Ein Mann, der seit dem Mord an seiner Frau nur noch über ein fragmentarisches Kurzzeitgedächtnis verfügt, sucht fieberhaft nach dem Täter und verliert sich dabei in einem Dickicht aus Intrigen. Formal ungewöhnlicher, ausgesprochen kühner Thriller, der seine Geschichte vom Ende zum Anfang treibt, um den Zuschauer an der Orientierungslosigkeit des Helden Anteil nehmen zu lassen, und dabei an existenzielle Fragen rührt.
- Sehenswert ab 16.
Memento (2000)
Thriller | USA 2000 | 113 Minuten
Regie: Christopher Nolan
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Filmdaten
- Originaltitel
- MEMENTO
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2000
- Produktionsfirma
- I Remember/Newmarket Capital Group/Team Todd
- Regie
- Christopher Nolan
- Buch
- Christopher Nolan · Jonathan Nolan
- Kamera
- Wally Pfister
- Musik
- David Julyan · David Bowie
- Schnitt
- Dody Dorn
- Darsteller
- Guy Pearce (Leonard "Lenny" Shelby) · Carrie-Anne Moss (Natalie) · Joe Pantoliano (Teddy) · Mark Boone jr. (Burt) · Russ Fega (Kellner)
- Länge
- 113 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Thriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Die Extras der Standard Edition (DVD), der Special Edition (2 DVDs) und der BD enthalten u.a. ein Audiokommentar des Regisseurs sowie das Feature "Anatomie einer Szene" (25 Min.) und ein Interview mit Christopher Nolan (24 Min.). Special Edition und BD enthalten zudem den Film in der der Chronologie der Ereignisse geschnittenen Fassung (DVD: 104 Min., BD: 108 Min.).
Ein Mann mit Gedächtnisverlust versucht, den Mord an seiner Frau aufzuklären. Ein brillanter Thriller von Christopher Nolan, der die Erzählstruktur auf den Kopf stellt.
Diskussion
„Ich schließe meine Augen, ich mache sie wieder auf – und die Welt ist immer noch da.“ Wenn der Protagonist von „Memento“ am Ende des Films diesen Satz formuliert, hat man als Zuschauer den Glauben an die Selbstverständlichkeit dieser Feststellung schon längst verloren. Vermeintliche Sicherheiten gelten in Christopher Nolans düsterem Krimi wenig. Sein Film konfrontiert mit der Frage, ob die Wirklichkeit nicht doch in erster Linie in unserem Hirn entsteht, ob die Kontinuität im Leben nicht bloß eine mühevoll kultivierte Illusion ist.
Am Anfang steht das Ende der Geschichte. Man sieht das Polaroid-Foto eines Mannes, dem von hinten in den Kopf geschossen wurde. Langsam verbleicht das Foto, während der Entwicklungsprozess rückwärts verläuft, bis schließlich das Bild den Blick auf die reale Leiche frei gibt. Plötzlich fällt ein Schuss, und der ehemals Tote weilt wieder unter den Lebenden. Die Eingangssequenz, die zunächst wie eine formale Spielerei anmutet, gibt die Richtung der gesamten Erzählung vor: Ausgehend von dem Mord an dem zu diesem Zeitpunkt unbekannten Mann, dringt der Film immer tiefer in die Vergangenheit, an die sich der Held des Films, der ehemalige Versicherungsagent Leonard, selbst nicht erinnern kann. Seit seine Ehefrau bei einem Einbruch in ihr gemeinsames Heim getötet wurde, vermag sein Kurzzeitgedächtnis nur noch maximal 15 Minuten zu umfassen. Sein gesamtes Leben vor dem traumatischen Ereignis ist ihm zwar noch vertraut, seither aber ist seine Existenz ein Chaos aus immer wieder neuen Eindrücken, in das er mit dem eisernen Vorsatz, den Mörder seiner Frau zu finden, Ordnung bringen will. Zu diesem Zweck bedient er sich eines komplexen Systems aus Fotos, Notizen und Tätowierungen, das seine Erkenntnisse vor dem Abgrund seiner lädierten Psyche bewahren soll.
Um den Zuschauer an Leonards prekärer mentaler Situation teilhaben zu lassen, verweigert Nolan dem Publikum ebenfalls die Erinnerung. Die chronologische Anordnung der Sequenzen widersetzt sich dem alltäglichen Erleben: Am Ende einer jeden Szene springt der Film weiter zurück in die Vergangenheit, um Details preiszugeben, die die zukünftigen Ereignisse erst erklären. Als Betrachter muss man sich daher ebenso um Orientierung bemühen wie Leonard, dem es aufgrund seines Defekts passieren kann, dass er sich in einer Verfolgungsjagd wieder findet, ohne zu wissen, ob er der Jäger oder der Gejagte ist. Wie James Ellroy in seinen Romanen bedient sich auch Christopher Nolan in „Memento“ den Elementen klassischer Kriminalstücke, um aus ihnen ein Drama zu destillieren, das weit über die Grenzen postmodern-vertrackter „neo noir“-Spielereien hinaus weist. Leonards eigentümliche Krankheit ist nicht bloß das Elaborat eines um Ideen ringenden Autors, sondern das Symptom eines allgemein menschlichen Dilemmas. Leonard bewegt sich in einer Wirklichkeit, die ihm immer wieder fremd ist, die ihn überfordert, die ihm eine Antwort auf die Frage nach seiner Identität verweigert. Verloren in einer Welt bar jeder Ordnung, entwirft er seine eigene Sinnkonstruktion, die er verbissen gegen jede Anfechtung verteidigt. Ansonsten müsste er sich dem Terror der Einsicht stellen, allein im Hier und Jetzt zu sein. Dem existenziellen Entsetzen dieser Erkenntnis ist er ebenso wenig gewachsen, wie Menschen mit intaktem Erinnerungsvermögen, die die alltägliche Betriebsamkeit vor der Haltlosigkeit von Leonards Situation bewahrt. Leonard hingegen bleibt keine andere Wahl, als die Definition seines Daseins selbst vorzugeben: Er ist der Mann, der den Mörder seiner Frau sucht! Doch was wird er tun, wenn er den Täter gefunden hat? Er wäre ohne Ziel im Niemandsland ewiger Gegenwart gefangen. Dem Horror dieser Vorstellung entspringt die schreckliche Ahnung, dass Leonards Mission niemals enden darf. Das Kino ist Christopher Nolan für „Memento“ zu Dank verpflichtet. Nicht nur, weil das Jahr 2001 ansonsten – abgesehen von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ (fd 34 999) – arm an filmischen Höhepunkten war, sondern auch, weil er demonstriert, dass formale Kühnheit mehr als kalkulierter Selbstzweck sein kann. An einem Moment der Filmgeschichte, an dem sich die visuellen Gestaltungsmöglichkeiten zunehmend von der inhaltlichen Substanz abgelöst haben, zeigt „Memento“ mit Nachdruck, dass Stil Sinn macht.
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