Drama | Italien/Großbritannien 2025 | 360 Minuten (sechs Folgen)

Regie: Tom Shankland

Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Fürst von Salina lebt ein Leben voller Schönheit und zahlreicher Privilegien. Doch mit der nahenden Wiedervereinigung Italiens steht nicht nur die alte aristokratische Ordnung, sondern auch die Zukunft seiner Familie auf dem Spiel. Es ist die Zeit gekommen, neue Bündnisse einzugehen, die seine eigentlichen Werte untergraben. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
IL GATTOPARDO
Produktionsland
Italien/Großbritannien
Produktionsjahr
2025
Produktionsfirma
Indiana Prod./Moonage Pic.
Regie
Tom Shankland · Giuseppe Capotondi · Laura Luchetti
Buch
Richard Warlow · Benji Walters
Kamera
Nicolai Brüel
Musik
Paolo Buonvino
Schnitt
Clelio Benevento · Alessio Doglione
Darsteller
Kim Rossi Stuart (Don Fabrizio Corbera) · Benedetta Porcaroli (Concetta) · Saul Nanni (Tancredi) · Deva Cassel (Angelica) · Astrid Meloni (Maria Stella)
Länge
360 Minuten (sechs Folgen)
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Literaturverfilmung | Serie
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Eine Historiendramaserie nach dem gleichnamigen Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa um eine Adelsfamilie im Sizilien des 19. Jahrhunderts, die den gesellschaftlichen Umbruch des "Risorgimento" miterlebt.

Aktualisiert am
13.03.2025 - 14:05:01
Diskussion

Das noble Leben ist wesentlich ein In-Spuren-Gehen und vollzieht sich zumeist in den Kulissen allzu großer Häuser, Paläste, Plätze und Kirchen. Handelt es sich wie hier um den alten Adel Siziliens, wird es außerdem gelebt vor der Folie einer grandios-unbarmherzigen Naturlandschaft, die die meisten die Augen zusammenkneifen oder den Blick (nicht immer demütig) zu Boden richten lässt. Nur die im Kern Starken, die Löwen und Leoparden unter den wie natürlich Herrschenden, so lässt sich Giuseppe Tomasi di Lampedusas Roman „Der Leopard“ lesen, halten dem stand – ihrer gleichnishaften Rolle im historischen Augenblick ebenso wie dem Bewusstsein ihrer universalen Nichtigkeit sub specie aeternitatis.

Die alten Verhältnisse geraten ins Wanken

Als ein solcher präsentiert sich Don Fabrizio (Kim Rossi Stuart), Fürst von Salina, auch in der Neuadaption jenes singulären Werkes der Weltliteratur als sechsstündiges Serienepos für Netflix (Buch: Richard Warlow; Regie: Tom Shankland). Eingeführt werden er und die Seinen allerdings als neuzeitliche Version einer Göttergesellschaft mit dem Fürsten als unbeschränktem Herrscher Jupiter inmitten seiner Familie: Gattin Maria Stella (Astrid Meloni), die an die Schwelle des Hauses wie gebannt zu sein scheint, unübersichtlich viele Söhne und Töchter, Neffe Tancredi (Saul Nanni), Ratgeber, Jagdgesellen, Gesinde und Hund. Dies ist nun ersichtlich keine demokratisch verfasste Gesellschaft, sondern eine radikal feudalistische: Fabrizio straft und gönnt nach Belieben, zieht den einen vor, begünstigt die andere. Die Kameraarbeit der Serie verdeutlicht dies visuell durch viele Perspektiven aus dem Sattel von Hoch zu Nieder; nahezu alle Ereignisse und Erwägungen entfalten sich strikt aus der Sicht des Fürsten (sanktioniert durch den Roman).

Wie nun der Firnis dieses Gesellschaftspanorama-Gemäldes allmählich Haarrisse bekommt, die jahrhundertelang verbürgten Verhältnisse erst langsam ins Wanken geraten, dann jäh revolutioniert werden, führt die Serie glanzvoll und über weite Strecken packend vor, und wahrt dabei selbstbewusst Treue zu den wesentlichen Motiven und auktorialen Intentionen Lampedusas. Wo sie kalkuliert davon abweicht, geschieht es aus nachvollziehbaren dramaturgischen Überlegungen heraus, um den in seinem Verlauf immer episodischer, ja fragmentarischer werdenden Roman für die Serienbühne tauglich zu machen. Nur auf den letzten Metern verlassen die Serienmacher ihr Gespür und Geschmack ein wenig, und es wird ein etwas zu sentimentales Finale geboten.

Garibaldi als Katalysator des Wandels

So argumentiert das Drehbuch zu Anfang etwa stimmig, wie das andauernde Machtvakuum im Kleinen und im vom Fürsten aus Desinteresse vernachlässigten Ökonomischen gefüllt und ausgenutzt wird von einer aufsteigenden Klasse, einem dritten Stand zwischen Bauern und Adel, der hier aber nicht etwa nur erwerbsbürgerliches Gepräge trägt, sondern in der diabolischen Figur des chthonischen Landmanns Russo (Francesco Di Leva) deutlich als Vorform der sizilianischen Mafia gezeichnet ist.

Dabei steht im Zentrum auch dieser Adaption die Landung des politischen Revolutionärs und später als Freiheitshelden institutionalisierten Giuseppe Garibaldi auf Sizilien – ein jäher historischer Augenblick, der für alle Figuren auf je eigene Weise katalytischen Charakter annimmt: Der Klerus, hier einmal nicht als Karikatur seines Standes verkörpert durch Pater Pirrone (Paolo Calabresi), fürchtet persönliche Schändung und den Beginn der Herrschaft des Antichristen; der windige Aufsteiger und Geschäftemacher Sedara (Francesco Colella) hofft auf genau dies; Tancredi möchte die Gunst der Stunde nutzen und sich Ruhm und Ehre auf dem Schlachtfeld verdienen. Er ist es schließlich auch, der wie beiläufig jene allzu oft zitierte Sentenz lanciert, die seitdem als Quintessenz des Romans und Credo eines aufgeklärten politischen Konservatismus gilt: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, so muss alles sich ändern.“ (Und Geschichte wiederholt sich doch!)

An Tancredi knüpfen sich die Zukunftshoffnungen

Auch die Töchter des Hauses Salina wittern sittliche Morgenluft, musizieren nun Verdi statt Händel und Mozart aus dem Ancien Régime, und Concetta (Benedetta Porcaroli), sichtlich angetan von ihrem Cousin Tancredi, beginnt ernstlich, das Unmögliche für möglich zu halten … Nur der Leopard verharrt in lauernder Beobachtung. Dabei unterliegt auch er einem Lern- und also Veränderungsprozess, wesentlich in Gang gesetzt durch seine Betrachtung Tancredis, dem er sehr zugetan ist, ja den er zu Beginn wohl als ein liebenswürdigeres Alter Ego ansieht. Dieser politische Hasardeur, der aus sich so etwas wie eine Ich-AG avant la lettre macht, eine Aktie, auf deren steigenden Kurs im historischen Verlauf man wetten kann, erweckt auch in seinem Onkel für Augenblicke das Selbstgefühl eines wirkmächtigen Homo Politicus. Diese Szenen der Begegnung auf dem Höhepunkt der revolutionären Spannung werden taktvoll akzentuiert aus dem Fluss der Serienerzählung herausgehoben: Fabrizio und Tancredi im klandestinen Einvernehmen über den Lauf der Dinge; Tancredi und Concetta, die ihren intimsten Moment synchron zum historischen Augenblick erleben, auf den gestürzten Säulen einer untergegangenen Hochkultur.

Aber die Dinge kommen anders: Zwar wird der junge Kämpfer zum Helden und gefeierten Mann der Stunde, doch entartet er rasch zu einer Ratte politischer Opportunitäten und zu einem „gemeinen Zuhälter“ (Don Fabrizio) seiner ebenso unsentimentalen Gattin Angelica (Deva Cassel), der Tochter Sedaras. Diese vom Romanautor historisch vielleicht etwas ungerecht gezeichnete Figur gewinnt auch hier kein wirkliches Profil (was wie im Falle Claudia Cardinales in der legendären „Der Leopard“-Verfilmung von Luchino Visconti nicht unbedingt nur an den Darstellerinnen liegt).

Lampedusas politisch-historischer Skeptizismus wird stimmig umgesetzt

Dafür gelingt der Serie eine Reihe stimmiger Illustrationen von Lampedusas politisch-historischem Skeptizismus beziehungsweise Pessimismus: Wie die feinen Pariser Rosen in des Fürsten Garten müssten unter der Sonne Siziliens auch die besten Absichten und Aufschwünge alsbald erschlaffen und degenerieren, meint Don Fabrizio. So verkommen in beängstigender Schnelligkeit die neu gewonnene gesellschaftliche Freiheit zu einem turbokapitalistischen Liberalismus der Glücksritter, Demokratie und Parlamentarismus zu der lügenhaften, leicht durchschaubaren Farce eines totalitären 100-Prozent-Votums – und der Modus Vivendi des alten Adels mitunter zu modernem französischem Boulevardtheater. Das Gediegene, Echte, so wird nahegelegt, muss weichen, und das tragische Lebensgefühl der Löwen und Leoparden wird verdrängt von einer von sich selbst berauschten Rührseligkeit …

In Spuren wandelt auch die Serie selbst: Den zweifachen Vergleich mit einem Werk der Weltliteratur sowie mit einem absoluten Klassiker des europäischen Kinos (Viscontis Adaption aus dem Jahr 1963) meistert sie achtbar, streckenweise souverän im Wortsinne, das heißt nicht sklavisch der Nacherzählung und dem Abklatsch verschworen. Der motivischen Komplexität der stark gleichnishaften Geschichte bleibt man kaum etwas schuldig. Die Ausstattung lässt bis in die prächtigen Tableaus der Speisezimmer und Ballsäle nichts zu wünschen übrig, übertreibt das Glamouröse jedoch nicht ins Geschmacklose. Die gewandelte Rolle der Frau(en) im revolutionären Kontext wird vielleicht etwas zu fortschrittsoptimistisch interpretiert und anachronistisch um einige Jahrzehnte zu früh angesetzt; über die historische Glaubwürdigkeit der finalen Szenen lässt sich daher trefflich streiten.

Ein starker Auftritt von Kim Rossi Stuart

Doch ohne einen starken Leoparden lässt sich in diesem Revier keine Beute machen: Kim Rossi Stuart füllt die schwierige Rolle mit Lässigkeit und agiert nahbar auch in Momenten fürstlichen Zorns und Unmuts. Er ist ein wesentlich moderner aufgefasster Göttervater als Burt Lancaster bei Visconti, der insbesondere seine sozialen, familiären Beziehungen sinnlicher hervortreten lässt – seine Liebe zu Concetta und Tancredi, seine Liebe doch auch zu seiner unglücklichen Frau Maria Stella. Womöglich zeigt er nach dem Geschmack Lampedusas zum Ende hin ein wenig zu häufig tränennasse Augen, doch überzeugt er trotzdem als von des Geistes Blässe Angekränkelter ebenso wie als absolutistischer Herrscher hoch zu Ross.

Deutlicher noch als bei Visconti (der immerhin eine „Deutsche Trilogie“ hervorgebracht hat) treten in dieser Produktion die Beziehungslinien des „Gattopardo“ zu germanischen Motivtraditionen hervor: Die „Duette“ von Vater und Lieblingstochter könnten beinahe Wagners „Walküre“ entstammen, ebenso der geopferte Sohn und der Neffe/Enkel als künftiger Heilsbringer, und bei des Fürsten schopenhauerianisch angehauchten Introspektionen gegen Ende mag Thomas Buddenbrook Pate gestanden haben …

„Der Leopard“ ist auch eine Geschichte des Scheiterns: von politischen Projekten, persönlichen Lebensentwürfen, Liebeshoffnungen und ganzen soziokulturellen Formationen. Der Versuch, die Vorlage seriell neu zu erzählen, ist dagegen gelungen. Die kreativ Verantwortlichen haben der Versuchung widerstanden, der historischen Fabel allzu platt zeitgenössische Bezüge abzupressen, und wo diese naheliegen, da stellen sie sich elegant von selbst ein. Und so gelingt dieser Serien-Version bestens, den Romanklassiker fürs heutige Publikum wieder ins Gespräch und zum Sprechen zu bringen.

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