Eine mondäne Villa am Rande eines kleinen Insel-Ortes. Nach einem - für den Zuschauer nur akustisch wahrnehmbaren - Streit mit ihrer Haushälterin Dolores stürzt die seit Jahren pflegebedürftige Vera Donovan die Treppe hinunter. Als Dolores mit erhobenem Nudelholz vor der am Boden liegenden alten Frau steht, wird sie vom Postboten überrascht. Für Detektiv John Mackey ist die Sache klar: Dolores hat die Millionärswitwe umgebracht. Bestärkt wird er in seinem Verdacht durch die Tatsache, daß Vera in ihrem Testament Dolores als Alleinerbin eingesetzt hat, und durch einen Vorfall, der sich vor 20 Jahren ereignete. Damals ermittelte er gegen Dolores, deren Mann Joe durch einen mysteriösen Unfall ums Leben gekommen war. Die Anklage wurde mangels Beweisen niedergeschlagen und blieb der einzige schwarze Fleck auf Mackeys makelloser Aufklärungsliste: 85 von 86 Mordfällen hat er bisher gelöst. Im Zuge der erneuten Ermittlungen gegen Dolores glaubt er, diese "Altlast" aufarbeiten zu können. Unterstützung erhofft er sich von Dolores' Tochter Selena, die sich nach dem Tod ihres Vaters ihrer Mutter entfremdet und seit Jahren keinen Kontakt mit ihr hatte. Mit der Nachricht über die Verhaftung von Dolores lockt er Selena auf die Insel. Bis sie dem Untersuchungsrichter vorgeführt wird, darf Dolores mit Selena nach Hause. An diesem Wochenende erfährt Selena nicht nur die Wahrheit über Veras Tod, sondern auch über den "Unfall" ihres Vaters. Durch die Auseinandersetzung mit ihrer Mutter und beider Vergangenheit stellt sie sich endlich auch den belastenden Erinnerungen an Joe, der sie als Kind sexuell mißbraucht hatte. Am Ende wird Mackey zwei vermeintliche Minuspunkte mehr in seiner Bilanz haben.Drehbuchautor Tony Gilroy erweitert die als "Monolog eines Geständnisses" konzipierte Romanvorlage um die Figur der erwachsenen Selena und verlagert so das Hauptgewicht der Handlung auf die Aufarbeitung der Mutter-Tochter-Beziehung. Regisseur Taylor Hackford setzt dieses Motiv geschickt um, hütet sich aber, das Psycho-Drama in ein kammerspielartiges Zwei-Personen-Stück abgleiten zu lassen. Schon die ersten Einstellungen, optimal das CinemasScope-Format ausnutzende Kamerafahrten, öffnen die Räume und entführen den Zuschauer in die ungastliche Winterlandschaft der kleinen Insel vor der Nordwestküste der USA. Die kalten blauen Farben und die in diffuses Licht getauchten Bilder korrespondieren sowohl mit der kalten Außenwelt als auch der emotionalen Kälte zwischen Dolores und Selena, während die Rückblenden die scheinbar glückliche Vergangenheit mit lichtdurchfluteten Pastellfarben malen, die in irritierendem Kontrast zur Seelenlage der Figuren stehen. Hackford verharrt aber nicht wie zu Beginn seiner Regie-Karriere in vordergründiger Opulenz und glatter Routine. Nach einer vierjährigen Phase als Produzent (u. a. für Alan Rudolph) hatte Hackford mit der Gang-Ballade "Blood in, Blood out"
(fd 30 240) bewiesen, daß er sein handwerkliches Können mit Inhalten zu füllen versteht. Dieser Reifeprozeß setzt sich in "Dolores" fort, wobei ihm sicherlich auch die ausgezeichneten Schauspieler zugute kommen. Kathy Bates, unterstützt durch eine Maske, die sie wie natürlich um 20 Jahre altern läßt, spielt eindringlich eine vom Schicksal gebeutelte Frau, die mit schon masochistischer Geduld ihren gewalttätigen Mann und später ihre tyrannische Arbeitgeberin erträgt, um die letzten Reste eines trügerischen Familienglücks zu retten. Kathy Bates' auch in exzessiven Szenen noch verhaltenes Spiel steht in wohltuendem Kontrast zu dem doch etwas opernhaft überziehenden David Strathairn. Fingerspitzengefühl beweist Hackford bei der Behandlung des Themas "sexueller Mißbrauch", das er optisch nur in dezent angedeuteten Szenen darstellt, die psychischen Spätfolgen an Selenas Verhalten aber vor Augen führt. Jennifer Jason Leigh bringt diese Verformungen und Verletzungen Selenas schauspielerisch mit kleinen Gesten und Blicken auf den Punkt. Schauspielerische Kabinettstückchen auch die von Haßliebe geprägten Auseinandersetzungen zwischen Dolores und Vera und Selenas Begegnungen mit dem sich ausgetrickst fühlenden Mackey. Ausgezeichnet Christopher Plummer und die Engländerin Judy Parfitt, die, spät entdeckt, eine große, alte Dame des Film zu werden scheint.