Drama | USA 1993 | 90 Minuten

Regie: David Mamet

Ein unbescholtener Dozent wird von einer Studentin der sexuellen Belästigung bezichtigt, wodurch ihm nach und nach der Boden unter den Füßen entzogen wird. Der Konflikt entlädt sich in einer Gewalttat. Die eindringliche Verfilmung eines Theaterstücks, das sich mit Machtmißbrauch und Machtstrukturen sowie der Ohnmacht auseinandersetzt und den Prozeß beschreibt, wie sich Machtverhältnisse ins Gegenteil verkehren können. Der dichte Film lebt ganz von der Präsenz der beiden vorzüglichen Darsteller. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
OLEANNA
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Bay Kinescope
Regie
David Mamet
Buch
David Mamet
Kamera
Andrzej Sekula
Musik
Rebecca Pidgeon
Schnitt
Barbara Tulliver
Darsteller
William H. Macy (John) · Debra Eisenstadt (Carol)
Länge
90 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
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Diskussion
Für John, Dozent an einer philosophischen Fakultät, läuft alles bestens. Er sieht seiner Berufung zum Professor auf Lebenszeit entgegen, gerade ist sein erstes Buch erschienen, der lang geplante Hauskauf scheint nun Wirklichkeit zu werden. Carol hingegen, eine schüchterne Studentin aus einem seiner Kurse, hat einen schweren Stand. Sie plagen Versagensängste, sie fühlt sich einsam und den Anforderungen der Universität nicht gewachsen. In ihrer Not sucht sie bei John Rat. Der ist zunächst ungehalten, versucht er doch, den Hauskauf telefonisch voranzutreiben; doch dann nimmt er sich Zeit für seine Schülerin, geht auf sie ein. Dabei ist er manchmal jovial-arrogant, manchmal pädagogisch-argumentativ, doch immer auch ein wenig gehetzt und unter Zeitdruck. Am Ende versichert er der verunsicherten Frau, daß sie in seinem Kurs keinesfalls durchfallen werde. Darüber hinaus bietet er ihr Privatstunden an, was für ihn scheinbar ganz normal ist. Carol hingegen verläßt die Sprechstunde zutiefst verwirrt.

Das nächste Gespräch führt John herbei. Carol hat ihn beim Untersuchungsausschuß der Universität wegen sexueller Belästigung angezeigt. Das Verfahren läuft und droht, seine Karriere zu gefährden. Zunächst glaubt er, es handele sich um ein Mißverständnis, das mit sachlichen Argumenten aus dem Weg zu räumen ist, doch im Laufe des Gesprächs verhärten sich die Fronten. Carol besteht auf ihrer Lesart der Ereignisse, fühlt sich sicher, gewinnt zusehends an Boden, zumal sie eine ominöse Gruppe erwähnt, deren Sprecherin sie ist. Mehr und mehr wird John in die Ecke gedrängt und verliert die Beherrschung. Mit Lautstärke und nicht mit Argumenten will er verlorenes Terrain zurückgewinnen und begreift bestenfalls intuitiv, daß er sich damit um Kopf und Kragen redet. In seiner Verzweiflung und Panik faßt John die junge Frau bei den Armen, schüttelt sie ein wenig, wie, um sie zur Vernunft zu bringen.

Der Psycho-Kampf der beiden findet seine Fortsetzung, als sich Carol verhandlungsbereit erklärt, zugleich jedoch eine Liste wissenschaftlicher Bücher vorlegt, die nach Meinung ihrer Gruppe auf den Index gehören: unter ihnen auch Johns Lehrbuch. Die Debatte wird heftiger und eskaliert. John, der ständig mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn in telefonischem Kontakt steht, erfährt, daß Carol ihn eines Vergewaltigungsversuchs bezichtigt hat. Der Dozent sieht rot, greift zu körperlicher Gewalt und stellt sich nun völlig ins Abseits. Fast scheint es, als wolle er seine Studentin erschlagen. Erst im letzten Augenblick kommt er zur Besinnung, aber zu spät: seine Karriere und sein Privatleben sind zerstört, Trümmer soweit das Auge schaut, das verwüstete Studierzimmer ist die äußere Entsprechung des seelischen Zustandes.

Bei "Oleanna" führte der Bühnenautor David Mamet zum ersten Mal bei der Verfilmung eines eigenen Theaterstücks Regie. Er beläßt es bei der Einheit von Ort und Zeit, bleibt der Struktur des klassischen Dreiakters treu, wobei die Pausen zwischen den Wortgefechten durch kurze Szenen überbrückt werden, die zeigen, wie die Auseinandersetzung bei John nachwirkt, wie sehr sich der zunächst penible, selbstbewußte Mann vernachlässigt und ins Abseits gedrängt wird. Kein äußerer dramatischer Effekt setzt diese Zeichen, sondern sind es kleine Veränderungen in der seelischen Befindlichkeit des Protagonisten. Vor dem Hintergrund der in den USA erbittert geführten Debatte um "political correctness" beschreibt Mamet das Paradoxon jeder klassischen Tragödie: egal, wie man sich verhält, man tut immer das Falsche. Dabei geht es gar nicht um sexuelle Belästigung im engen Sinne, es geht um die Darlegung von Machtstrukturen und -Verhältnissen, von Ohnmacht und davon, wie rasch sich die Verhältnisse unter gesellschaftlichem Druck wandeln können. Wobei Macht auch immer etwas mit Sexualität zu tun hat, ohne einen explizit sexuellen Kontext schaffen zu müssen.

An einer der Schlüsselstellen des Films schreibt John die Worte "Fear" (Angst) und "Angry" (zornig) auf eine Tafel, um Carol den Zustand zu beschreiben, in dem sie sich befindet. Er weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie verängstigt und wütend sie ist, mehr noch, er glaubt sich weit darüber erhaben, jemals selbst diesem Kreislauf ausgesetzt zu sein. Doch bereits hier bekommt sein Weltbild feine Risse, in die Carol ihre Keile treiben wird. "Olenna" ist ein sehr dichter, konzentrierter Film, der den beiden hervorragenden Darstellern einen wahren "Parforce"-Ritt abverlangt. Beide gehen in der Aufgabe der gegenseitigen Zerstörung auf, ihr Spiel unterstreicht die zerstörerische Eigendynamik, die der Demontageprozeß in Gang gesetzt hat. Ein ebenso interessanter wie wichtiger Film, der nicht so sehr ein Täter-Opfer-Verhältnis zum Thema hat, sondern eigentlich nur Opfer der bestehenden oder sich wandelnden Verhältnisse zeigt. Ein Film allerdings auch, der eine männliche und eine weibliche Lesart zuläßt und Anlaß für Diskussionen bieten wird. (Um diese zu versachlichen, hat der Verleih 2500 exzellent gestaltete Pressehefte an Schulen und Lehreinrichtungen verschickt, wo die eigentlichen Adressaten des Films zu finden sind, die eventuell bereits mit dem Thema Erfahrungen gemacht haben.)
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