Dokumentarfilm über den legendären Comic-Zeichner Robert Crumb. Ein auf der Grundlage eines persönlichen Vertrauensverhältnisses entworfenes intensives, fast privates Porträt einer widersprüchlichen Künstlerpersönlichkeit, die hinter Sarkasmus und beißender Selbstironie ein verletzbares Wesen verhüllt. Parallel dazu formt sich das plastische Bild einer ganzen Epoche, ohne in Mythenbildung zu verfallen. Der Film verzichtet auf Versuche, die Ästhetik der Comics in filmische Sehkonventionen zu übersetzen. (O.m.d.U.)
- Sehenswert.
Crumb
Dokumentarfilm | USA 1994 | 119 Minuten
Regie: Terry Zwigoff
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Filmdaten
- Originaltitel
- CRUMB
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1994
- Produktionsfirma
- Superior Pictures
- Regie
- Terry Zwigoff
- Buch
- Terry Zwigoff
- Kamera
- Maryse Alberti
- Musik
- David Boeddinghaus
- Schnitt
- Victor Livingston
- Länge
- 119 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Robert Crumbs Comics gehören seit Ende der 60er Jahre zu den elementaren Ikonen der Pop-Kultur. Die surrealen Abenteuer seiner von sexuellen Obsessionen geplagten Helden. deren animalische Instinkte sich gegen jeden und alles richten, damit letztlich gegen sich selbst, landeten immer wieder auf dem Index. Die ständig wachsende Fan-Gemeinde stört sich freilich nicht an diversen Schockmomenten in den Werken ihres Meisters; wohl eher im Gegenteil. Erst 1990 ließen "The Modernism Gallery" in San Francisco und "The Museum of Modern Art" in New York dem Schaffen Crumbs offizielle Würdigung zuteil werden. Dies zeigt auch, wie schwer sich die Gralshüter der Hochkultur bei der Akzeptanz einer Kunstgattung tun, die mit dem Geruch von Unterhaltung und Skandal behaftet ist. Solcherart Ressentiments begegnen dem Comic noch in stärkerem Maße als dem Kino.Comic und Kino - beide sind 1995 hundert Jahre alt geworden, beide verkörpern in der Art ihrer Herstellung und Verbreitung, aber auch durch die von ihnen behandelten Themen den Geist des 20. Jahrhunderts. Merkwürdig, daß auf dieses doppelte Jubiläumsjahr kaum im Zusammenhang eingegangen wird. Zumindest Regisseur Terry Zwigoff ist mit "Crumb" eine aufregende und höchst informative Hommage gelungen. Sein Film war auch einer der wenigen unangefochtenen Höhepunkte auf der sonst eher betrüblichen "Berlinale" 1995.Zwigoffs Unternehmen verdankt viel dem Umstand, keine voyeuristische oder spekulative Perspektive auf seinen Gegenstand zu entwerfen. Zwigoff kennt Robert Crumb und dessen Familie seit mehr als 25 Jahren, sein Blickwinkel ist also geradezu privat, fast intim. Sechs Jahre lang sammelte er Material, setzte in einem Puzzle aus Gesprächen mit Crumb selbst, seinen Kollegen, Freunden und Frauen Stück für Stück das Porträt einer schillernden, aber sehr scheuen, verletzbaren Persönlichkeit zusammen. Gleichzeitig formt sich das plastische, dabei wohltuend nüchterne Bild einer ganzen Epoche. Mythen werden niemals beschworen - selbst wenn legendäre Namen wie die von Janis Joplin (Crumb entwarf das Cover ihrer ersten Platte "Cheap Thrills") oder der von den Rolling Stones (Crumb verwarf ein Angebot von 100 000 $) fallen. Crumb selbst berichtet über sein Leben geradezu beiläufig, in einer mitunter beißenden Selbstironie; er macht dank dem Vertrauensverhältnis zu Zwigoff auch vor sehr persönlichen Details nicht halt.Eine formale Schwierigkeit für das Filmprojekt bestand in der ästhetischen Beschaffenheit von Comics schlechthin. Wie sind starre Bilder, deren Sinn und Witz sich erst in ihrer Abfolge ergeben und die noch dazu mit Schriftzügen versehen sind, filmisch adäquat darstellbar? Konsequent verzichtet Zwigoff auf jeden Versuch, Crumbs Comics filmischen Sehkonventionen unterzuordnen oder ihre Pointen nachzuerzählen. Die Verfilmlung von "Fritz the Cat (fd 18 224) von 1971 scheiterte genau an dieser Anmaßung; Crumb ärgert sich bis heute, daß er einst die Rechte an Ralph Bakshi verkauft hat. Terry Zwigoff will natürlich etwas ganz anderes. Er bringt die Comic-Strips meist als Einzelbilder in Großaufnahmen auf die Leinwand und betont so ihre zeichnerische Qualität. Ihr Geheimnis aber, das sich nur im eigenen Medium mitteilt, bleibt gewahrt. Im übrigen erzählt der Film auf anderen Ebenen seine eigene, viel spannendere Geschichte.Neben der Fülle des zeitgeschichtlichen und kulturhistorischen Materials verblüfft "Crumb" vor allem durch die Beleuchtung der biografischen Hintergründe des Künstlers. 1943 in Philadelphia geboren, wuchs er neben vier Geschwistern unter seinem despotischen Vater, Ex-Marinsoldat und Alkoholiker, und der tablettenabhängigen Mutter auf. Die großen und kleinen Tragödien, die sich im typischen Mittelklasse-Reihenhaus abgespielt haben müssen, werden nur angedeutet, die Tiefe ihrer Wunden läßt sich jedoch erahnen. Als minderbemittelt abgestempelt zieht Robert durch die Vororte, bettelt in den Negerhütten um alte Schallplatten (der Grundstock für seine wertvolle Sammlung seltener Jazz-. Blues- und Ragtime-Scheiben) und beginnt im Alter von sieben Jahren zu zeichnen. Auch seine Brüder Charles und Max wetteifern mit ihm im nun unablässigen Entwerfen immer neuer Comic-Serien. Charles und Max treten ebenfalls im Film auf, einige ihrer Zeichnungen sind zu sehen - sie erweisen sich als ebenso begabt wie Robert. Irgend etwas verhinderte, daß sich bei ihnen das Ventil rechtzeitig öffnete. (Robert datiert das eigene künstlerische coming out auf den Erstkonsum von LSD.) Charles nahm sich noch während der Dreharbeiten das Leben, Max lebt als Asket in San Francisco, schluckt zur Kasteiung meterweise Schnüre und schläft auf einem Nagelbrett, zeichnet sogar hin und wieder noch; doch verschließen sich seine Arbeiten inzwischen jeglichem Zugang. Robert Crumbs Schwestern verweigerten sich von vornherein jedem Gespräch. Eine Familie, die einem David-Lynch-Film entstiegen sein könnte. Folgerichtig kam Lynch dem Projekt in seiner letzten kritischen Phase zu Hilfe und sprang mit Geld für dessen Fertigstellung ein. Crumb zog unlängst mit Frau und Tochter nach Südfrankreich. Einerseits wünscht man ihm, er möge endlich zur Ruhe kommen, andererseits hofft man, daß er noch über genug neurotische Reserven verfügt, die sich in neuen Comics sublimieren können.
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