Dokumentation über den berühmt-berüchtigten "Miethai" Günter Kaußen, der aus dem Nichts heraus eines der größten bundesdeutschen Immobilien-Unternehmen aufbaute. Sein Geschäftsgebahren entsprach dabei allen negativen Vorurteilen, die mit dieser Branche verbunden werden. 1985 nahm sich Kaußen das Leben. Ein aufregendes Zeitbild der 60er bis 80er Jahre, das auch als Lehrstück über den real existierenden Kapitalismus funktioniert und deshalb hochaktuell ist. Dabei wird hinter dem Egomanen und Ekel auch ein Mensch sichtbar, ohne daß dessen Tun gutgeheißen würde.
- Sehenswert ab 16.
Ich bin nicht Gott, aber wie Gott
Dokumentarfilm | Deutschland 1994 | 90 Minuten
Regie: Claus Strobel
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 1994
- Produktionsfirma
- Studio Hamburg/WDR/NDR
- Regie
- Claus Strobel
- Buch
- Claus Strobel
- Kamera
- Dragan Rogulj
- Musik
- Achim Hagemann · Betti Hagemann
- Schnitt
- Ariane Traub
- Darsteller
- Hermann Lause (Günter Kaußen)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Günter Kaußen (Jahrgang 1928) hatte in weniger als 15 Jahren aus dem Nichts heraus eines der größten bundesdeutschen Immobilien-Unternehmen aufgebaut. Unter welchen Begleitumständen sich eine derartige Expansion vollzog, läßt sich denken. Tatsächlich steht sein Geschäftsgebahren prototypisch für eine letztlich menschen verachtende Mischung aus unternehmerischer Intelligenz und aggressivem Willen zur Macht. Selbst seine Kollegen aus der Immobilienbranche wollten Kaußen nicht in ihrem Berufsverband wissen. Exmillierungen und Mahnungen (oft ohne rechtliche Legitimation), Vernachlässigung der Bausubstanz, Leerstand zu Spekulationszwecken und massenweise Unterbringung ausländischer Arbeitnehmer auf engstem Wohnraum standen im Hause Kaußen auf der Tagesordnung. Teils klug taktierend, teils mit rabiater Rücksichtslosigkeit verstand er es, Gesetzeslücken zu nutzen bzw. Bestimmungen (wie die Steuervorteile bei der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder die Absetzbarkeit von Osten für leerstehenden Wohnraum) in seinem Sinne zu instrumentalisieren. Juristisch war er kaum dingfest zu machen; Musterprozessen versuchte er in der Regel durch Vergleiche auszuweichen. Scheu vor der Öffentlichkeit war ein weiteres Merkmal Kaußens: obwohl er den Alltag von Tausenden wesentlich tangierte, war seine Person in den Medien nicht publik. Außer einigen unscharfen Papirazzi-Aufnahmen gibt es keinerlei Bildmaterial. Eine merkwürdige Melange aus Selbstinszenierung und Spurenverwischung, die nicht gerade zur filmischen Aufarbeitung einzuladen scheint.Zehn Jahre nach dem Selbstmord des "Miethais" hat sich Claus Strobel dennoch des Falles angenommen. Sein Filmessay, dessen Titel auf ein verbürgtes Zitat Günter Kaußens zurückgeht, sammelt Aussagen seiner Kommilitonen, Mitarbeiter, Konkurrenten sowie Opfer und strukturiert diese durch kurze Spielszenen. Hermann Lause agiert hier ausschließlich in Soloparts, in wunderbar schneidender, scharf akzentuierter Weise, wie man sie zuletzt nur bei Alfred Edel erlebt hat. Es sind auch diese kurzen szenischen Einsprengsel, die Strobels Essay zum aufregenden Erlebnis werden lassen. In Verbindung mit den sorgfältigen Recherchen und den vorurteilsfreien Befragungen gelingt es, ein bundesdeutsches Zeitbild der 60er bis 80er zu entwerfen, das zugleich ein hochaktuelles Lehrstück über den real existierenden Kapitalismus ist. Kaußen habe "unserer Gesellschaft mehr geschadet, als eine Gruppe von Terroristen", bemerkt einer der Gesprächspartner. Aber der Unternehmer steht auch für das von Marx diagnostizierte anarchische Moment des Marktes, das in hohem Grade unberechenbar ist und sich in seiner blinden Expansionswut gegebenfalls sogar gegen sich selbst richtet. Tatsächlich drehte sich das Spekulationskarussell immer schneller, entzog sich offenbar zunehmend jeder rationalen Kontrolle. Spätestens nachdem Versuche gescheitert waren, in den Vereinigten Staaten geschäftlich Fuß zu fassen, dort sogar ein Haftbefehl auf ihn ausgestellt worden war, lief auch die deutsche Stammfirma aus dem Ruder. An dieser Stelle fällt der Vergleich zu Edward Dmytryks Film "Die Caine war ihr Schicksal" - alle Beteiligten wußten um die unmittlebar bevorstehende Katastrophe, doch im Gegensatz zur "Caine" gab es im Unternehmen Kaußens niemanden, der dem "Kapitän" hätte Einhalt gebieten können. Strobels Spannungsbogen mündet wirkungsvoll in dieser Apotheose: aus dem Phantom, das Günter Kaußen zu Beginn des Films ist, schält sich nach und nach eine differenzierte Persönlichkeit. Wie durch ein Wunder wird hinter dem Ekel und Egomanen, der der Spekulant ohne Zweifel war, ein Mensch sichtbar - ohne daß der Film deshalb dessen Tun gutheißen würde. Zu Recht war "Ich bin nicht Gott, aber wie Gott" als einzige Dokumentation 1995 für den Deutschen Filmpreis nominiert worden.
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