Der Mann, der die Sterne macht

- | Italien 1994/95 | 106 Minuten

Regie: Giuseppe Tornatore

Sizilien 1953: Ein Betrüger aus Rom bereist die Insel, um von den Menschen Probeaufnahmen für eine Filmfirma zu machen. Obwohl er unbrauchbares Filmmaterial benutzt, verspricht er ihnen das Blaue vom Himmel. Erst in der Begegnung mit einer naiven Waisen, die er lieben lernt, wird ihm die Leere seines Lebens bewußt. Ein inszenatorisch bescheidener, aber sehr intelligent unterhaltender Film, der unaufdringliche Lektionen in Sachen Film, Geschichte, Volkskunde und Wahrhaftigkeit erteilt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
L' UOMO DELLE STELLE
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
1994/95
Produktionsfirma
C.G.G. Tiger/Sciarlo/Rai
Regie
Giuseppe Tornatore
Buch
Giuseppe Tornatore · Fabio Rinaudo
Kamera
Dante Spinotti
Musik
Ennio Morricone
Schnitt
Massimo Loffredi
Darsteller
Sergio Castellitto (Joe Morelli) · Tiziana Lodato (Beata) · Franco Scaldati (Brigadiere Mastropaolo) · Leopoldo Trieste (der Stumme) · Tano Cimarosa (Großvater Bordonaro)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Diskussion
Die Dummen und Leichtgläubigen, die Verzweifelten, die sich an jede noch so kleine Hoffnung klammem, die sterben nicht aus. Das war und ist so und wird auch immer so bleiben. Auf diese Tatsache hat Joe Morelli sein Geschäft aufgebaut. Er fährt kreuz, und quer durch Sizilien, man schreibt das Jahr 1953, die Insel ist noch in feudale Strukturen eingebunden, verarmte Bauern und arbeitslose Tagelöhner suchen als Banditen ihr Glück, die Mafia beschränkt sich noch auf ihre traditionellen Erwerbszweige, Drogenhandel im großen Stil ist noch kein Thema. Morelli bereist die Insel als Talentsucher, angeblich im Auftrag einer römischen Filmfirma. Für 1500 Lire, damals ein kleines Vermögen, bietet er Probeaufnahmen an, die einen Weg ins Filmgeschäft ebnen können. Sein Geschäft floriert, die Kunden stehen Schlange; sie wissen allerdings nicht, das Morelli untaugliches Filmmaterial verwendet, nicht im Traum daran denkt, seine Aufnahmen den römischen Produzenten zur Verfügung zu stellen. Er verkauft Träume ohne realen Gegenwert, seine Kunden bringen sich und ihre Wahrhaftigkeit ein. Ein höchst zynischer Handel, der dem windigen Geschäftemacher jedoch keine Gewissensbisse bereitet.

Wo immer er auftaucht, lernen die Dorfbewohner Szenen aus "Vom Winde verweht" auswendig, opfern ihr mühsam erspartes Geld für einen Hauch von Hoffnung, geben sich preis. Vor laufender Kamera, die freilich nichts aufzeichnet, beklagt eine verhärmte Näherin, die als GI-Liebchen geschnitten wird, ihr Los; offenbart ein Schäfer die Poesie seines Berufes; erwacht ein Garibaldi-Kämpfer aus jahrzehntelangem Schlaf, um der republikanischen Idee zu huldigen; oder erinnert sich ein Veteran an die Schrecken des Bürgerkriegs in Spanien. Morelli registriert all dies, doch es läßt ihn kalt. Von einer Mutter, die für ihre halbwüchsige Tochter eine Filmkarriere erhofft, läßt er sich aus Geldmangel in "Naturalien" bezahlen, einen toten Mafia-Paten filmt er ebenso ungerührt wie einen Polizei-Offizier, der Dante ins Sizilianische übersetzt hat, und eine Grußbotschaft an de Sica und Visconti ausspricht. Erst als die Waise Beata in sein Leben tritt, die mit ihrer unbekümmerten Art unerschütterlich an Morelli glaubt und fortan nicht mehr von seiner Seite weicht, ändert sich sein Leben. Der Betrüger erahnt die Schönheit und Wahrhaftigkeit vor seiner Kamera, läßt sich erstmals auf (Lebens-)Geschichten ein, wird somit verletzbar und von seiner schändlichen Vergangenheit eingeholt. Zunächst sitzt er weit größeren Betrügern auf, dann holt ihn die Rache des Carabinieris ein, und auch die Mafia, die seine Film-Farce durchschaut hat, fordert ihr archaisches; Recht. Beata verliert über die Ereignisse ihr; kleines bißchen Verstand, der geschundene Morelli wandert hinter Schloß und Riegel, kann dort seine Verletzungen zwar auskurieren, wird deren Folgen jedoch zeitlebens spüren. Am Ende sucht Morelli Beata in ihrer Anstalt auf. Sie ist ganz in ihren Träumen versunken, und er begreift zum ersten Mal in seinem Leben, wie lebenswichtig ein Traum sein kann. Fortan wird der "Mann, der die Sterne macht" mit den Geistern und Hoffnungen, die er beschwor, leben müssen.

Sizilien und das Kino, das sind die Themen, denen sich Giuseppe Tornatore ("Cinema Paradiso", fd 27 990) verschrieben hat. Er beschwört den Zauber und die Faszination des Films, diesmal beschreibt er allerdings seine Schattenseiten - skrupellose Geschäftemacherei und gefühlskalte Ausbeutung. Moretti, seine Profession ist einem tatsächlichen Beruf im Italien der 50er Jahre nachempfunden, ist ein Zuhälter in Sachen Träume, ein Charakter - zunächst - ohne jede Moral, ein Mann ohne Eigenschaften, in dessen Lebensprogramm die Ausbeutung im kleinen Stil eingeschrieben ist. Dies bringt zunächst durchaus Vorteile mit sich, schützt vor Einlassung ebenso wie vor Banditen, doch so bleibt auch das eigentliche Leben außen vor; nichts ist da, was vor dem freien Fall in die Wirklichkeit bewahren könnte. Am Ende bleibt Moretti nur die Erinnerung, wie sein Leben hätte verlaufen können. Ein geläuterter Betrüger, der sich um die eigene Chance betrogen hat und mit dem Stimmen seiner "Opfer" leben muß.

Denn nicht die Bilder der um ihre Träume Geprellten sind es, die ihn verfolgen, sondern ihre Stimmen und ihre Geschichten, die Geheimnisse, die er den Menschen entlockt hat. Tornatore setzt dem sizilianischen Charakter, den verschwiegenen, wortkargen Menschen der Insel ein Denkmal. Sie, die dem eloquenten Römer Moretti hoffnungslos unterlegen scheinen, rächen sich, einmal aus ihrer schweigsamen Reserve gelockt. Ihre einfachen Geschichten haben Bestand durch ihre Wahrhaftigkeit, überdauern seine leicht dahingesprochenen Worthülsen und Versprechungen. Tornatore bringt nicht nur italienisches Nord-Süd-Gefälle zur Sprache, sondern in feinsten Verästelungen, durch Andeutungen und Details enthüllt er auch ein liebevolles Bild des Nachkriegssiziliens, das bei aller Nähe zur Region und ihren Menschen durchaus von Kritik durchzogen ist. Doch nicht nur die Insel ist Thema des Films, sondern mehr noch das Kino selbst, dem immer wieder kleine und große Reminiszenzen gewidmet sind. Dabei wird das Kino nicht nur als die große Traum- und Fluchtmaschine verehrt, sondern auch in seiner sozialen Verantwortung in Erinnerung gebracht. Wenn etwa bei einer Landbesetzung die idyllische Landschaft in ein rotes Fahnenmeer gehüllt ist, dann erinnert diese Szene nicht von ungefähr an Francesco Rosis sozialkritisches Banditen-Epos "Wer erschoß Salvatore G.?" (fd 11 237), und auch jene kleine Szene, in der Moretti einen aufgebahrten jungen Toten aufnimmt und die sich im Folgenden zur Pieta verdichtet, hat ihre Entsprechung in Rosis Klassiker.

Doch man braucht keine fundierten Film- oder Italienkenntnisse zu besitzen, um Tornatores Film zu mögen. Dafür braucht es nur die Liebe zum Metier, das Interesse an Menschen und ein offenes Herz. Ein Herz, das besonders durch die eigentlich unmögliche Liebesgeschichte zwischen Moretti und Beata angerührt wird. Tornatore, der immer wieder Laiendarsteller einsetzt, hat in Tiziana Lodato die ideale Besetzung für seine Beata gefunden, deren ungebrochene Naivität mit der sarkastisch zur Schau gestellten Verschlagenheit seines Profi-Hauptdarstellers Sergio Castellitto korrespondiert. In der Begegnung der beiden finden Feuer und Wasser zusammen, und für beide wird sie nicht ohne Folgen bleiben. Moretti wird durch sie der Einlassung, des Mitgefühls fähig, aber auch verletzbar; Beata wird vom schmalen Grat zwischen Wirklichkeit und Traum stürzen, ein gefallenes Kind, das angesichts der Welt in sich selbst Schutz sucht.

Giuseppe Tornatore hat einen bescheidenen, aber ungeheuer klugen und vitalen Film inszeniert, der wie ein Schelmenroman konzipiert ist und geschickt die Gefühle des Zuschauers lenkt. Denn trotz aller Verschlagenheit, trotz aller vorgeschobenen Gefühlskälte, trotz allen Egoismus bleibt der Zuschauer immer auch auf der Seite Morettis, der gewiß kein schlechter Mensch ist, sondern den die Verhältnisse so gemacht haben. Soziales Engagement, Humor, Spannung und Poesie durchdringen sich auf nahezu perfekte Weise und können so dem europäischen Autorenkino den Weg weisen.
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