"Dare to be bare", steht auf die Handzettel gepinselt, die an Ladentüren und Telefonmasten der mittelenglischen Industriestadt Sheffield flattern, "Wir genieren uns nicht, nackt zu sein". Der Hinweis gilt der weiblichen Einwohnerschaft, die zu einer unkonventionellen Strip-Show geladen wird. Eine Handvoll arbeitsloser Stahlarbeiter unter der Führung des drahtigen Gaz will es den "Chippendales" nachtun, die wenige Tage zuvor mit ihren sonnenverwöhnten Körpern die Frauen aus der Reserve lockten. Bis der lokale Tanzschuppen aber vor erwartungsvollen Stimmen wie ein Bienenstock brummt, und hinter der Bühne kalter Angstschweiß auf den Stirnen perlt, durchmißt Peter Cattaneos warmherzige Komödie so weite Räume voller Witz, Humor und leisen sozialkritischen Tönen, daß man diesen wohltuend menschlichen Film nur mit Erstaunen als Debütarbeit eines begabten Duos wahrnimmt. Auf die absurde Idee, mit ihrem Körper Geld zu verdienen, verfallen Gaz und sein dicker Freund Dave, als sie bei einer ihrer zahllosen Streifzüge die riesige Warteschlange erregter Frauen bemerken, die dem Auftritt der kalifornischen "Akt"'-eure entgegenfiebern. Während Dave noch skeptisch seine Rundungen betrachtet, ist schon ein Dritter gefunden: Lomper, rothaarig, schmalbrüstig und eben im Begriff, sich das Leben zu nehmen. Das Argument, daß ein Selbstmörder nichts mehr zu verlieren habe, würde bei dem ehemaligen Vorarbeiter Gerald auf taube Ohren stoßen. Seit einem halben Jahr bringt er es nicht übers Herz, seiner Frau einzugstehen, daß auch er entlassen wurde. Da er der einzige ist, der über ein bescheidendes Repertoire an Standardtänzen verfügt, wird der verklemmte Schlipsträger mit sanfter Gewalt gefügig gemacht. Guy und der alte Horse komplementieren nach eingehender Prüfung die Runde, die in einer alten Werkshalle alsbald heimlich das Training aufnimmt. Von dem Timing und der Grazie, die Gerald als Geheimnis jeder Choreographie preist, kann vorerst noch keine Rede sein, weshalb Dauerläufe, Liegestütze und täglich ein Fußballspiel verordnet werden.Die eigentlichen Probleme liegen jedoch nicht im Kampf mit normalen Widrigkeiten wie kleinen Diebstählen für die nötigen Accessoires oder der Suche nach einem Veranstalter, der sich auf die freizügige Herrendarbietung einlassen will. Völlig unsicher werden die Männer bei dem Gedanken, daß die Frauen ihre Proportionen ähnlich respektlos kommentieren könnten, wie sie dies selbst von Besuchen einschlägiger Lokalitäten gewohnt sind. An Hand der Figur des rundlichen Dave entwickelt der Film ein amüsantes Spiel mit der Verkehrung der Geschlechterperspektive bis hin zum frustrierten Freßanfall. Eine ähnlich hellsichtige Sensibilität waltet bei der Charakterisierung jeder anderen Einzelfigur: Gaz' großspurige Souveränität fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen, als ihm seine geschiedene Frau den Entzug des Sorgerechts für Sohn Natan androht, da er seinen Unterhaltszahlungen nicht nachkommt; Lompers depressive Minderwertigkeitsgefühle sind durch eine kurze Szene mit seiner Mutter ebenso biografisch eingebunden wie seine homoerotischen Empfindungen für Guy; und warum es Gerald schwer fällt, mit der Wahrheit herauszurücken, ist nach einem Blick ins biedere Rosarot seines Eigenheims für niemandem ein Rätsel. Ein paar Dialogzeilen genügen Cattaneo und Beaufoy, um ihre Figuren authentisch und lebensecht zu gestalten, was vor allem heißt, die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit und ihre unterschiedlichen Kompensationsmechanismen anzudeuten. Man braucht nur auf die gezischelten Kommentare zu achten, mit denen die beginnende Liaison von Guy und Lomper bedacht wird, um zu verstehen, daß es hier wirklich wie unter den Arbeitern einer mittelenglischen Stadt zugeht und der aus Sheffield stammende Autor das Ohr am Mund des Volkes hatte.Ein feines Gespür für wohltemperierte Nuancen beweist der Film vor allem auch in seinen komischen Momenten, die sich wie von selbst aus den jeweiligen Situationen entwickeln. Wenn die Männer probeweise ihre Hüften kreisen lassen oder sich beim Versuch, lasziv das Hemd über den Kopf zu ziehen, in den Knöpfen verheddern, fehlt jede Spur aufgespreizten Klamauks, der viele Komödien so hanebüchen macht. Gerade an den witzigen Wendepunkten, wenn etwa bei der Generalprobe ein Bobby in die Halle platzt und in Verkennung der Umstände die Hobbystripper im roten String verhaftet, spürt man den Respekt und die Achtung, die keine der Figuren der Lächerlichkeit preisgibt oder für billige Scherze mißbraucht. Statt auf derbe Zoten und tolpatschigen Slapstick setzt Cattaneo auf die sensible Beobachtung der Widersprüche, in die sich seine Helden zwangsläufig verstricken, weil Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Aus dieser Haltung heraus fällt es ihm nicht schwer, geschickt Akzente zu setzen und jede Larmoyanz, die vom Thema her durchaus nahe läge, im Keim zu ersticken. Humor und ein Schuß schlitzohriger Optimismus, so demonstriert es diese amüsante und kurzweilige Arbeitslosenkomödie in jeder Einstellung, bewahren auch dort vor Verzweiflung, wo das Umfeld keinen Anlaß zur Hoffnung bietet.Um sich von der vitalen Urwüchsigkeit einer solchen Lebenskunst anstecken zu lassen, ist es weder nötig, den Film im (nicht leicht verständlichen) Originaldialekt zu sehen noch die spezifischen nationalen Hintergründe zu kennen. Es belegt aber die außergewöhnliche Qualität dieses Erstlingswerkes, daß in ihm eine Reihe kultureller und politischer Umbrüche verarbeitet wurde, die mit dem Niedergang der angelsächsischen Schwer- und Bergbauindustrie verbunden ist. Als Folge der gravierenden Arbeitslosigkeit geriet nicht nur das Sozialgefüge aus den Fugen, sondern verloren auch die traditionellen Rollenklischees ihre Funktion. Die Auswirkungen, Identitätsverlust, zerrüttete Ehen, Gewalt und Kriminalität, sind filmisch schon oft thematisiert worden. Cattaneo begnügt sich aber ebenso wie Mark Herman in "Brassed off"
(fd 32 785) nicht mit der bitteren Analyse, sondern spielt mit den Mitteln des Kinos den Provokateur. Er treibt das Phänomen, daß prüde englische Männer ihre Ehefrauen als Stripperinnen annoncieren, auf die Spitze, indem er seine Herren vor die Wahl stellt, ganz oder gar nicht die Hosen fallen zu lassen. Das psychische Pokerspiel in den Köpfen des Sextetts, das, je näher der Auftritt rückt, vor der eigenen Courage gehörig Respekt verspürt, dient als unterhaltsamer Stoff für das grundlegendere Thema männlicher Selbstbilder. Die Entdeckung des Körpers, ein gewandeltes Vater-Sohn-Verhältnis, Selbstachtung auch ohne Broterwerb sind einige Stichworte, die unprätentiös und mit leichter Hand in diese realitätshaltige Hommage an die Working-Class verwoben sind. "Dare to be bare": Zeit, muffige Klamotten abzulegen.