Verdrießlich lässt sich Goethe in seinen poetisch verklärten Memoiren darüber aus, dass er immer wieder mit Fragen nach dem Realitätsgehalt des „Werther“ konfrontiert worden sei. Anstatt diese zu beantworten, zog er es vor, Kindern „Märchen zu erzählen“, bei denen er nicht erläutern musste, was „Wahrheit oder Dichtung“ war. Ein Schreibkünstler gesellschaftlichen Ranges ist Edward Bloom nicht. Der verschroben-charmante Held aus Tim Burtons burlesk ausschweifendem Kino-Epos versteht sich vielmehr als volkstümlich fabulierender Südstaatler, als mündlicher Überlieferer seiner selbst. Lange Jahre findet er in seinem Sohn Will ein dankbares Publikum, bis dieser seine kindliche Unvoreingenommenheit ablegt und wie die Zeitgenossen Goethes anfängt, nach dem Wahrheitsgrad der väterlichen Fantasien zu fahnden. Hier setzt der Film ein – und weicht von Daniel Wallaces Romanvorlage ab, indem er Will zum Protagonisten einer Rahmenhandlung macht, die den Zuschauer auf einem schmalen Steg aus Realität über den mythisch sich verästelnden Erzählfluss geleitet. Es ließe sich darüber streiten, ob das Drehbuch mit der Inszenierung des Vater-Sohn-Konflikts kommerzielle Konzilianzen macht und ob das Labyrinthische durch diesen narrativen Kompass an poetischer Ausstrahlungskraft verliert. Lohnender aber ist es, auf entstehungsgeschichtliche Fragen zu verzichten und Burtons Bilderfluten für sich selbst sprechen zu lassen. In einer ersten Montagesequenz gibt Edward Bloom eine prahlerische Anekdote von einem unbezwingbaren Fisch zum besten, den er mit einer raffinierten List am Tag der Geburt seines Sohns gefangen haben will. Während Edward schwadroniert, wechseln die Szenerien, vergehen die Jahre. Und als Edward die legendäre Begebenheit am Tag von Wills Hochzeit zu Ende erzählt, kann Will sie schon längst nicht mehr hören. Wutentbrannt stellt er seinen Vater zur Rede, der sich daraufhin gekränkt zurückzieht. Drei Jahre reden beide kein Wort miteinander. Erst als Edward im Sterben liegt, kehrt Will nach Hause zurück, um endlich herauszufinden, wer sein Vater wirklich ist. Der aber ist nicht bereit, sich in einem Netz aus Daten und Fakten fangen zu lassen. Wie der Fisch aus seiner Geschichte entgleitet er dem Zugriff der Realität. Stattdessen spintisiert er vom Sterbebett aus sein eigenes Erinnerungsgewebe. Nachdem er als genialer Tausendsassa in seinem Dorf zur Berühmtheit aufgestiegen war, brach er gemeinsam mit einem Riesen in die Großstadt auf. Unterwegs erlebte er allerhand Abenteuer, bis er bei einem Zirkus landete, wo er seine Traumfrau (Wills Mutter Sandra), kaum erblickt, schon wieder aus den Augen verlor. Jahrelang schuftete er für den raffgierigen Zirkusdirektor, der vorgab, die Schöne zu kennen. Als Lohn erhielt er jeden Monat einen kleinen Hinweis auf die Gesuchte; doch als er endlich vor ihr stand, war sie schon verlobt. Dennoch kamen sie zusammen, wurden getrennt und fanden sich wieder. Auf seinen Irrfahrten begegnete er Hexen, Nymphen, siamesischen Zwillingen, Dichtern, Bankräubern, Bäumen mit Fangarmen und Werwölfen. Abenteuer um Abenteuer rankten ineinander und verwandelten sein Leben in eine Heldensaga im nostalgischen Gewand der 1950er- bis 1970er-Jahre.
Unter Burtons grandioser Bildregie weitet sich der schwelgerische Schwankzyklus zu einer lustvoll montierten Hommage an das Geschichtenerzählen und das Kino. „Big Fish“ ist das „Big Movie“; der verspätete Urfilm, in den sich Burtons Kinomärchen „Edward mit den Scherenhänden“ (fd 28 836), „Sleepy Hollow“ (fd 34 116), „Batman“ (fd 27 905), „Ed Wood“ (fd 31 408) und „Mars Attacks!“ (fd 32 402) nachträglich wie einzelne achronologische Schwankepisoden einfügen. Märchenhaftes und Romantisches von Fellini bis zum Genrekino wird respektlos und ehrfurchtsvoll zugleich verballhornt. Nur geschlechtlich gerät das fiktionale Paralleluniversum aus der Balance: Erzähler und Akteure sind allesamt Männer. Frauen werden ins romantische Passiv abgeschoben, werden geliebt oder enttäuscht. In den Vordergrund spielen sich die männlichen Darsteller von Ewan McGregor bis zu Steve Buscemi oder Danny DeVito; jeder für sich eine charismatische Figur in Edwards Ein-Mann-Fantasterei. Bei seinen Recherchen entdeckt Will, dass sie alle tatsächlich existieren. Münchauseniade und Wirklichkeit verwischen sich untrennbar im Leben Edward Blooms und darüber hinaus. Als Kind wurde ihm geweissagt, dass er sterben würde, wie noch nie ein Mensch zuvor gestorben war. Mit einer letzten Pointe will er sich zu Ende erfinden. Bei Goethe heißt das: „Ein Factum unseres Leben gilt nicht, insofern es wahr ist, sondern insofern es etwas zu bedeuten hat.“ Für Burtons Film sollte man hinzufügen: und insofern es emotional ergreifend ist.