Drama | Deutschland 1996 | 112 Minuten

Regie: Caroline Link

Feinfühlig in der Darstellung der Figuren und in einer geglückten Mischung von atmosphärisch stimmigen Bildern und gefühlvoller Musik erzählt der Film die Geschichte einer jungen Frau, deren Eltern taubstumm sind, und die in einen Konflikt mit ihrem Vater gerät, als sie Musikerin werden will. Ein gelungenes Kinodebüt einer Absolventin der Münchener Filmhochschule. Der Film überzeugt sowohl als sensible Gestaltung der Probleme von Behinderten als auch in seiner universalen Thematik des Selbstfindungsprozesses einer jungen Frau und dem Plädoyer für Verständnis und Offenheit gegenüber unvereinbar scheinenden Erfahrungswelten. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1996
Produktionsfirma
Claussen & Wöbke Filmprod./Roxy Film
Regie
Caroline Link
Buch
Caroline Link · Beth Serlin
Kamera
Gernot Roll
Musik
Niki Reiser
Schnitt
Patricia Rommel
Darsteller
Sylvie Testud (Lara) · Tatjana Trieb (Lara als Kind) · Howie Seago (Martin) · Emmanuelle Laborit (Kai) · Sibylle Canonica (Clarissa)
Länge
112 Minuten
Kinostart
25.11.2021
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar mit der Regisseurin Caroline Link, den Produzenten Jakob Claussen & Thomas Wöbke und Filmkomponist Niki Reiser sowie ein längeres Interview mit Jakob Claussen und Thomas Wöbke (18 Min.).

Verleih DVD
EuroVideo & Universum (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Universum (16:9, 1.85:1, dts-HDMA dt.)
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Diskussion
Daß es neben Geschichten über bewegte Männer und abgeschminkte Frauen auch ganz anderes im deutschen Film zu erzählen gibt, beweist ein erstaunliches Kinodebüt von Caroline Link, einer Absolventin der Münchener Filmhochschule. "Jenseits der Stille" erzählt von Lara, deren Eltern, Martin und Kai, taubstumm sind. Für Lara bedeutet das, daß sie schon als Achtjährige eine verantwortungsvolle Rolle übernehmen muß, da sie die einzige in der Familie ist, die sprechen kann. Viele wichtige Kontakte zur Außenwelt laufen über Lara. Kreditverhandlungen in der Bank, Gespräche mit der Lehrerin, herzzerreißende Melodramen im Fernsehen - alles übersetzt Lara für ihre Eltern in die Gebärdensprache. Dabei weiß die Achtjährige ihre "Machtposition" schon ganz gezielt zu nutzen.

Lara liebt ihre Eltern, vor allem ihren Vater, von ganzem Herzen, aber sie empfindet das Leben in einer Welt der Stille mitunter auch als Belastung. Durch eine Klarinette, die ihre Tante Clarissa ihr zum Weihnachtsfest schenkt, eröffnet sich für Lara eine ganz neue Welt. Die attraktive Tante, die selbst eine ausgezeichnete Klarinettistin ist und in Lara die Tochter sieht, die sie selbst nie hatte, will Lara auf ihre Seite ziehen und ihr den Weg zu einem Musikstudium eröffnen. Die Musik gibt Lara ganz neue Möglichkeiten, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben, aber es entstehen Disharmonien in der Familie. Der Vater merkt, daß er Lara zu verlieren droht und reagiert zunehmend aggressiv. Zum offenen Streit kommt es, als Lara 18 Jahre alt ist und eine professionelle Ausbildung anstrebt. Clarissa holt sie nach Berlin, damit sie sich auf die Aufnahmeprüfung am Konservatorium vorbereiten kann. Als sie die Nachricht vom plötzlichen Tod ihrer Mutter erreicht, kehrt Lara nach Hause zurück. Doch durch den Schicksalsschlag ist die Beziehung zum Vater schwerer belastet als zuvor. Martin macht Lara für den Tod der Mutter verantwortlich. Lara hatte die Mutter zum Radfahren überredet, und dabei ist sie schließlich verunglückt. Es kommt zum Bruch mit dem Vater, Lara kehrt nach Berlin zurück. Sie findet in Tom, einem jungen Lehrer an einer Gehörlosenschule, einen Freund, der wie sie bei gehörlosen Eltern aufgewachsen ist. Tom hilft Lara, ihren eigenen Weg zu finden. Lara geht auch auf größere Distanz zu Clarissa, da sie nicht mehr die Rolle der fehlenden Tochter ausfüllen will. Beim Vorspielen im Konservatorium taucht unvermutet der Vater im Auditorium auf und signalisiert, daß er sich mit seiner Tochter aussöhnen und versuchen will, ihre Welt der Musik zu verstehen.

Mit Gespür für leise Töne und einer geglückten, stimmungsvollen Verbindung von Bildern und Tönen hat Caroline Link ihren Film gestaltet, der auf Grund seiner Thematik die Erinnerungen an einen Film wie "Gottes vergessene Kinder" (fd 26 060) von Randa Haines wachruft, aber doch seine ganz eigene Handschrift hat. Dabei geht es nicht allein um die sensible Behandlung der Probleme von Behinderten. Es geht um den Reife- und Selbstfindungsprozeß einer jungen Frau, die sich zwischen zwei unvereinbar scheinenden Welten befindet, in denen auf der einen Seite ihr Vater und auf der anderen ihre Tante steht. Der Vater wünscht sich manchmal, daß sie behindert sein möge wie er, damit sie ganz in seiner Welt bleiben kann, die Tante will nicht, daß sie ihrer Entwicklungsmöglichkeiten beraubt wird und das Leben einer Behinderten führen muß, weil ihre Eltern behindert sind. Daß sie damit auch die eigene Kindheitsgeschichte und den Konflikt mit dem behinderten Bruder, dem die Liebe ihrer Eltern in ihren Augen immer mehr gewidmet war, aufarbeitet, bereichert den Film um eine zusätzliche Dimension. Die Welt der Stille und die Welt der Musik scheinen unvereinbar, aber sind nicht unvermittel-bar, wenn man sich um Verständnis und Verständigung bemüht.

Als ein anrührendes Plädoyer für die Überwindung von Hindernissen, die Menschen, die einander lieben, trennen können, für die Offenheit, sich auf fremde Erfahrungswelten einzulassen, hat der Film eine universale Bedeutung. Er verschweigt nicht den Konflikt und den Schmerz, wie er beispielsweise in Martins albtraumhaften Erinnerungen deutlich wird, aber er findet auch anrührende Bilder der Harmonie und Begegnung. Die gute Besetzung trägt entscheidend zum Erfolg bei. Vor allem die beiden Darstellerinnen der Lara überzeugen in einem durchweg guten Ensemble. Erstaunlich dabei ist, daß die kleine Tatjana Trieb, die Lara als Achtjährige spielt, einen so starken Eindruck hinterläßt, daß die Französin Sylvie Testud sich anstrengen muß, um die Zuschauer mit ihren großen Augen, die so melancholisch wie spitzbübisch schauen können, zu gewinnen. Die Stärke des Films liegt in den unspektakulären Bildern, die atmosphärisch stimmig sind und echte Gefühle vermitteln. Dabei sind es vor allem Verständigungen über Blicke und Gesten, die viel intensiver wirken als manche Dialogzeilen. Ein schönes Bild bringt es auf den Punkt: Ein kleiner Junge, der Martins "sprechende Hände" fasziniert beobachtet hat, läuft spontan auf ihn zu und legt seine kleine Hand in Martins große. So behutsam und liebevoll nähert sich der Film seinen Figuren und gewinnt dadurch den Zuschauer für einen Film, dem man einen nachhaltigen Erfolg nur wünschen kann.
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