurichten. Rabe wird, der deutsch-japanischen Achse wegen, zum Vorsitzenden ernannt – sehr zum Unwillen von Wilson, der die Nazis abgrundtief hasst. Rabe entschließt sich, in Nanking zu bleiben, während seine Frau Dora mit der „USS Pannay“ die Stadt verlässt. Kurz nachdem das Schiff abgelegt hat, wird es von den Japanern bombardiert. Rabe muss annehmen, dass seine Frau umgekommen ist. Trotzdem stürzt er sich in die Arbeit.
Florian Gallenberger („Schatten der Zeit“, fd 37 060) erzählt eine überlebensgroße Geschichte als packendes Epos um einen Helden, wie man es vor einigen Jahren in Deutschland noch nicht hätte erzählen können. Denn Rabe war Nationalsozialist. Das irritierendste und gleichzeitig beeindruckendste Bild des Films ist eine riesengroße Hakenkreuzfahne, aufgespannt über Rabes Privatgrundstück in Nanking, um japanische Piloten von der Bombardierung des Hauses abzuhalten. Damit ist das Spannungsfeld des Films abgesteckt. Die Fahne, Symbol eines Unrechtsregimes, das für Vernichtungskrieg und Holocaust verantwortlich ist, wird eingesetzt, um unschuldige Zivilisten zu retten. Gleichzeitig zeigt sie stellvertretend Rabes Konflikt auf, der seit fast 30 Jahren in China lebt und nur wenig über die soziale und politische Situation in Nazi-Deutschland gewusst haben dürfte. Rabe stehen die Menschen in Nanking näher als die Weisungen seiner Vorgesetzten. Zwar hatte er die Chinesen zuvor als „Kinder“ bezeichnet und ihnen mit viel Mühe den Hitler-Gruß beigebracht. Trotzdem fühlt er sich für sie verantwortlich. Vom Rassenwahn der Nazis ist er weit entfernt. Der parteikonforme Karrierist, der schon zu Rabes Ablösung bereitsteht, unterstreicht dies als viel zu deutlich geratene Kontrast-Figur.
Der Film beruht auf Rabes Tagebüchern, aus denen Ulrich Tukur im Off vorliest; manchmal sieht man ihn auch beim Schreiben, gelegentlich eingestreute Dokumentaraufnahmen unterstreichen die Authentizität des Geschehens. Trotzdem bleibt die Titelfigur eigentümlich fremd. Selten einmal erfährt man etwas über seine Beweggründe, Gefühle oder Gedanken. Gallenberger charakterisiert Rabe als Mann der Tat, der spontan entscheidet. Rabe ist schon auf der Gangway der „USS Pannay“, als er einfach kehrt macht und seine Frau allein fahren lässt. Was hat ihn dazu bewogen? Wie hat er die Trennung von ihr verkraftet? Fragen, die Gallenberger unbeantwortet lässt. Selbstzweifel, Hilflosigkeit oder Gewissenskonflikte haben in seiner Inszenierung keinen Platz. John Rabe bleibt bis zum Schluss ein Held ohne Widersprüche.
Der Film will stets auch Kino der großen Gefühle sein. Die Beziehung zwischen Rabe und seiner Frau Dora nimmt entsprechend viel Raum ein. Dabei folgt sie den Konventionen eines Melodrams, das den Zuschauer abseits des politischen Hintergrunds packen und bewegen soll: Liebe, Verständnis, Trennung, Ungewissheit und am Schluss das Wiedersehen, das zu Tränen rührt. Unterlegt werden die dramatischen Versatzstücke mit einem unsensiblen, viel zu vordergründigen Score, der die Gefühle des Publikums mit schwellenden Streichern in die gewünschte Richtung lenkt. Insgesamt hinterlässt der Film einen zwiespältigen Eindruck. Unentschlossen pendelt er zwischen Authentizität (die durch sorgfältig recherchiertes Production Design und aufwändige Special Effects unterstützt wird) und Pathos, zwischen Anspruch und Unterhaltung. Der Person des John Rabe wird der Film so kaum gerecht.