Im Schatten der Träume

Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 2024 | 94 Minuten

Regie: Martin Witz

Von der NS-Zeit bis in die 1960er-Jahre prägten der Komponist Michael Jary (1906-1988) und der Texter Bruno Balz (1902-1988) mit unzähligen (Film-)Songs, die unter anderem Zarah Leander interpretierte, den deutschsprachigen Schlager. Der Dokumentarfilm zeichnet die Biografien der beiden Künstler nach und widmet sich spielerisch-analytisch den komplexen Kompositionen und doppelbödigen Texten hinter den vermeintlich harmlosen Liedern. Mit spannendem Archivmaterial und eloquenten Gesprächspartnern offenbart der Film die Kunstfertigkeit vermeintlich harmloser Unterhaltungskultur und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
IM SCHATTEN DER TRÄUME
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Lichtblick Film/Contrast Film/SRF/ZDF/arte
Regie
Martin Witz
Buch
Martin Witz
Kamera
Till Vielrose
Musik
Sven Kaiser
Schnitt
Stefan Kälin
Länge
94 Minuten
Kinostart
06.02.2025
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Dokumentarisches Porträt | Musikdokumentation
Externe Links
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Spielerisch-analytische Doku über das Duo Michael Jary und Bruno Balz, die von der NS-Zeit bis in die 1960er-Jahren mit ihren (Film-)Songs viele Gassenhauer schufen.

Aktualisiert am
31.01.2025 - 09:42:12
Diskussion

Die bis in die 1960er-Jahre andauernde Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten Michael Jary und dem Liedtexter Bruno Balz hatte ihren Höhepunkt in der NS-Zeit. Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil Jary einst der „entarteten“ Zwölfton-Musik Schönbergs nacheiferte und Balz bereits damals offen schwul lebte, was ihn unter den Nazis öfters in Schwierigkeiten brachte. Der Dokumentarfilm „Im Schatten der Träume“ von Martin Witz, der die Karriere des ungebrochen produktiven Duos Revue passieren lässt, wirft deshalb auch die Frage nach der persönlichen Verantwortung auf. Während andere vor dem Regime ins Ausland flohen oder innerlich emigrierten, feierten Jary/Balz in Deutschland mit Zarah Leander und Gassenhauern wie „Kann denn Liebe Sünde sein?“ oder „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ große Erfolge.

So frech wie frei

„Im Schatten der Träume“ will diesen Zwiespalt nicht auflösen. Ob Jary und Balz sich bei der Ufa mit subtilem Gespür sämtliche Freiheiten und Frechheiten herausnahmen oder doch lediglich Profiteure der NS-Unterhaltungsindustrie waren, will der Film nicht aus einer moralisch hehren und aus heutiger Perspektive auch sehr bequemen Perspektive entscheiden. Vielmehr ist es für den Film gerade das Uneindeutige, das die spielerisch leichtfüßigen Schlager des Duos auszeichnete. Jary/Balz wussten genau, wie groß der Interpretationsspielraum bei einer Liedzeile sein musste, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten.

Mit einer bunten Mischung aus Interviews und Archivmaterial widmet sich Witz seinem Gegenstand neugierig, lustvoll und analytisch. Einseitigen Vorstellungen wird dabei häufig die ambivalente Wirklichkeit gegenübergestellt. Das NS-Unterhaltungskino wird im Film eher zurückhaltend propagandistisch etikettiert, dafür aber als handwerklich geschickt, virtuos, witzig und manchmal fast frivol. Was im Dritten Reich auch musikalisch möglich war, illustriert „Im Schatten der Träume“ an der von den Nazis verabscheuten Swing-Musik, die in Deutschland gerade während des Zweiten Weltkriegs florierte. Solange die Instrumentalisten keine Ausländer waren und man die Musik nicht Swing nannte, gab es auch keine Probleme.

Davon geht die Welt nicht unter

Der Film porträtiert Jary und Balz als Verpackungskünstler. Nicht nur die Musik war hinter ihren eingänglichen Refrains komplexer, auch die vermeintlich simplen Texte blieben verlässlich doppelbödig. Ausführlich widmet sich „Im Schatten der Träume“ etwa dem beschwingten Lied „Davon geht die Welt nicht unter“. In dem 1942 veröffentlichten Film „Die große Liebe“ wird es von Zarah Leander gesungen, um eine Horde Wehrmachtsoldaten aufzustacheln. Eine Durchhalteparole ist der Titel zweifellos, aber für wen eigentlich? Ohne die unmissverständliche filmische Inszenierung kann das Lied ebenso als Aufmunterung für die Gegner des Regimes verstanden werden. Nachdruck verliehen wird der offenen Lesbarkeit durch den Umstand, dass der Leander-Song sich in der direkten Nachkriegszeit nochmals großer Beliebtheit erfreute.

Mit so eloquenten wie sichtlich leidenschaftlichen Gesprächspartnern wie dem Musiker Götz Alsmann und dem Filmhistoriker Rainer Rother widmet sich der Film den Biografien und der Kunstfertigkeit der auf Herz und Beine zielenden Lieder, aber auch den Möglichkeiten, diese zu deuten. Die Übergänge zwischen den Bildern aus dem heutigen Berlin und den restaurierten Archivaufnahmen sind elegant montiert und stets von einer Jaryschen Melodie getragen. „Im Schatten der Träume“ lässt den nostalgischen Mief beiseite und wählt einen schwungvolleren Ansatz. So wie die Sängerin Carol Schuler heute einige der Lieder mit moderner Lässigkeit interpretiert, versteht auch der Film das musikalische Vermächtnis von Jary/Balz als etwas, das man nicht nur hören und fühlen, sondern auch auseinandernehmen und deuten kann.

In einem Ausschnitt aus der TV-Sendung „Was bin ich?“ zögert Jary, als er die Frage beantworten soll, ob er ernste Musik komponiere. So genau kann man das tatsächlich nicht sagen; am besten lässt man die Musik antworten. Etwas das Lied „Unter den tausend Laternen“ aus dem gleichnamigen Film von 1952. Spuren von deutscher Schwere sind da zwar zu vernehmen, aber zugleich gibt es eine jazzige Virtuosität und zärtliche Poesie. Auch wo es um das Schlagerkino der Nachkriegszeit geht, verfällt „Im Schatten der Träume“ nicht in Überheblichkeit, sondern zeigt, wie fantasievoll und herrlich unsinnig diese Filme waren.

Macht euch ein bisschen lockerer

Jarry/Balz waren keine Revolutionäre, sondern bürgerliche Klassizisten, die wussten, wie man Konventionen dehnt und den Nerv der Zeit trifft. Martin Witz widmet sich ihrem Werk nicht erschöpfend, sondern macht vielmehr Lust, mehr dieser Filme zu sehen und die Lieder zu hören. Die größte Qualität des Duos fasst Götz Alsmann einmal mit einem Appell an die Deutschen zusammen: „Macht euch ein bisschen lockerer“. Tatsächlich wirkt die sonst oft steife Bundesrepublik im Spiegel dieser Musik plötzlich auf schwerelose Art launig und romantisch.

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