Drama | Deutschland/Argentinien 1993/94 | 108 (Orig. 115) Minuten

Regie: Jeanine Meerapfel

Ein achtjähriger Junge flieht mit seinem Vater aus Argentinien, nachdem die Militärjunta seine Mutter verschleppt hat. Auf ihrer hindernisreichen Reise wachsen die beiden zusammen und finden schließlich in Ecuador eine neue Heimat. Was als anrührende Beschreibung einer Vater-Sohn-Beziehung unter einer Militärdiktatur beginnt, verliert sich zunehmend in folkloristischen Beschreibungen und politischen Exkursen, deren Ironisierung durch eine unbeholfene Inszenierung und chargierende Nebendarsteller eher lächerlich wirkt. So verschenkt der Film viel von seinem Thema: der Bedeutung von Heimat und Exil und der Angst in einer Diktatur. - Ab 14.
Zur Filmkritik filmfriend

Filmdaten

Originaltitel
AMIGOMIO
Produktionsland
Deutschland/Argentinien
Produktionsjahr
1993/94
Produktionsfirma
Malena/Telefilm Saar/Chelko
Regie
Jeanine Meerapfel · Alcides Chiesa
Buch
Jeanine Meerapfel · Alcides Chiesa
Kamera
Victor González
Musik
Osvaldo Montes
Schnitt
Andrea Wenzler
Darsteller
Daniel Kuzniecka (Papá Carlos) · Diego Mesaglío (Amigomio) · Mario Adorf (Großvater) · Debora Brandwajnman (Großmutter) · Christoph Baumann (Christoph)
Länge
108 (Orig. 115) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Die Suche nach Heimat, die Bewältigung von Vergangenheit - diese Themen ziehen sich durch die Filme von Jeanine Meerapfel. Während ihre dokumentarischen Arbeiten ("Im Land meiner Eltern", "Die Kümmeltürkin geht", "Desembarcos - Es gibt kein Vergessen") filmisch dicht und mit gedanklicher Schärfe ihre Sujets behandelten, litten ihre Spielfilme ("Malou" und "Die Verliebten") vor allem an ihren unausgegorenen Drehbüchern, ihrem oft manieristischen Inszenierungsstil und der teilweise unpräzisen Schauspielerführung. Erste Früchte ihrer Zusammenarbeit mit zeigten Alcides Chiesa sich schon in "Die Freundin" (fd 29 135), einer schauspielerisch hervorragend interpretierten Geschichte über die Beziehung zweier Frauen in einer lateinamerikanischen Militärdiktatur. Mit "Amigomio" bleiben die beiden Filmemacher wiederum in vertrauten Gefilden und erzählen eine Geschichte, in die offensichtlich auch autobiografische Erfahrungen eingeflossen sind: Argentinien während der Militärdiktatur. Der achtjährige Amigomio wächst bei seinem Vater Carlos auf, dessen Frau Negra in den politischen Untergrund gegangen ist. Da Carlos wie viele Akademiker arbeitslos ist, hat er viel Zeit für seinen Sohn, der sich dennoch nach einem geordneten Zuhause sehnt. Als Negra von den Häschern der Junta verschleppt wird, rät man den beiden, das Land sofort zu verlassen. Eine Reise voller Unwägbarkeiten beginnt, die sie durch Bolivien nach Ecuador führt. In Quito findet Carlos Arbeit bei einem deutschen Unternehmen, lernt eine ebenfalls aus Argentinien geflohene Frau kennen und richtet es sich in der neuen Heimat ein. Als nach Jahren Argentinien von der Militärherrschaft befreit wird, will er nach Hause zurückkehren, stößt dabei aber auf den Widerstand Amigomios, der sich mittlerweile als Ecuadorianer fühlt.

Mit anrührender Zärtlichkeit schildert der Film zu Beginn die Beziehung zwischen Carlos und Amigomio, läßt teilhaben an einem aus den Umständen geborenen Zusammenwachsen. Und genauso "lautlos" wie die ständig vorbeifahrenden Polizeiautos, schleicht sich allmählich die Angst in ihr Zusammenleben ein; die Angst, die Mutter, die Familie, die Heimat, die Freunde zu verlieren. In diesem Spannungsfeld entwickelt der Film eine Intensität, die betroffen macht. Erst als der "Startschuß" zu ihrer Flucht fällt, verläßt der Film diese Qualität und verzettelt sich immer mehr; folkloristische Elemente stehen dann fast übergangslos neben ethnologischen Beschreibungen, abenteuerliche Begebenheiten wechseln mit pädagogischen und politischen Exkursen ab. Gelingt es den Autoren noch, die Szene, als Carlos seinem Sohn die politischen Verhältnisse kindgerecht zu erklären versucht, stimmig zu gestalten, so gerät ihnen die (ironisch gemeinte) Diskussion bolivianischer Bauern in einem Anden-Bus über Karl Marxs Klassenkampftheorien zu einem peinlichen "Agitprop-Kasperletheater". Auch die Figur des als "running gag" durch den Film geisternden "Gringos" Christoph, eines Predigers gegen den Kapitalismus, wirkt vor allem durch die Besetzung mit einer "Knallcharge" eher peinlich bis lächerlich. Hier verspielt der Film viel von seinem anfangs aufgebauten Kredit, auch wenn die in stimmungsvollen Bildern schwelgende Kamera immer wieder von den Schwächen der Inszenierung ablenkt.

Der Epilog in Ecuador läuft dann im "Schnelldurchlauf" vorbei, läßt keinerlei Zeit, sich mit den Bedürfnissen von Vater und Sohn auseinanderzusetzen, zumal der Film dem Zuschauer auch verwehrt, sich auf den nun von einem anderen Schauspieler dargestellten Amigomio einzulassen. Der aufbrechende Konflikt um die jeweilige Heimat hätte genug Stoff für einen eigenen Film hergegeben und wirkt in der hier abgehandelten Kürze genauso aufgesetzt wie die in monochromen Farben eingeschobenen Rückblenden aus dem Emigrantenleben von Carlos' Eltern, aus dem auch nur Schlagworte ("preußische Art") im Gedächtnis bleiben, das aber dramaturgisch nie schlüssig mit dem Schicksal des Sohnes korrespondiert. Die deutsche (Film-)Untugend, zuviel Probleme in eine Geschichte zu packen, setzt sich so letztlich gegenüber jener sensiblen südamerikanischen Filmsprache durch, die Menschen beobachten und Bilder statt Worte sprechen lassen kann.
Kommentar verfassen

Kommentieren