Obwohl Martin Luther (1483- 1546) zu den herausragenden Persönlichkeiten und Erneuerern der Weltgeschichte gehört, hat sich der Film selten seiner Vita angenommen. Als der „große Deutsche“ 1927 zum ersten Mal das Kino eroberte, zeigte sich, dass die von ihm eingeleitete Reformation der Kirche die Christen immer noch spaltete: Die bayrische Staatsregierung intervenierte gegen Hans Kysers „Luther – Ein Film der deutschen Reformation“
(fd 24 354), weil er das „Verhältnis der Konfessionen belaste“, und setzte eine starke Kürzung des gestalterisch noch vom Expressionismus beeinflussten Stummfilms durch. Es sollte bis 1953 dauern, ehe Irving Pichels Dokumentarspiel „Martin Luther“
(fd 24 034) die Person Luthers erneut auf die Leinwand brachte, dem 1976 die Verfilmung von John Osbornes Theaterstück „Luther“ (Regie: Guy Green) folgte. Nach einigen hierzulande entstandenen Fernsehspielen und -serien über den Reformator wendet sich nun wieder ein Angelsachse diesem urdeutschen Thema zu. Eric Till, der schon Pfarrer Dietrich Bonhoeffer ein filmisches Denkmal gesetzt hat („Bonhoeffer – Die letzte Stufe“, fd 34 406), drehte an Originalschauplätzen in Deutschland und Italien sowie in tschechischen Studios mit internationaler Starbesetzung. Interessant, dass sowohl Kysers als auch Pichels und nun Tills Filme ohne private Spenden und Gelder (US-)lutherischer Kirchenorganisationen wohl nicht entstanden wären.
Der Film beginnt tongewaltig mit jenem denkwürdigen 2. Juli 1505, als Martin Luther in der Nähe des thüringischen Stotternheim von einem Gewitter überrascht wird und der junge Magister der Rechtswissenschaften die Naturgewalten durch das Gelübde, Mönch zu werden, zu besänftigen versucht. Gegen den Willen seines Vaters tritt er in den strengen Bettelorden der Augustiner- Eremiten ein. Aber Luther findet nicht den ersehnten Frieden. Vom tiefen Bewusstsein seiner Sünden gequält, kasteit er sich. Um ihn vor sich selbst zu schützen; schickt ihn sein Mentor Johann von Staupitz auf eine Pilgerfahrt nach Italien und später zum Theologiestudium nach Wittenberg. Schon in Rom empfindet Luther Ekel angesichts der fortschreitenden Verweltlichung der religiösen Lehre. Als er nach seiner Rükkkehr mit dem blühenden Ablasshandel des Dominikanermönches Johannes Tetzel konfrontiert wird, der mit seiner „Werbe-Kolonne“ („Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt“) durchs Land zieht, um auf Kosten der Armen und Gutgläubigen die Kriegs- und Petersdom- Bau-Kasse von Papst Leo X. zu füllen, schlägt Luther seine berühmten 95 Thesen gegen die Bußpraxis der Kirche an die Schlosskirche zu Wittenberg. Damit leitet er die Reformation und – unbeabsichtigt – die Spaltung der Christenheit ein. Sein Landesfürst Friedrich der Weise macht nun seinem Beinamen alle Ehre und entführt den von Kaiser und Papst für vogelfrei erklärten Ketzer auf die Wartburg, wo dieser die Bibel ins Deutsche übersetzt, damit alle das Wort Christi verstehen können. Doch Luthers Lehren werden auch missverstanden (und politisch gedeutet) und führen zu blutig niedergeschlagenen Bauernaufständen. In diesen Tagen findet Luther Trost bei der abtrünnigen Nonne Katharina von Bora, die er schließlich heiratet.
Mit Hilfe des „Oscar“-preisgekrönten Ausstatters Rolf Zehetbauer und des Kameramannes Robert Fraisse, der sich in seiner Bild- und Lichtgestaltung die Malerei des 17. Jahrhunderts zum Vorbild genommen hat, zeichnet Till trotz relativ bescheidener Produktionsmittel ein weitgehend authentisches Bild jener von Aufruhr geprägten Zeit, das sich mehr in stimmungsvollen Tableaus als in effekthascherischen Szenerien niederschlägt. Nur der pathetische Soundtrack übertreibt ein wenig. Die Dramaturgie dagegen verharrt eher in braver Schulfunk-Manier, und so mancher Erzählstrang, wie der mit dem Bauernmädchen Hanna und seiner behinderten Tochter, wird allzu schnell fallengelassen – oder erst gar nicht entwickelt, wie die nur als Happy End „missbrauchte“ Katherina. Dafür liefern Peter Ustinov und Bruno Ganz Kabinettstücke ihrer süffisanten und stillen Schauspielkunst, und der offensichtlich als „Lockvogel“ für ein jugendliches Publikum eingesetzte „Shakespeare in Love“- Star Joseph Fiennes löst sich mit seinem kraftvollen Spiel langsam aus dem Schatten seines Bruders Ralph: Man glaubt ihm die Verzweiflung, wenn er in seiner Zelle mit sich und Gott ringt, ebenso wie den Aufmüpfigen, der mit eigenen Händen einen von den Sterbesakramenten ausgeschlossenen Selbstmörder beerdigt, und den Prediger, der seine Gemeinde über den vom Papst sanktionierten Reliquien-Schwindel mit den zwölf Aposteln aufklärt, von denen allein 18 in Spanien begraben sind. Gewiss: Die anekdotenhafte Struktur des Films setzt nur Schlaglichter auf Zeitgeschichte und Personen, wirkt wie ein spannendunterhaltender Schnellkurs zum Thema „Reformation“; dabei bietet er dem Wissbegierigen allerdings genug Anhaltspunkte, um sich weiterführend mit dem Thema zu beschäftigen.