Heaven (2000)

Drama | Deutschland/USA/Frankreich 2000 | 97 Minuten

Regie: Tom Tykwer

Ein junger Carabiniere verliebt sich in eine Attentäterin, die den Boss des Turiner Drogensyndikats ermorden wollte, doch durch eine Verkettung unglücklicher Umstände vier unschuldige Menschen tötete. Er verhilft ihr zur Flucht und dazu, ihren Plan doch noch in die Tat umzusetzen. Gemeinsam fliehen sie in die Toskana, wo sich ihre übergroße Liebe im Tod erfüllt. Eine vor allem im ersten Teil überaus dichte Filmerzählung, deren Liebesgeschichte eher allegorischen Charakter hat. Hervorragend gespielt, mit atemberaubenden Bildern und einer ausgeklügelten Kameratechnik, die die Struktur der Erzählung vorgibt. (O.m.d.U.; Kinotipp der katholischen Filmkritik; vgl. weitere Verfilmungen der Drehbücher aus Krzyzstof Kieslowskis "Himmel-Hölle-Purgatorium"-Trilogie: "Wie in der Hölle" und "Hope") - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
HEAVEN
Produktionsland
Deutschland/USA/Frankreich
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
X-Filme/Miramax/Mirage Enterprises/Noé Prod.
Regie
Tom Tykwer
Buch
Krzysztof Kieslowski · Krzysztof Piesiewicz
Kamera
Frank Griebe
Schnitt
Mathilde Bonnefoy
Darsteller
Cate Blanchett (Philippa) · Giovanni Ribisi (Filippo) · Remo Girone (Vater) · Stefania Rocca (Regina) · Alessandro Sperduti (Ariel)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs und ein kommentiertes Feature mit nicht verwendeten Szenen (11 min.).

Verleih DVD
X Verleih (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
„Ich hatte das Gefühl, dass das Buch an Themen anknüpft, die ich in meinen bisherigen Filmen aufgegriffen hatte, allerdings auf eine mir bislang unbekannte Weise“, erklärte Tom Tykwer zu Krzysztof Kieslowskis nachgelassenem Drehbuch, dem ersten Filmstoff, den Tykwer nicht selbst geschrieben hat, und der Vorlage für seine erste internationale Co-Produktion. Es ist ein eindringliches Drama über Schuld und Kraft der Liebe in einer für Kieslowski typischen Mischung aus Thriller, Melodram und Psychogramm. Alle Themen von Tykwer finden sich ebenso darin: Schicksal, Zufall, Verzweiflung, Erlösung durch den Glauben an die Liebe. Der Film ähnelt einem Zwilling von „Der Krieger und die Kaiserin“ (fd 34 498), nur obliegt es diesmal dem männlichen Part, die desperate Heldin im doppelten Wortsinn zu erretten. Einfache Ausgangselemente führen zu einer fatalen Verstrickung, für die bei Tykwer einmal mehr die gedanklichen und visuellen Konstruktionen des Kinos einen Ausweg bieten. Diese traumatischen Ereignisse helfen am Anfang, die Atmosphäre stark zu definieren, gedacht sind sie – dies wiederum ein Stilprinzip Kieslowskis – als dramaturgisches Vehikel einer ethischen Reflexion, in deren Mittelpunkt Menschen in einer extremen Situation stehen: Ein Bombenattentat, bei dem der Zufall seltsame Kapriolen schlägt, zieht eine ambivalente Konstellation nach sich, die mit radikaler Konsequenz zum Tragen kommt. Die 29-jährige Englischlehrerin Philippa hat sich zu einer verzweifelten Tat entschlossen. Eine Zeitbombe, deponiert in einem Papierkorb, soll das Büro eines Mannes in die Luft jagen, der den Heroinmarkt von Turin beherrscht. Seit Jahren ist sie in der Schule mit den verheerenden Folgen seiner mafiotischen Umtriebe konfrontiert. Er ist auch verantwortlich für den Drogentod ihres Mannes. Nach der Verhaftung erfährt sie zu ihrem Entsetzen, dass bei der Explosion statt des Mafiosis vier unschuldige Menschen, darunter zwei Kinder, ums Leben gekommen sind. Die Polizei unterschlägt alle Indizien, mit deren Hilfe sich belegen ließe, dass Philippa sie seit geraumer Zeit mit Hinweisen belieferte, die zur Verhaftung des Paten hätten führen müssen, und beharrt auf einem politischen Motiv. Als der blutjunge Carabinieri Filippo während der Verhöre Philippas „Unschuld“ realisiert, verliebt er sich in sie, ermöglicht ihr die Flucht und hilft ihr, den Mafia-Boss zu töten. Ihre gemeinsame Irrfahrt durch die Toskana endet auf einem Bauernhof, der bald von einer Antiterroreinheit belagert wird, in einer Allegorie des Todes: Mit einem Polizei-Helikopter heben sie zu einem vertikalen Steilflug in den Himmel ab, wie zuvor die Opfer des Attentats, die im Aufzug umkamen. Eigentlich erfüllt sich aber so ihre Liebe, die den Kulminationspunkt in einer „Himmelfahrt“ findet. In der suggestiven Schlusssequenz schließt sich optisch der Kreis zum Anfang und endet eine Beziehung, die in ihrer Substanz – eine Terroristin und ein Polizist als engelähnliche Gestalten, deren Liebe transzendente Dimension erreicht – „religiös“ anmutet, aber einzig nach Passolinis Wort, wonach „das Religiöse nur häretisch zu retten“ sei. „Heaven“ ist der erste Teil einer Trilogie, deren Idee Krzysztof Piesiewicz noch vor Fertigstellung der „Drei Farben“-Reihe hatte. 1993 schlug er Kieslowski die Arbeit an einem neuen Zyklus vor: „Paradies. Fegefeuer. Hölle“. Trotz seiner anfänglichen Abwehrreaktionen beendeten sie im Juli 1995 die Niederschrift der ersten Filmnovelle „Paradies“. Als Krzysztof Kieslowski am 13. März 1996 starb, bedeutete es auch das Aus für das Vorhaben. Auf Initiative der französischen Produktionsfirma „Noé“, bei der die Rechte liegen, nahm der amerikanische Verleiher und erklärte Fan Kieslowskis, „Miramax“-Chef Harvey Weinstein, das Projekt unter seine Fettiche und bot es Anthony Minghella („Der englische Patient“, fd 32 406) an. Bei dem „radikalen Stoff“ sah sich der Brite aber eher in der Rolle des Geburtshelfers, stieg zusammen mit Sydney Pollack und Bill Horberg von „Mirage Enterprises“ bei der Produktion beratend ein. Als die Wahl dann auf Tom Tykwer fiel, dessen Film „Lola rennt“ (fd 33 256) Weinstein beeindruckt hatte, prallten zwei cineastische Konzeptionen aufeinander, die nahezu deckungsgleich sind und dennoch nicht unterschiedlicher sein könnten. Die Unverwechselbarkeit der Vorbilder macht posthume Fortschreibungen abgebrochener Werkbiografien suspekt. Solche Imitate gehen niemals auf. Tykwer schwebt folgerichtig keine Testamentvollstreckung vor, er wollte dem Stoff seine eigene Handschrift aufdrücken. Dies ist ihm durchaus gelungen. Seine Figuren entkommen dem Teufelskreis aus Korruption und Gewalt in mythische Sphären, brechen zu einer Reise aus der Dunkelheit ins Licht der toskanischen Sommerlandschaft auf. Am helllichten Tag wird der Himmel im finalen Flug zur Projektionsfläche für ihre überlebensgroße Liebe, die alle Naturgesetze zu überwinden scheint und an eine himmlische Oase inmitten des menschengemachten Infernos denken lässt. Tykwers visuelle Kunstfertigkeiten – topografische Luftaufnahmen Turins, Vektorlinien zwischen oben und unten, schwebende Kamerafahrten, Kreisbewegungen um die Liebenden vor Toskanas Naturkulisse – wirken diesmal deutlich zurückgenommen, sind auf das Wesentliche konzentriert. Selbst wenn es bei der hochdramatischen Story an die Extreme geht, gleichen diese eher Intermezzi in einem ruhigen linearen Erzählfluss. Der Film beginnt als Krimi und Psychodrama, schreitet dann – typisch für Tykwer – ins Kino-Märchen fort. Diese beiden Seiten der Medaille passen freilich nicht recht zusammen, da man den mit Cate Blanchett und Giovanni Ribisi exzellent besetzten Hauptfiguren ganz ohne Vorbehalt doch nicht folgen kann. Täterin und Opfer zugleich, verfügt Philippa über eine Fallhöhe, die sie in die Nähe des Mörders aus „Ein kurzer Film über das Töten“ (fd 27 367) bringt. Sie ist eine „verlorene Seele“. Mutlos leidet sie an dieser Welt, will in ihrem Schuldbewusstsein aus der Haft nur entkommen, um ihr Werk zu vollenden, und dann für ihre Taten einstehen. Nach der Hinrichtung des Paten stellt sie sich nicht der Polizei, stattdessen vollzieht sich mit der Flucht in die Toskana ein Mysterium, das die Frage aufwirft, warum sie es nicht tut. Zumal zu diesem Zeitpunkt noch keine Annäherung des Paares erkennbar ist. Äußere Bedrohung hört auf, keine Hindernisse stellen sich in den Weg. Hier glaubt Tykwer, im Gegensatz zu Kieslowskis Drehbuch auf psychologische Motivation verzichten zu können – zugunsten eines ungeheuer komprimierten Handlungsablaufs, knapper Dialoge und eines ekstatischen Bildersogs, der die Zuschauer vor allem bezaubern will. Sein magisches Liebeskonzept, bei dem die Konturen der Figuren zu verschwimmen drohen, der Raum zur Entfaltung der Emotionen eng bemessen ist, kann dadurch keine zwingende Evidenz gewinnen. Auch wenn Filippos bedingungslose Liebe, die in ihrem Absolutheitsanspruch vor nichts zurückschreckt, unabweisbar, ja utopisch bleibt.
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