England im späten 18. Jahrhundert: Der Vater der Familie Dashwood, die zu den Kreisen des niederen Landadels, der "gentry", gehört, vermacht auf dem Sterbebett seinem Sohn John aus erster Ehe den Familiensitz Norland Park in Sussex und das gesamte Vermögen und trägt ihm auf, für seine zweite Frau und deren drei Töchter angemessen zu sorger. John ist zwar zunächst durchaus gewillt, dem nachzukommen, doch Fanny, seine hartherzige und geldgierige Frau, hintertreibt die guten Absichten: sie sorgt nicht nur dafür, daß Mrs. Dashwood und ihre Töchter keinerlei finanzielle Zuwendungen von John erhalten, sondern setzt auch alles daran, sie vom Familiensitz zu vertreiben. Argwöhnisch verfolgt sie, daß ihr Bruder, Edward Ferrars, zu der ältesten der Dashwood-Schwestern, der von nüchterner Vernunft bestimmten Elinor, Beziehungen knüpft. Fanny sorgt im rechten Augenblick dafür, daß Edward geschäftlich nach London gerufen wird. Mrs. Dashwood hat inzwischen von einem Verwandten, Sir John Middleton, eine bescheidenes Cottage in Devonshire als neuen Wohnsitz angeboten bekommen. Dorthin zieht die Familie. Marianne, die Zweitälteste, zu romantischer Gefühlsseligkeit neigende Schwester, findet in dem zurückhaltenden Colonel Brandon rasch einen standesgemäßen Verehrer, aber ihr Herz entflammt für den leichtlebigen John Willoughby. Die heftige Romanze erfährt ein abruptes Ende, als Willoughby bei einem Besuch, der als formeller Heiratsantrag angekündigt war, unvermittelt seine Abreise verkündet. Marianne leidet sichtlich an diesem Bruch der Beziehung. Auf andere Gedanken sollen die jungen Damen durch eine Reise nach London mit Mrs. Jennings, der Schwiegermutter von Sir Middleton, kommen; aber in der Stadt begegnen Elinor und Marianne nicht nur den Männern wieder, die sie so enttäuscht haben, sondern es werden auch Geheimnisse enthüllt, die den Schmerz vergrößern. Marianne muß erfahren, daß Willoughby eine reiche Erbin zu heiraten gedenkt, Elinor wird schockiert durch die Nachricht, daß Edward schon vor fünf Jahren in jugendlichem Leichtsinn ein Eheversprechen gegeben hat, das er einhalten will, auch wenn dies zur Folge hat, daß er sein Erbe verliert. Die Heldinnen müssen die Schmerzen noch voll auskosten, bevor ein geneigtes Schicksal für beide am Ende doch noch eine standesgemäße Ehe bringt.Emma Thompson hat in ihrem ersten Drehbuch den Geist der Vorlage sehr genau getroffen. Der bekannte Roman von Jane Austen (1775-1817), dessen Originaltitel mit "Verstand und Gefühl" bzw. "Vernunft und Empfindsamkeit" treffender übersetzt ist, gibt eine realistische, durch die Haltung sanfter Ironie gebrochene Schilderung eines kleinen Gesellschaftsausschnittes. Bis auf "Stolz und Vorurteil" ("Pride and Prejudice", USA 1940, Regie: Robert Z. Leonard) sind die Romane der englischen Autorin Jane Austen bisher nicht für das Kino verfilmt worden. Dies mag darin begründet sein, daß die geschilderten Ereignisse meist wenig spektakulär sind. Jane Austen, die als Pfarrerstochter geboren wurde und selbst der Schicht angehörte, die sie so liebevoll wie kritisch beschrieb, erzählt vom Alltag der "gentry". Man empfängt Besuche, man trifft sich zu gesellschaftlichen Anlässen, reist von der Stadt aufs Land, dabei sind die ständigen Sorgen die Sicherung der ökonomischen Grundlagen der Existenz, die Reputation bei den anderen Vertretern der Klasse und eine standesgemäße Heirat. Gerade die Doppelbödigkeit - die Spannung zwischen alltäglichen Ereignissen, den Konventionen und Ritualen und den Kämpfen um die existentiellen Fragen, die oft unausgesprochen bleiben - hat der Film glänzend umgesetzt und erzielt so ein vielschichtiges Bild einer Gesellschaft. Auf den ersten Blick mag der taiwanesische Regisseur Ang Lee ("Das Hochzeitsbankett", fd 30 467; "Eat Drink Man Woman", fd 30 959) eine ungewöhnliche Wahl für einen derartigen Stoff sein, aber die Entscheidung für ihn erweist sich als besonderer Glücksgriff. In dem historischen Frauenroman hat Ang Lee seine eigenen Themen wiedergefunden. Die Rituale und Konventionen, die Konflikte zwischen Generationen, die unausgesprochenen Absichten und Gefühle standen auch in seinen bisherigen Filmen über die chinesische Gesellschaft im Mittelpunkt. So hat er aus dem Film kein Leinwand-Museum des 18. Jahrhunderts gemacht, in dem man die schönen Kostüme und herrschaftlichen Bauten bewundert, aber zu den Figuren auf Distanz bleibt, es gelingt ihm vielmehr, die für den heutigen Zuschauer nachvollziehbaren Bezüge herauszuarbeiten: den Konflikt zwischen Vernunft und Gefühl, die Zwänge, die durch gesellschaftliche Regeln und Rituale auferlegt sind, die menschlichen Werte wie Aufrichtigkeit, Selbstlosigkeit oder Treue. "Sinn und Sinnlichkeit" ist der seltene Glücksfall eines Kostümfilms, der sich nicht in Äußerlichkeiten verliert, sondern thematische Tiefe mit den Attraktionen für das Auge überzeugend verbindet. Der Film schwelgt förmlich in grandiosen Landschaftspanoramen und dem faszinierenden Anblick englischer Landsitze. Überdies bietet er eine hochkarätige Besetzung, die mit der glänzenden Emma Thompson als Elinor und der nicht minder eindrucksvollen Kate Winslet als Marianne ein Schwesternpaar im Mittelpunkt hat, das direkt aus Jane Austens Welt zu kommen scheint. Weniger subtil als die Hauptfiguren werden die Nebenfiguren gezeichnet, die vorwiegend komische Käuze sind, aber als Typen ihre Wirkung nicht verfehlen. In der Schauspielerriege ist eigentlich nur der unbeholfen agierende Star Hugh Grant ein Schwachpunkt, der aber durch die anderen Männerrollen, Alan Rickman als Colonel Brandon und Greg Wise als Willoughby, wettgemacht wird, die im Mittelteil dominieren. "Sinn und Sinnlichkeit" spricht Verstand und Gefühl an, verbindet tiefergehende Denkanstöße mit kulinarischem Genuß, kein revolutionäres Kino, aber ein Kino in bester Tradition, das man gerade in einer Zeit, in der die Faszination das Abstrusen und Gewalttätigen sich in pessimistischen Visionen der Gesellschaft auf der Leinwand verdichtet, als willkommenen Lichtblick besonders schätzt.