Die kleine Apokalypse

Komödie | Frankreich/Italien/Polen 1992 | 112 Minuten

Regie: Constantin Costa-Gavras

Ein erfolgloser Schriftsteller aus Polen, dem seine französischen "Freunde" Selbstmordabsichten unterstellen, wird zum Spielball in einem menschenverachtenden Plan: Wenn schon Selbstmord, dann soll er ihn dem Werbeeffekt seiner Bücher wegen doch medienwirksam begehen. Aberwitz und Zufälle führen in der tiefschwarzen Komödie zu einer Abrechnung mit den Erscheinungen einer Zeit, die ihre Ideale verloren und sich einem menschenverachtenden Pragmatismus verschrieben hat. Überzeugende Darsteller und die geschickt angelegte Dramaturgie machen die Abgründe der Geschichte im Rahmen einer absurden Komödie glaubwürdig. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LA PETITE APOCALYPSE
Produktionsland
Frankreich/Italien/Polen
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
K.G. Productions/Nickelodeon/Heritage
Regie
Constantin Costa-Gavras
Buch
Jean-Claude Grumberg · Constantin Costa-Gavras
Kamera
Patrick Blossier
Musik
Philippe Sarde
Schnitt
Joële van Effenterre
Darsteller
Jirí Menzel (Stan) · André Dussollier (Jacques) · Pierre Arditi (Henri) · Anna Romantowska (Barbara) · Maurice Bénichou (Verleger)
Länge
112 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Komödie | Literaturverfilmung
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Diskussion
Was bleibt einem Regisseur, dessen gutgemeinte Polit-Thriller ("Z", "Missing", "Betrayed") stets linksliberale (manchmal etwas seichte) Botschaften und Überzeugungen ausdrückten, nach dem Kollaps des osteuropäischen Kommunismus? Wie soll der Kämpfer für eine bessere Welt angesichts des triumphierenden politischen Gegners mit seinen alten Idealen umgehen? Manch einer findet sich da einem geistigen Scherbenhaufen gegenüber. Neue Realitäten fordern Revisionen und Neuanfänge. Der aus Griechenland stammende französische Regisseur Costa-Gavras flüchtet in die (selbst-)ironische Distanz -und damit in eine tiefschwarze Komödie.

Jacques und Henri haben ihre 68er-Zeit schon weit hinter sich gelassen: "Wir lagen falsch, aber wir hatten unseren Spaß." Politische Überzeugungen sind einem Pragmatismus gewichen, der buchstäblich über Leichen geht. Sein Opfer wird Stan, der Ex-Mann von Henris Frau Barbara. Stan, ein schriftstellernder, recht skurriler Emigrant aus Polen, lebt schon seit einiger Zeit in Paris im Haus von Barbara und Henri und ist betrübt, daß er keinen Verleger findet. Als Jacques und Henri ihn nach einem häuslichen Unfall mit einem Kabel um den Hals finden, rechnen sie nicht mit Stans schwarzem Humor, sondern betrachten ihn als potentiellen Selbstmörder.

An diesem Punkt setzen Costa-Gavras und sein Co-Autor Grumberg eine Komödie in Gang, die leichtfüßig mit zwei wesentlichen Elementen des Genres spielt: Aberwitz und Zufall setzen die Logik außer Kraft und brechen einer unglaublichen Geschichte Bahn. Jacques und Henri beschließen nämlich, Stan endlich zu einer Veröffentlichung zu verhelfen. Was als freundliche Geste beginnt (Andre Dusollier als gefühlsduseliger Jacques bricht darüber sogar ständig in Tränen aus), endet aber in dem menschenverachtenden Plan eines geschäftstüchtigen Verlegers. Da er keinen Markt für einen polnischen Autor vermutet, schlägt er vor, Stan möge sich doch, wenn er schon lebensmüde sei, öffentlich ("aus Protest") verbrennen. Danach würden seine Bücher mit Sicherheit zu einem Hit. Alles frei nach dem Motto: Hat das Leben eines Menschen keinen Sinn, dann vielleicht immerhin sein Tod. Stans "Freunde" sind begeistert, und der naive (aber nicht dumme) Anti-Held geht vorerst auf das Angebot ein, denn soviel Aufmerksamkeit wurde ihm noch nie geschenkt. In Rom, während einer Konferenz des Papstes mit Politikern und den Armen der Welt, soll die große, streng geheime Selbstverbrennungsaktion starten. Aber bis alles generalstabsmäßig geplant ist, macht Stan, der zur willenlosen Marionette zu werden droht, noch eine Menge neuer Erfahrungen. Wie Kaurismäkis Lebensmüder in "I Hired a Contract Killer" (fd 28 801) - der sich wie so viele andere Filme auf den berühmten Stoff von Jules Verne bezieht -, sieht er plötzlich die Welt mit anderen Augen. Sogar das Leben eines alten Schriftstellerkollegen, der nun statt von Ideologien schlicht von Mozzarella schwärmt und sein Geld als Scheibenwischer auf der Straße verdient, erscheint ihm als eine Alternative.

Wenn schließlich auf dem Petersplatz gleich an mehreren Stellen Feuer lodern, weil auch andere auf diese Art des "Protests" (und seiner Vermarktung) kamen, schlägt die satirisch-kritische Haltung vorübergehend in blanken Sarkasmus um. Costa-Gavras rechnet gleich mit mehreren Heucheleien unserer Zeit ab (in einem Text spricht er in diesem Zusammenhang von der "Obszönität des All-tags"). Die menschenverachtende Sensationsgier der Medien wird genauso bloßgestellt wie Inszenierungen der Armut als folkloristische Erscheinung, Macht der Bürokratie und inhumane Medizin (in Gestalt eines Wissenschaftlers, der den Schmerz abschaffen will). Daß das alles nicht in guten Absichten erstickt wird, liegt an der überzeugenden Konzeption als absurde Komödie. Das Drehbuch (sehr frei nach einem Roman des Polen Konwicki) sorgt nach einem bedächtigen Beginn für eine kontinuierliche Temposteigerung und Dramatisierung der grotesken Verwicklungen. Ein Glücksfall ist die Besetzung der Rolle des Stan mit dem tschechischen Regisseur Jiri Menzel ("Liebe nach Fahrplan", "Lerchen am Faden"): hilf- und orientierungslos gerät Stan in das Komplott, das für und gegen ihn zugleich inszeniert wird. Menzel macht die Figur trotz aller Unwahrscheinlichkeiten glaubwürdig. Bei aller Ergebenheit in sein Schicksal verliert er nie das Maß an Schlitzohrigkeit und Überlebenswillen, das ihm letztlich das Überleben sichert.
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