So mag eine Welt aussehen, die ihre Zukunft hinter sich weiß: Grau in grau unter einen düsteren Himmel geduckt, steht sie als Megalopolis vor uns, deren Fassadenmalern die Farbe ausgegangen ist. Rikschas fahren in den Straßen Londons, an jeder Ecke wachen schwer bewaffnete Polizisten, eine Bombe zerfetzt einen Häuserblock, und im Fernsehen läuft die endlos wiederholte Nachricht, dass der jüngste Mensch auf Erden ermordet wurde. „Children of Men“ spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft, die gleichwohl durch eine Zeitenwende von unserer Gegenwart getrennt ist: Die Menschheit ist unfruchtbar geworden, seit 18 Jahren hat keine Frau mehr ein Kind zur Welt gebracht, und nichts hat daran etwas ändern können. Niemand weiß warum, aber die dramatischen Auswirkungen sind unverkennbar.
Alfonso Cuarón, der mexikanische Regisseur von „Y tu mamá también“
(fd 35 382) und „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“
(fd 36 535), braucht nicht lange, um das Bild einer in Auflösung befindlichen Welt zu zeichnen. Über die Fernsehschirme flimmern Bilder von Bürgerkriegen aus allen Erdteilen, während England seine Küsten mit brutaler Gewalt gegen unerwünschte Flüchtlinge verteidigt – für die Lebensmüden mit britischem Pass bietet ein florierender Industriezweig Selbstmordkapseln feil. Der Londoner Büroangestellte Theo nimmt die überfüllten Menschenkäfige kaum noch war, während er die diversen Sicherheitsschleusen auf seinem Weg zur Arbeit passiert. Betäubt von Alkohol und Trauer, wartet er auf das Ende, bis er eines Tages von seiner im Untergrund kämpfenden Ex-Frau gebeten wird, einen Passierschein für eine illegale Einwanderin zu besorgen. Unter einem Vorwand besucht Theo einen hochrangigen Verwandten, der inmitten einer Art Asservatenkammer der untergegangenen europäischen Kultur lebt, und erhält von ihm tatsächlich eines der äußerst seltenen Freifahrttickets an die Küste. Von der aktuellen deutschen Diskussion um die Bevölkerungsentwicklung könnte diese Verfilmung eines Romans von P.D. James kaum weiter entfernt sein. Es ist eben etwas anderes, ob ein bürgerliches Milieu seine Grundlagen in Gefahr geraten sieht, oder ob das Überleben der Menschheit als Ganzes auf dem Spiel steht. Die Frage ist nicht, wie retten wir unsere Lebensform, sondern wie reagieren Menschen auf die Hoffnungslosigkeit. Entsprechend pathetisch entwickelt sich „Children of Men“ von einem Zukunftsthriller zu einer gespenstischen Neuauflage der Weihnachtsgeschichte. Die illegale Einwanderin, die Theo als wandelndes Alibi begleiten soll, entpuppt sich als hochschwanger – und als hochgefährdet. Wohl nicht zu Unrecht unterstellt die Untergrundbewegung der herrschenden Macht, einen Flüchtling niemals als Mutter des ersten Neugeborenen zu akzeptieren, doch auch innerhalb des Widerstands wird Kee vor allem als politisches Faustpfand gehandelt. Theos Ex-Frau stirbt, weil sie die werdende Mutter dem Human Project übergeben will – einer humanitären Vereinigung, die wie der Fliegende Holländer auf den Weltmeeren umher schippert, und von der niemand weiß, ob sie existiert oder ob sie doch nur eine aus der Verzweiflung geborene Chimäre ist. Die eher dem Realen verpflichtete Fraktion des Untergrunds plant derweil, aus der Schwangeren eine Jeanne d’Arc der Revolution zu machen.
Die britische Insel ist in den vergangenen Jahren geradezu zu einer Bastion des apokalyptischen Kinos geworden. Stellte Danny Boyle seine Heimat in „28 Days Later“
(fd 35 987) noch unter Zombie-Quarantäne, so erscheint ausländischen Regisseuren die „Splendid Isolation“ Großbritanniens eher als Standortvorteil. Sowohl bei den Wachowski-Brüdern und deren „V wie Vendetta“
(fd 37 518) wie jetzt auch bei Cuarón liegt im vereinigten Königreich die einzig verbliebene Zuflucht vor der Barbarei – gleichwohl um den Preis eines nur mit totalitären Mitteln zu beherrschenden Ausnahmezustands. Genau in diesen begeben sich Theo und Kee auf der Flucht vor ihren vermeintlichen Beschützern. Ihr Weg zum Human Project führt sie in eine zum Ghetto umgebaute Küstenstadt, deren permanenten Bürgerkrieg Cuarón mit Dickensschem Pathos und der Routine eines Kriegsfilm-Veteranen inszeniert. Für eine ergreifende Minute lässt ein Neugeborenes die Waffen verstummen, bevor die Heilsgeschichte im Ungewissen ausklingt.
„Children of Men“ verbindet seine biblische Fabel mit den Eigenschaften eines guten Genrethrillers: Er ist packend und geradlinig inszeniert, schickt vielschichtige Figuren durch eine temporeiche Fabel und spiegelt die große gesellschaftliche Erzählung überzeugend in der Handlungsweise seiner Helden. Es ist weniger die Angst vor dem kommenden Ende, die diese erschreckend plausibel gezeichnete Zukunft bestimmt, als vielmehr die Trauer über das Verlorene. Mag sein, dass „Children of Men“ vor allem ein Gedankenexperiment ist, das zeitgenössische Ängste und christliche Motive zu spannender Science Fiction überhöht. In seiner inneren Stimmigkeit geht es einem gleichwohl unter die Haut.