Spanien in den 1970er-Jahren: Ein Mann verkauft Enzyklopädien, seine Frau arbeitet als Friseurin. Die Geschäfte gehen schlecht, bis der Verlag des Mannes das biedere Ehepaar auf die Idee bringt, zu Hause einen Softpornofilm zu drehen, der erfolgreich unter dem Deckmantel einer neuen Enzyklopädie aus Skandinavien vertrieben wird. Fortan wandelt der Mann auf den Spuren von Ingmar Bergman und dreht seinen ersten "richtigen" Film im Badeort Torremolinos. Turbulente, vorzüglich gespielte und inszenierte Komödie, die an den Tabus der Zeit kratzt und die tragikomischen Charaktere im Spagat zwischen ökonomischer Lust und moralischem Zweifel anlegt. In den Sexszenen recht explizit.
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- | Spanien 2003 | 88 Minuten
Regie: Pablo Berger
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Filmdaten
- Originaltitel
- TORREMOLINOS 73
- Produktionsland
- Spanien
- Produktionsjahr
- 2003
- Produktionsfirma
- Estudios Piccaso/Mama/Nimbus/Telespan 2000
- Regie
- Pablo Berger
- Buch
- Pablo Berger
- Kamera
- Kiko de la Rica
- Musik
- Nacho Mastretta
- Darsteller
- Javier Cámara (Alfredo) · Candela Peña (Carmen) · Juan Diego (Don Carlos) · Fernando Tejero (Juan Luis) · Mads Mikkelsen (Magnus)
- Länge
- 88 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Anfang der 1970er-Jahre hatte sich auch in Spanien das Geschäft mit dem Verkauf einer zehnbändigen, in Leder gebundenen Enzyklopädie über den Bürgerkrieg totgelaufen. Das erfuhr nicht nur der Montoya Verlag, der mit dem Standardwerk gute Geschäfte gemacht hatte, sondern auch sein Vertreter Alfredo, dem die Kunden die Türe vor der Nase zuschlagen und der bald auch im Wortsinn vor der Tür zu stehen droht – und zwar bei Montoya. Es sei denn, er und seine verhuschte Frau Carmen würden sich für die Geschäftsidee eines dänischen Verlags erwärmen, der eine „wissenschaftliche“ Videokollektion über das Paarungsverhalten auf den Markt bringen will. Zunächst reagieren beide befremdet, doch die drohende Arbeitslosigkeit und das „leicht verdiente“ Geld schieben die Bedenken beiseite. Unter Anleitung eines dänischen Bergman-Schülers und seiner Muse steigen sie in den Porno-Markt ein und finden bald Gefallen an der neuen Arbeit. Sie denken sich immer neue Positionen und Geschichten aus und sind bald die Zugpferde des Verlags. Das Geld fließt, der Konsumanspruch steigt, und endlich kann Carmens Wunsch nach einem Kind ernsthaft ins Auge gefasst werden. Gleichzeitig aber wächst Alfredos Wunsch, der Nachwelt einen wirklichen Film zu hinterlassen. Niemand anderes als Ingmar Bergman und sein Klassiker „Das siebte Siegel“ (fd 10 900) sollen dabei Pate stehen. Montoya bewilligt das tiefsinnige Projekt, besteht aber bei der Endabnahme auf einen Nachdreh, der das Ganze „ein wenig aufpeppen“ soll. Alfredo willigt genervt ein und dreht die letzte pornografische Szene am Rande des Nervenzusammenbruchs. Der künstlerische Erfolg ist zwar in Frage gestellt, aber Carmen ist nun endlich schwanger. Ende gut, alles gut?
Pablo Bergers galliges Filmdebüt hat so gut wie jeden spanischen Filmpreis abgeräumt, nicht zuletzt wegen der fabelhaften Darsteller, die ihre tragikomischen Charaktere im Spagat zwischen ökonomischer Lust und moralischem Zweifel überzeugend anlegen. Lob verdienen auch das bis in die kleinsten Verästelungen durchdachte Drehbuch und seine szenische Umsetzung, die sowohl das Ambiente der schmuddeligen Home-Pornos verschmitzt einfangen als auch die Aura der filmischen Hochkultur ironisch persiflieren. So trifft Pornofilmer Lasse Braun auf Ingmar Bergman, dessen Sensen bewehrter Tod Alfredos Kunstfilm bestimmt, und über allem scheint schützend Federico Fellini seine Hand zu halten. So gesehen, bietet der Film eine rundum gelungene Unterhaltung, die freilich durch die Heftigkeit der Sexszenen verstört. Gewiss kann der Zynismus einer Branche nur durch eine zynische Herangehensweise gebrochen werden, wozu auch die „toten Augen“ der wunderbaren Almodóvar-Darstellerin Candela Peña („Alles über meine Mutter“, fd 33 929) gehören, die jeden Geschlechtsakt gleichgültig, gelangweilt und angewidert zugleich über sich ergehen lässt; doch dies allein hätte schon genügt, um die Seelenlosigkeit der Branche zu geißeln. Der angestrebte inszenatorische Naturalismus wird den Zuschauer wohl eher wundern als schockieren, steht aber im krassen Gegensatz zur FSK-Freigabe, die nicht nur allzu salopp über eindeutige Bilder hinwegsieht, sondern auch verkennt, dass Ironie erlernt werden muss und sich Zynismus, gottlob, erst in späteren Jahren einstellt. Kurzum: Ein fabelhafter Film mit einer fragwürdigen Altersfreigabe.
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